Mahomets Gesang von Johann Wolfgang von Goethe
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Seht den Felsenquell, |
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Freudehell, |
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Wie ein Sternenblick |
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Über Wolken, |
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Nährten seine Jugend |
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Gute Geister |
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Zwischen Klippen im Gebüsch. |
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Jünglingfrisch |
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Tanzt er aus der Wolke |
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Auf die Marmorfelsen nieder, |
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Jauchzet wieder |
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Nach dem Himmel. |
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Durch die Gipfelgänge |
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Jagt er bunten Kieseln nach, |
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Und mit frühem Führertritt |
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Reißt er seine Bruderquellen |
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Mit sich fort. |
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Drunten werden in dem Thal |
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Unter seinem Fußtritt Blumen, |
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Und die Wiese |
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Lebt von seinem Hauch. |
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Doch ihn hält kein Schattenthal, |
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Keine Blumen, |
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Die ihm seine Knie umschlingen, |
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Ihm mit Liebesaugen schmeicheln: |
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Nach der Ebne dringt sein Lauf |
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Schlangenwandelnd. |
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Bäche schmiegen |
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Sich gesellig an. Nun tritt er |
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In die Ebne silberprangend, |
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Und die Ebne prangt mit ihm, |
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Und die Flüsse von der Ebne, |
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Und die Bäche von den Bergen, |
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Jauchzen ihm und rufen: Bruder! |
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Bruder, nimm die Brüder mit. |
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Mit zu deinem alten Vater, |
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Zu dem ew’gen Ocean, |
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Der mit ausgespannten Armen |
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Unser wartet, |
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Die sich ach! vergebens öffnen, |
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Seine Sehnenden zu fassen; |
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Denn uns frißt in öder Wüste |
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Gier’ger Sand, die Sonne droben |
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Saugt an unserm Blut, ein Hügel |
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Hemmet uns zum Teiche! Bruder, |
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Nimm die Brüder von der Ebne, |
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Nimm die Brüder von den Bergen |
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Mit, zu deinem Vater mit! |
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Kommt ihr alle! – |
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Und nun schwillt er |
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Herrlicher, ein ganz Geschlechte |
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Trägt den Fürsten hoch empor! |
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Und im rollenden Triumphe |
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Gibt er Ländern Namen, Städte |
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Werden unter seinem Fuß. |
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Unaufhaltsam rauscht er weiter, |
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Läßt der Thürme Flammengipfel, |
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Marmorhäuser, eine Schöpfung |
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Seiner Fülle, hinter sich. |
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Zedernhäuser trägt der Atlas |
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Auf den Riesenschultern; sausend |
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Wehen über seinem Haupte |
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Tausend Flaggen durch die Lüfte, |
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Zeugen seiner Herrlichkeit. |
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Und so trägt er seine Brüder, |
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Seine Schätze, seine Kinder, |
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Dem erwartenden Erzeuger |
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Freudebrausend an das Herz. |
Details zum Gedicht „Mahomets Gesang“
10
68
277
1789
Sturm & Drang,
Klassik
Gedicht-Analyse
Das vorliegende Gedicht „Mahomets Gesang“ wurde von Johann Wolfgang von Goethe verfasst, einem der bekanntesten deutschen Dichter der Weimarer Klassik. Goethe lebte von 1749 bis 1832. Das Gedicht wurde innerhalb seiner Sammlung „West-östlicher Divan“ veröffentlicht.
Auf den ersten Eindruck fällt auf, dass das Gedicht eine sehr lebhafte und positive Energie ausstrahlt. Es schildert die Reise und Transformation eines Flusses von seiner Entstehung als Quelle bis zur Einmündung in das Meer. Es ist eine poetische Hommage an die Natur und ihre Dynamik.
Inhaltlich erzählt das lyrische Ich die Geschichte eines Flusses, der als kleiner Bergquell entspringt, sich durch verschiedene Landschaften bahnt und schließlich ins Meer mündet. Hierbei sind Assoziationen mit der Lebensreise bzw. Transformation eines Menschen, insbesondere des Propheten Mohammeds, in dem kulturellen Kontext Goethes, zu finden. Symbole wie der Felsenquell, der Freudehell strahlt und die Klippen im Gebüsch symbolisieren möglicherweise die unbeschwerte Kindheit und Jugend und die daraus gewonnenen positiven Energien, welche das weitere Leben prägen. Die weitere Reise durch Gipfelgänge und die Ebene kann als metaphorisches Sinnbild für die verschiedenen Stadien des Lebens und der Lebenserfahrungen verstanden werden. Der Fluss wird personifiziert und stellvertretend für menschliches Leben und seine Dynamik gesehen.
Formal ist das Gedicht in zehn Strophen gegliedert, wobei die Anzahl der Verse von Strophe zu Strophe variiert. Es handelt sich nicht um ein Reimschema, was typisch für Gedichte der Klassik ist und eine moderne, freie Ausdrucksweise vermuten lässt. Die Sprache des Gedichtes ist bildhaft und lyrisch, sie zeichnet sich durch zahlreiche Metaphern und Symbolsprache aus, unter anderem mit Bezügen zu natürlichen Phänomenen und Geografie. Der stilistische Ausdruck unterstreicht die philosophische Substanz und die erhabene, majestätische Qualitäten des Themas, gibt dem Text eine visuelle Tiefe und ruft eine malerische Landschaft hervor.
Zusammenfassend kann dieses Gedicht als eine Betrachtung der Reise des Lebens, von der Geburt bis zum Tod interpretiert werden. Diese ist geprägt von verschiedenen Stationen und Erfahrungen, welche die Entwicklung des Individuums formen. Der Fluss verkörpert dabei das ständige Fortschreiten und die Kontinuität des Lebens. Eine zusätzliche Ebene bildet der titelgebende Bezug zu Mohammed, wodurch das Gedicht auch eine spirituelle Dimension erhält.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Mahomets Gesang“ ist Johann Wolfgang von Goethe. Der Autor Johann Wolfgang von Goethe wurde 1749 in Frankfurt am Main geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1789 zurück. Der Erscheinungsort ist Leipzig. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Sturm & Drang oder Klassik kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Der Schriftsteller Goethe ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.
Sturm und Drang ist die Bezeichnung für die Literaturepoche in den Jahren von 1765 bis 1790 und wird häufig auch Geniezeit oder zeitgenössische Genieperiode genannt. Diese Bezeichnung entstand durch die Verherrlichung des Genies als Urbild des höheren Menschen und Künstlers. Der Sturm und Drang knüpft an die Empfindsamkeit an und geht später in die Klassik über. Die wesentlichen Merkmale des Sturm und Drang lassen sich als ein Auflehnen oder Rebellieren gegen die Epoche der Aufklärung zusammenfassen. Das philosophische und literarische Leben in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und die Literatur sollten dadurch maßgeblich beeinflusst werden. Bei den Vertretern der Epoche des Sturm und Drang handelte es sich vorwiegend um junge Autoren. Um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Vorschein zu bringen, wurde im Besonderen darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden und in den Gedichten einzusetzen. Die traditionellen Werke vorheriger Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Dennoch wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Mit seinen beiden bedeutenden Vertretern Schiller und Goethe entwickelte sich der Sturm und Drang weiter und ging in die Weimarer Klassik über.
Die Epoche der Klassik beginnt nach herrschender Auffassung mit der Italienreise Goethes, die er 1786 im Alter von 36 Jahren machte. Das Ende der Epoche wird auf 1832 datiert. In der Klassik wurde die Literatur durch Auswirkungen der Französischen Revolution, die ziemlich zu Beginn der Epoche stattfand, entscheidend geprägt. In der Französischen Revolution setzten sich die Menschen dafür ein, dass für alle die gleichen Rechte gelten sollten. Ausgangspunkt und literarisches Zentrum der Weimarer Klassik (kurz auch oftmals einfach nur Klassik genannt) war Weimar. Die Dichter der Weimarer Klassik wollten die antiken Stoffe aufleben lassen. Mit der antiken Kunst beschäftigte sich Goethe während seiner Italienreise. Die Antike gilt nun als Ideal, um Harmonie und Vollkommenheit erreichen zu können. In der Gestaltung wurde das Gültige, Gesetzmäßige, Wesentliche aber auch die Harmonie und der Ausgleich gesucht. Im Gegensatz zum Sturm und Drang, wo die Sprache oft roh und derb ist, bleibt die Sprache in der Weimarer Klassik den sich selbst gesetzten Regeln treu. Die Hauptvertreter der Klassik sind Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Christoph Martin Wieland und Johann Gottfried Herder. Einen künstlerischen Austausch im Sinne einer gemeinsamen Arbeit gab es jedoch nur zwischen Goethe und Schiller.
Das 277 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 68 Versen mit insgesamt 10 Strophen. Der Dichter Johann Wolfgang von Goethe ist auch der Autor für Gedichte wie „An den Mond“, „An den Schlaf“ und „An den Selbstherscher“. Zum Autor des Gedichtes „Mahomets Gesang“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 1618 Gedichte vor.
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