Mein Freund von Otto Ernst

Als ich jüngst im Garten wandelte,
Ward mir unverhoffte, tiefe Freude:
Aus dem tiefen Dunkel wirrer Zweige
Winkten mir zwei Blumen wie zwei Augen.
Näher trat ich, durchs Gebüsch mich zwängend –
Sieh, im düst’ren Schatten alter Bäume,
Fast erdrückt vom wuchernden Holunder,
Stand ein armer Strauch der Alpenrose.
Zwischen seinen krummen, mag’ren Ästen
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Spann ihr feucht Gespinnst die ewige Nacht;
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Abgetrennt von Luft und Sommersonne,
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War er leidend Jahr um Jahr gewachsen;
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Doch aus Leidensnächten hob er Blüten,
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Starke, lächelnde, betränte Blüten,
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Seines Ringens Ende, still empor.
 
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Und den Gärtner rief ich: „Diesem Strauche
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Gib den besten Platz in meinem Garten.
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Tu es bald – ich hab es ihm versprochen.“
 
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Alle Wohner meines Gartens lieb ich,
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Halm und Bäume, Frucht- und Schattensträucher;
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Doch mit diesem in des Abends Schweigen
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Sprech’ ich Worte wie von Mensch zu Mensch.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.6 KB)

Details zum Gedicht „Mein Freund“

Autor
Otto Ernst
Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
22
Anzahl Wörter
138
Entstehungsjahr
1907
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Mein Freund“ wurde von dem deutschen Dichter Otto Ernst verfasst, der von 1862 bis 1926 lebte. Somit lässt sich das Gedicht einer Epoche zuordnen, in der spätromantische und modernistische Literatur dominieren: insbesondere der Naturalismus und Symbolismus könnten Einfluss genommen haben.

Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht naturverbunden, emotional und philosophisch. Der lyrische Sprecher beschreibt in lebendigen Bildern eine Begegnung mit einem Strauch der Alpenrose im Garten. Diese wird nicht als rein ästhetisches Bild wahrgenommen, sondern als Wesen mit eigener Geschichte und Persönlichkeit.

Inhaltlich betrachtet beginnt das Gedicht mit einer Schilderung eines ungeplanten, freudigen Ereignisses, bei dem der Sprecher auf den Strauch stößt. Dieser scheint trotz Kargheit und Dunkelheit seines Ortes zu blühen. Dies interpretiert der Sprecher als Zeichen von Stärke und Durchhaltevermögen. Aus Bewunderung für diesen Überlebenskampf der Natur entscheidet er, den Rosenstrauch an einen besseren Platz in seinem Garten setzen zu lassen. Schließlich offenbart der Sprecher seine tiefe Verbundenheit zu seinem Garten und insbesondere zu der Alpenrose, zu der er eine Art dialogische Beziehung hat.

Formal gesehen besteht das Gedicht aus drei Strophen mit unterschiedlicher Versanzahl (15, 3 und 4). Es gibt kein festes Reimschema, was auf die freie Natur des Gedichts hinweisen könnte. In Bezug auf die Sprache fällt auf, dass der Sprecher eine sehr bildhafte, emotionale Sprache verwendet, um seine Begegnung mit dem Strauch und seine Gefühle dazu zu beschreiben. Er personifiziert die Alpenrose, was eine starke empathische Beziehung zwischen ihm und der Pflanze nahelegt. Des Weiteren fällt auf, dass trotz der Härten, die der Strauch ertragen muss, ein hoffnungsvoller Ton mitschwingt – insbesondere in Bezug auf seine blühenden Blüten trotz widriger Bedingungen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Mein Freund“ den Respekt und die Ehrfurcht des lyrischen Ichs vor der Ausdauer und Schönheit der Natur einfängt. Gleichzeitig deutet es auf eine übergeordnete philosophische Botschaft hin, dass Widerstandsfähigkeit und eine positive Einstellung helfen können, schwierige Zeiten zu überstehen.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Mein Freund“ ist Otto Ernst. Im Jahr 1862 wurde Ernst in Ottensen bei Hamburg geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1907 zurück. Erschienen ist der Text in Leipzig. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Moderne zu. Die Angaben zur Epoche prüfe bitte vor Verwendung auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich die Literaturepochen zeitlich teilweise überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung fehleranfällig. Das 138 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 22 Versen mit insgesamt 3 Strophen. Weitere Werke des Dichters Otto Ernst sind „Auf dem Morgengange“, „Auflösung“ und „Aus einer Nacht“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Mein Freund“ weitere 64 Gedichte vor.

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