Marter in Bielefeld von Joachim Ringelnatz

Es war in Bielefeld so bitter kalt.
Ich sah ein Weib, das nichts als eine knappe
Hemdhose trug. Daß ich erschauerte
Und ihren kalten Zustand heiß bedauerte.
Denn sie war nur Attrappe – Fleisch aus Pappe.
 
Ich wäre gar zu gern zu zweit gewesen.
Nun stand ich vor der reizenden Gestalt,
Mußte herabgesetzte Preise lesen,
Und ach, die Ladenscheibe war so kalt.
 
10 
Der Frost entlockte meiner Nase Tränen.
11 
Die Dame schwieg. Die Sonne hat gelacht.
12 
In mir war qualvoll irgendwas entfacht.
13 
Es kann kein Mann vor Damenwäsche gähnen.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24 KB)

Details zum Gedicht „Marter in Bielefeld“

Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
13
Anzahl Wörter
87
Entstehungsjahr
1932
Epoche
Moderne,
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Marter in Bielefeld“ stammt von Joachim Ringelnatz, einem deutschen Schriftsteller und Kabarettist, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lebte. Es handelt sich um ein Gedicht aus der Epoche der Neuen Sachlichkeit und des Expressionismus.

Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht komisch und absurd, es vermittelt jedoch auch eine Melancholie und Einsamkeit. Das lyrische Ich steht vor einem Schaufenster in der kalten Stadt Bielefeld und beobachtet eine Papp-Attrappe, die Damenwäsche trägt. Diese unerreichbare und künstliche Schönheit löst bei ihm eine tiefe Sehnsucht und Traurigkeit aus. Er bedauert dabei nicht nur den Zustand der Pappfigur, die nur in Unterwäsche bekleidet ist, sondern auch seinen eigenen Zustand der Isolation und Entfremdung.

Konkret geht es in dem Gedicht um das Leid des lyrischen Ichs, das in den kalten Straßen von Bielefeld umherirrt und sich nach menschlicher Wärme und Nähe sehnt. Dies wird symbolisiert durch seinen Wunsch, bei der Papp-Attrappe zu sein und sein Unvermögen, bei ihrem Anblick zu gähnen.

In Bezug auf die Form und die Sprache ist das Gedicht in freien Versen gehalten, was typisch für die Lyrik der Neuen Sachlichkeit ist. Ringelnatz verwendet eine einfache und direkte Sprache, gespickt mit Ironie und Wortspielen (z.B. „Fleisch aus Pappe“). Die Wiederholung des Wortes „kalt“ in der ersten und zweiten Strophe unterstreicht die Atmosphäre der Isolation und Einsamkeit.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Gedicht „Marter in Bielefeld“ den inneren Konflikt des lyrischen Ichs zum Ausdruck bringt, das dem unwirklichen Charme der Damenwäsche-Attrappe erliegt und seine eigene Einsamkeit und Isolation im kalten Bielefeld spürt. Mit seinem typischen Humor und Wortwitz thematisiert Ringelnatz in diesem Gedicht die menschliche Sehnsucht nach Wärme und Nähe in einer Welt der Kälte und Entfremdung.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Marter in Bielefeld“ des Autors Joachim Ringelnatz. Ringelnatz wurde im Jahr 1883 in Wurzen geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1932. In Rowohlt Verlag, Berlin ist der Text erschienen. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Moderne oder Expressionismus kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei dem Schriftsteller Ringelnatz handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen. Das 87 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 13 Versen mit insgesamt 3 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Joachim Ringelnatz sind „Abschied von Renée“, „Abschiedsworte an Pellka“ und „Afrikanisches Duell“. Zum Autor des Gedichtes „Marter in Bielefeld“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 560 Gedichte vor.

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