Meditation von Joachim Ringelnatz

Wolleball hieß ein kleiner Hund,
Über den jeder lachte,
Weil er keine Beine hatte und
So viel süße Schweinereien machte.
 
Warum ist man überall geniert?
Warum darf man nicht die Wahrheit sagen?
Warum reden Menschen so geziert,
Wenn sie ein Bein übers andre schlagen?
 
Um dies überschätzte homo sum
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Werd' ich täglich wirrer und bezechter.
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Ach, die Schlechtigkeit ist gar zu dumm,
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Doch die Dummheit ist noch zehnmal schlechter.
 
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Hat der Wolleball von seinem Herrn
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Nichts gewußt, nur Launen mitempfunden,
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Hatte der ihn andrerseits sehr gern
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Und verstand im Grunde nichts von Hunden.
 
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Er ist tot, auf den ich solches dichte.
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Mir ist Wurscht, wo sein Gebein jetzt ruht.
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Aber die Pointe der Geschichte
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Muß ich sagen: er war herzensgut.
 
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Und sein Wolleball war gut. Er grollte
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Nie. Ein einzig Mal nur biß
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Er nach mir, als ich verhindern wollte,
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Daß er wieder in den Hausschuh schiß.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.8 KB)

Details zum Gedicht „Meditation“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
24
Anzahl Wörter
147
Entstehungsjahr
1928
Epoche
Moderne,
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Meditation“ wurde von Joachim Ringelnatz geschrieben, der zwischen 1883 und 1934 lebte. Da Ringelnatz als Vertreter der literarischen Strömung der Neuen Sachlichkeit bekannt ist, lässt das Gedicht sich der Kunst- und Literaturperiode der Weimarer Republik (1918-1933) zuordnen.

Auf den ersten Blick wirkt der Gedichtinhalt humoristisch und etwas makaber, kennzeichnend für Ringelnatz's Werke, die oft den spöttischen Blick auf Alltägliches werfen. Das lyrische Ich erzählt von einem Hund namens Wolleball, der aufgrund seiner kleinen, gebeinlosen Statur und seinen Marotten Gegenstand allgemeiner Heiterkeit ist. Es wird auch die Frage aufgeworfen, warum Menschen gezwungen sind, in künstlicher Art zu sprechen, anstatt ihre wahren Gefühle oder Gedanken auszudrücken. In der letzten Zeile wird explizit ein nicht jugendfreier Kommentar gemacht, was eine Art Protest gegen konventionelle Verhaltensnormen und Etikette darstellen könnte.

Indem das lyrische Ich offen seine Verachtung gegenüber gesellschaftlichen Konventionen und vorgetäuschter Höflichkeit zum Ausdruck bringt, übt es Kritik an der Gesellschaft und ihrer oberflächlichen Art und Weise. Es präferiert die Unschuld und Ehrlichkeit des Hundes gegenüber der vorgeblichen Intellektualität der Menschen.

In Bezug auf die Form und Sprache des Gedichts sind die 6 Vierzeiler in einem leichten, gesprächigen Ton geschrieben, mit gelegentlichen Binnenreimen, was die Lesbarkeit erhöht und die humorvolle Natur des Gedichts unterstreicht. Ringelnatz spielt mit Erwartungen, indem er humorvolle und ernste Elemente miteinander vereint und das Gedicht mit einer Pointe endet, die gleichzeitig komisch und schockierend ist. Im Allgemeinen nutzt das Gedicht alltägliche, vertrauensvoll menschliche Sprache, um sein Thema zu beleuchten und seine Punkte zu machen.

Weitere Informationen

Joachim Ringelnatz ist der Autor des Gedichtes „Meditation“. 1883 wurde Ringelnatz in Wurzen geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1928 entstanden. Der Erscheinungsort ist Berlin. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Moderne oder Expressionismus zuordnen. Bei dem Schriftsteller Ringelnatz handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen. Das 147 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 24 Versen mit insgesamt 6 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Joachim Ringelnatz sind „Afrikanisches Duell“, „Alone“ und „Alte Winkelmauer“. Zum Autor des Gedichtes „Meditation“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 560 Gedichte vor.

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