Mein kleiner Bube von Rudolf Lavant
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Sie wissen nicht, wie oft ich stehe |
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Des Nachts an seiner Lagerstatt, |
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Und wie ein seltsam-süßes Wehe |
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Mich jedesmal ergriffen hat, |
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Wenn auf des kleinen Schläfers Wangen |
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Sich weich die seidne Wimper schmiegt, |
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Wenn er, in holdem Traum befangen, |
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In seinen weißen Kissen liegt. |
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Wie ruhet er in sanftem Schlummer, |
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Als könne auf der Lebensbahn |
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Mit seiner dunklen Macht der Kummer |
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Dem ros’gen Schläfer nimmer nahn! |
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Es kommen dunkle, weiche, irre |
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Und sanfte Laute, hörbar kaum, |
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Von seinen Lippen, fast als girre |
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Ein Vögelchen in halbem Traum. |
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Und wenn, des Spieles müde, leise |
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Der Knabe an mein Knie sich schmiegt, |
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Wenn still auf meiner Hand die heiße, |
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Die dunkelrothe Wange liegt, |
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Wenn er mit unverdroßnem Quälen |
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Mein Lesen und mein Sinnen stört, |
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Bis seine Bitte, zu erzählen, |
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Dem kleinen Schmeichler ich erhört. – |
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Wie ist er lieb und gut! Wie schauen |
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Den märchenkund’gen Vater dann |
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In frohem, hoffendem Vertrauen |
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Die großen blauen Augen an! |
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Dann denk’ ich wohl: Er soll nicht weinen, |
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Weil strenge er und rau mich fand! |
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Und aus der Stirne streicht dem Kleinen |
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Die wirren Locken meine Hand. |
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Und kann er mir zur Seite schreiten |
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In Sonnenbrand und Sturmgebraus, |
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Dann soll er fröhlich mich begleiten |
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Ins Feld und in den Forst hinaus, |
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Dann will ich sorgen, daß er lerne |
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Der Vögel Ruf und ihre Art |
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Und wie das bunte Heer der Sterne |
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Zu Bildern sich am Himmel schaart. |
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Er soll die Bäume unterscheiden |
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Nach ihrer Laub- und Nadeltracht |
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Und seine jungen Augen weiden |
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An unsrer Falter Farbenpracht, |
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Er soll mir jede Blume kennen |
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Und jeden Busch im Waldrevier |
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Und ihre Namen soll er nennen |
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In wissensfrohem Stolze mir. |
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Wie sie mich einstmals aufgezogen |
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In frischer, herber Bergesluft |
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Und wie ich durstig eingesogen |
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Der düstren Tannenwälder Duft, |
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Wie ich in meinen Knabenjahren |
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Im Moos verfolgt des Wildes Spur, |
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So soll auch er an sich erfahren |
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Den vollen Zauber der Natur. |
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Wie sich zur treuen Mutter wendet |
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Ein Kind mit seinem kleinen Harm |
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Und wie sein bittres Weinen endet |
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Auf ihrem Schooß, in ihrem Arm, |
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So soll Vergessenheit er suchen |
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Im Leid und einen süßen Traum |
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Auf Bergeshöh’n, bei grünen Buchen |
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Und an des Meeres Dünensaum. |
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Er soll mir treu der Mutter bleiben, |
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Der milden, gütigen Natur – |
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Wir haben, wenn der Menschen Treiben |
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Uns widert, diese Zuflucht nur. |
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Mit kühlem Hauche uns zu fächeln |
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Die Stirn, ist immer sie bereit, |
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Und leise weicht vor ihrem Lächeln |
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Die tiefste, herbste Bitterkeit. |
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Wenn er mit rechtem Ohr zu lauschen |
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Dem Zwitschern und Gezirp versteht, |
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Dem tiefen, feierlichen Rauschen, |
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Das durch die Föhrenwipfel geht, |
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Dann wird – und stürme alles Hassen |
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Der Erde feindlich auf ihn ein – |
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Er nimmer ganz und gar verlassen |
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Und nimmer ohne Tröster sein. |
Details zum Gedicht „Mein kleiner Bube“
Rudolf Lavant
10
80
447
1893
Naturalismus,
Moderne
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Mein kleiner Bube“ wurde vom deutschen Dichter Rudolf Lavant verfasst, der zwischen 1844 und 1915 lebte. Das Gedicht wurde somit im 19. oder frühen 20. Jahrhundert verfasst.
Beim ersten Eindruck wirkt das Gedicht sehr liebevoll und beschreibend. Es handelt von der engen Beziehung zwischen Vater und Sohn und zeigt die tiefe Zuneigung, Sorge und das große Hoffen des lyrischen Ichs für seinen Sohn.
Inhaltlich geht es um die liebevolle Beziehung zwischen einem Vater und seinem Sohn. Der Vater betrachtet seinen Sohn liebevoll, sowohl wenn er schläft als auch wenn er wach ist. Er drückt seinen Wunsch aus, ihm die Schönheit und Wunder der Natur nahezubringen und zu lehren. Außerdem spiegelt das lyrische Ich seine eigenen Kindheitserfahrungen und wünscht sich, dass sein Sohn ähnliche Erfahrungen in der Natur machen kann. Es wird auch darauf hingewiesen, dass die Natur eine Flucht und ein Trost bei Problemen sein kann.
Die Form des Gedichts ist die eines Reimverses mit acht Strophen, jede mit acht Versen. Die Sprache des Gedichts ist recht einfühlsam und bildhaft, mit lebhaften Beschreibungen des Sohnes und der Natur. Über seine Worte hinaus spiegelt der Dichter auch seine eigenen Gefühle und Liebe zu seinem Sohn.
Das Gedicht vermittelt nicht nur die Beziehung zwischen dem lyrischen Ich und seinem Sohn, sondern gibt uns auch Einblick in die Wertvorstellungen und die Erziehung der damaligen Zeit. Es zeigt, wie wichtig es war, dass Kinder ein Verständnis und eine Liebe zur Natur entwickeln. Der Natur wird eine heilende und tröstende Kraft zugeschrieben, und sie wird als Fluchtpunkt vor den Problemen der menschlichen Gesellschaft dargestellt.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Mein kleiner Bube“ des Autors Rudolf Lavant. Lavant wurde im Jahr 1844 in Leipzig geboren. Im Jahr 1893 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Stuttgart. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Naturalismus oder Moderne kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das Gedicht besteht aus 80 Versen mit insgesamt 10 Strophen und umfasst dabei 447 Worte. Der Dichter Rudolf Lavant ist auch der Autor für Gedichte wie „An unsere Feinde“, „An unsere Gegner“ und „An la belle France.“. Zum Autor des Gedichtes „Mein kleiner Bube“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 96 Gedichte vor.
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- An unsere Gegner
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Zum Autor Rudolf Lavant sind auf abi-pur.de 96 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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