Mein Wannenbad von Joachim Ringelnatz

Es muß wieder mal sein.
Also: Ich steige hinein
In zirka zwei Kubikmeter See.
Bis übern Bauch tut es weh.
Das Hähnchen plätschert in schamlosem Ton,
Ich atme und schnupfe den Fichtenozon,
Beobachte, wie die Strömung läuft,
Wie dann clam, langsam mein Schwamm sich besäuft.
Und ich ersäufe, um allen Dürsten
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Gerecht zu werden, verschiedene Bürsten.
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Ich seife, schrubbe, ich spüle froh.
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Ich suche auf Ausguck
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Vergebens nach einem ertrinkenden Floh,
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Doch fort ist der Hausjuck.
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Ich lehne mich weit und tief zurück,
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Genieße schaukelndes Möwenglück.
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Da taucht aus der blinkenden Fläche, wie
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Eine Robinsoninsel, plötzlich ein Knie;
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Dann – massig – mein Bauch – eines Walfisches Speck.
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Und nun auf Wellen (nach meinem Belieben
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Herangezogen, davongetrieben),
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Als Wogenschaum spielt mein eigenster Dreck
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Und da auf dem Gipfel neptunischer Lust,
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Klebt sich der Waschlappen mir an die Brust.
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Brust, Wanne und Wände möchten zerspringen,
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Denn ich beginne nun, dröhnend zu singen
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Die allerschwersten Opernkaliber.
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Das Thermometer steigt über Fieber,
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Das Feuer braust, und der Ofen glüht,
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Aber ich bin schon so abgebrüht,
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Daß mich gelegentlich Explosionen –
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– Wenn’s an mir vorbeigeht – –
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Erfreun, weil manchmal dabei was entzweigeht,
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Was Leute betrifft, die unter mir wohnen.
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Ich lasse an verschiedenen Stellen
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Nach meinem Wunsch flinke Bläschen entquellen,
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Erhebe mich mannhaft ins Duschengebraus.
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Ich bück mich. Der Stöpsel rülpst sich hinaus,
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Und während die Fluten sich gurgelnd verschlürfen,
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Spannt mich das Bewußtsein wie himmlischer Zauber,
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Mich überall heute zeigen zu dürfen,
42 
Denn ich bin sauber. –
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.9 KB)

Details zum Gedicht „Mein Wannenbad“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
42
Anzahl Wörter
239
Entstehungsjahr
1929
Epoche
Moderne,
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Mein Wannenbad“ wurde von Joachim Ringelnatz verfasst, einem deutschen Schriftsteller und Kabarettist, der von 1883 bis 1934 lebte. Ringelnatz ist vor allem für seine humorvollen und oft absurden Gedichte bekannt. Dadurch lässt sich „Mein Wannenbad“ zeitlich in die Weimarer Republik (1918-1933) einordnen.

Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht zugleich humorvoll und lebendig. Es handelt von einem Mann - dem lyrischen Ich - der ein Bad in einer Wanne nimmt. Dabei werden alltägliche Handlungen und Empfindungen auf eine humorvolle und teils groteske Weise beschrieben.

Im Mittelpunkt des Inhalts steht das Baderitual des lyrischen Ichs: Das Einlassen des Wassers, das Spielen mit dem Schwamm und der Seife, das Abschrubben des Körpers, das Eintauchen in die Wanne, bis hin zum krönenden Abschluss des Bades – dem Singen der schwersten Opernarien. Durch das Gedicht wird dabei das Baden als ein Moment der Entspannung, der inneren Ruhe und auch der Selbstfürsorge dargestellt. Absurd und humorvoll wird dies etwa durch Zeilen wie „Da taucht aus der blinkenden Fläche, wie/

Eine Robinsoninsel, plötzlich ein Knie“ oder „Als Wogenschaum spielt mein eigenster Dreck“.

Formal besteht das Gedicht aus einem einzigen, langen Strophenblock mit 42 Versen, was ungewöhnlich ist, denn die klassische Gedichtform setzt sich oft aus mehreren Strophen zusammen. Jeder Vers beinhaltet eine eigene Aussage oder Handlung, und es gibt keine festen Reimschemen, was das Gedicht einem freien Vers nahebringt.

In Bezug auf die Sprache verwendet Ringelnatz eine Mischung aus Alltagssprache und poetischen Bildern. Die Sprache ist einfach und direkt, manchmal sogar derb. Gleichzeitig benutzt er Vergleiche und Metaphern, um einfache Handlungen in ein neues Licht zu rücken: das Bad wird zum Meer, das Knie zur Robinsoninsel, der Bauch zum Wal, etc. Dies erzeugt eine humorvolle, überraschende Wirkung und verleiht dem Gedicht seinen einzigartigen Charakter.

Schließlich ist „Mein Wannenbad“ ein typisches Beispiel für Ringelnatz' Fähigkeit, Alltägliches in eine besondere, humorvolle und manchmal groteske Perspektive zu setzen. Es zeigt, wie Poesie das Gewöhnliche in etwas Besonderes verwandeln kann.

Weitere Informationen

Joachim Ringelnatz ist der Autor des Gedichtes „Mein Wannenbad“. Geboren wurde Ringelnatz im Jahr 1883 in Wurzen. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1929. Erscheinungsort des Textes ist Berlin. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Moderne oder Expressionismus zugeordnet werden. Ringelnatz ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen. Das 239 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 42 Versen mit nur einer Strophe. Weitere bekannte Gedichte des Autors Joachim Ringelnatz sind „Abschied von Renée“, „Abschiedsworte an Pellka“ und „Afrikanisches Duell“. Zum Autor des Gedichtes „Mein Wannenbad“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 560 Gedichte vor.

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