Magie von Karl Kraus

Wie alles zudrängt, daß es sich mir binde!
Wie sucht mich alles, daß ich eines finde!
Vorschwebend Form, sie hängt mir wie ein Netz:
nun strömt es ein nach bindendem Gesetz
und setzt sich an, und alles Vorgefundne
wird, was es immer war: das mir Verbundne.
Ist dies ein Stück noch von der Außenwelt?
Steht es vor mir, weil ich es vorgestellt?
Ich und die Welt, wir hängen an der Kette,
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ich und die Zeit, wir laufen um die Wette.
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Vorbei an Worten, die zu schlafen schienen;
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ein totes Wort hat sonderbare Mienen.
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Füllt sich der Raum mit Leichen und mit Larven,
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schon reimen irgendwo im Traum die Harfen.
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Nun schafft in den Kontur sich ein Gesicht
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und in den fernen Tonfall ein Gedicht.
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Da mischen sich die Stimmen mir zu Hauf
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und jeder Blick reißt mir das Denken auf,
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das wahllos sich ergibt und ohne Schranken
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endloser Lust nie fertiger Gedanken,
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und büß’ in Zweifel ich und Ungeduld
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die eigne Lust, so büß’ ich fremde Schuld.
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Unendlich Hasten, Tasten, Rühren, Spüren
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und durch die Dinge in mich selber Führen!
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Unendlich Langen, Hangen, Bangen, Fangen,
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durch mich hindurch zum Urbild zu gelangen!
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Und sollt’ ich auf der Strecke auch erbleichen:
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ich kann es nicht, doch muß ich es erreichen!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25.8 KB)

Details zum Gedicht „Magie“

Autor
Karl Kraus
Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
28
Anzahl Wörter
209
Entstehungsjahr
1920
Epoche
Moderne,
Expressionismus,
Avantgarde / Dadaismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Magie“ stammt von dem österreichischen Schriftsteller und Publizisten Karl Kraus, der von 1874 bis 1936 lebte. Inhaltlich sowie sprachlich, ist es Kraus' Zeit der literarischen Moderne einzuordnen.

Auf den ersten Blick zeichnet das Gedicht ein Bild einer rastlosen Suche nach Verbindung, nach Verstehen und Ausdruck. Es geht um das lyrische Ich, das sich in einer ständigen Bewegung und einem unendlichen Streben befindet, sich mit der Welt zu vernetzen und diese zu verstehen.

Das lyrische Ich beschreibt seine konstante Auseinandersetzung mit der Welt, die immer wieder auf ihn zukommt und ihn fordert. Es zeigt eine Unruhe und rastlose Suche nach Verbindungen und Erkenntnissen. Gleichzeitig ist jedoch auch die Hoffnung und das Streben nach Sprache und Ausdruck vorhanden. Das lyrische Ich betont, dass selbst wenn es auf diesem Weg scheitern sollte, es gezwungen ist, weiter zu streben, um Erkenntnisse zu gewinnen und Ausdrücke zu finden.

In Bezug auf die Form und Sprache, besteht das Gedicht aus einer einzigen 28-zeiligen Strophe in reimloser, freier Versform, eine typische Form für die moderne Lyrik, die Kraus verkörpert. Die Sprache ist dabei komplex und suggestiv, mit einer Reihe von Metaphern und Bildern die sowohl den inneren Zustand des lyrischen Ichs als auch seine Beziehung zur Welt und Sprache darstellen. Die Wiederholung von „unendlich“ verdeutlicht die Intensität des Strebens und Verlangens des lyrischen Ichs.

Schlussfolgernd, teilt Karl Kraus in „Magie“ eine tiefgreifende innere Unruhe und Sehnsucht, seinen Platz in der Welt zu finden, damit verbunden auch einen Ausdruck für seine Gedanken. Er offenbart das konstante Ringen und die Schwierigkeit, seine Gedanken in Worte zu fassen. Dabei zeigt er jedoch auch die Notwendigkeit und das unermüdliche Streben, genau dieses zu erreichen.

Weitere Informationen

Karl Kraus ist der Autor des Gedichtes „Magie“. Der Autor Karl Kraus wurde 1874 in Jičín (WP), Böhmen geboren. Im Jahr 1920 ist das Gedicht entstanden. In München ist der Text erschienen. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Moderne, Expressionismus, Avantgarde / Dadaismus oder Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit zuordnen. Die Angaben zur Epoche prüfe bitte vor Verwendung auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich die Literaturepochen zeitlich teilweise überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung fehleranfällig. Das 209 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 28 Versen mit nur einer Strophe. Weitere bekannte Gedichte des Autors Karl Kraus sind „An den Schnittlauch“, „An eine Falte“ und „An einen alten Lehrer“. Zum Autor des Gedichtes „Magie“ haben wir auf abi-pur.de weitere 61 Gedichte veröffentlicht.

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