Lehrgedicht von Kurt Tucholsky

Wenn du mal gar nicht weiter weißt,
dann sag: Mythos.
Wenn dir der Faden der Logik reißt,
dann sag: Logos.
Und hast du nichts in deiner Tasse,
dann erzähl was vom tiefen Geheimnis der Rasse.
So erreichst du, daß keiner, wie er auch giert,
dich je kontrolliert.
 
Willst du diskret die Leute angeilen,
10 
dann sag: Eros.
11 
Sehr viel Bildung verleiht deinen Zeilen:
12 
Dionysos.
13 
Aber am meisten tun dir bieten
14 
die katholischen Requisiten.
15 
Tu fromm – du brauchst es gar nicht zu sein.
16 
Sie fallen drauf rein.
 
17 
Machs wie die Literatur-Attachés:
18 
nimm ein Diarium.
19 
Die Hauptsache eines guten Essays
20 
ist das Vokabularium.
21 
Eros und Mythos hats immer gegeben,
22 
doch noch nie so viele, die von ihnen leben …
23 
So kommst du spielend – immer schmuse du nur! –
24 
in die feinere deutsche Literatur.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.6 KB)

Details zum Gedicht „Lehrgedicht“

Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
24
Anzahl Wörter
128
Entstehungsjahr
1932
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Lehrgedicht“ wurde von Kurt Tucholsky verfasst, einem deutschen Schriftsteller und Journalisten, der von 1890 bis 1935 lebte. Seine Werke sind größtenteils während der Weimarer Republik entstanden, einer Zeit großer politischer und kultureller Umbrüche in Deutschland.

Beim ersten Eindruck wirkt das Gedicht humorvoll und ironisch. Tucholsky ist bekannt für seine scharfen Beobachtungen und seinen beißenden Spott und das wird auch hier deutlich.

Inhaltlich ist das Gedicht eine Art Anleitung für das Schreiben. Das lyrische Ich gibt Tipps wie man das Publikum mit klugen Worten und bedeutungsschwangeren Begriffen beeindrucken und täuschen kann. Es wird aufgezeigt, wie man durch den Gebrauch von hochtrabenden Wörtern, wie zum Beispiel „Mythos, Logos, Eros,“ und anderen Methoden wie dem Verweisen auf „das tiefe Geheimnis der Rasse“ oder „katholische Requisiten“ die eigene Unwissenheit oder Leerheit überspielen und Kontrolle behalten oder bewahren kann.

Die Form ist durchaus klassisch, jede Strophe besteht aus acht Versen. Es handelt sich um einen freien Vers ohne Reim. Die Sprache ist einfach, unverschnörkelt, wobei durch die Verwendung von Fremdwörtern und kulturellen Referenzen ein gewisser Bildungsgrad vorausgesetzt wird. Der Ton ist spöttisch, ironisch, manchmal fast zynisch.

Das Gedicht ist in erster Linie eine Kritik am Literaturbetrieb und der Schreibkunst im Allgemeinen. Tucholsky macht sich über das Sich-Verstecken hinter bedeutungsschwangeren Wörtern und der Verwendung von kulturellen Referenzen lustig und verurteilt die Scheinheiligkeit und Falschheit, die damit einhergehen kann. Es geht um die Unterscheidung zwischen echter und vorgegebener Bildung und das Spiel mit ihnen. Das Gedicht endet mit einer kaum versteckten Herausforderung an die Leserschaft: Wer von ihnen kann und will in dieser raffinierten Weise schreiben?

Weitere Informationen

Kurt Tucholsky ist der Autor des Gedichtes „Lehrgedicht“. Geboren wurde Tucholsky im Jahr 1890 in Berlin. Im Jahr 1932 ist das Gedicht entstanden. Erschienen ist der Text in Berlin. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zugeordnet werden. Bei dem Schriftsteller Tucholsky handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Wichtigen Einfluss auf die Literatur der Weimarer Republik nahmen der Erste Weltkrieg und die daraufhin folgende Entstehung der Weimarer Republik. Das wohl bedeutendste Merkmal der Literatur in der Weimarer Republik ist die Neue Sachlichkeit, die so heißt, da sie schlicht, klar, sachlich und hoch politisch ist. Die Literatur dieser Zeit war nüchtern und realistisch. Ebenso stellt sie die moderne Gesellschaft kühl distanziert, beobachtend, dokumentarisch und exakt dar. Die Autoren der Literaturepoche wollten so viele Menschen wie möglich mit ihren Texten erreichen, deshalb wurde eine einfache und nüchterne Alltagssprache verwendet. Die Freiheit von Wort und Schrift war zwar verfassungsmäßig garantiert, doch bereits 1922 wurde nach der Ermordung eines Politikers das Republikschutzgesetz erlassen, das diese Freiheit wieder einschränkte. Viele Schriftsteller litten unter dieser Zensur. In der Praxis wurde dieses Gesetz allerdings nur gegen linke Autoren angewandt. Aber gerade die rechts gerichteten Schriftsteller waren es häufig, die in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Die Grenzen der Zensur wurden im Jahr 1926 durch das sogenannte Schund- und Schmutzgesetz nochmals verstärkt. Die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen wurden durch die Pressenotverordnung im Jahr 1931 ermöglicht.

Als Exilliteratur wird die Literatur von Schriftstellern bezeichnet, die unfreiwillig Zuflucht im Ausland suchen müssen, weil ihre Person oder ihr Werk in ihrer Heimat bedroht sind. Für die Flucht ins Exil geben meist politische oder religiöse Gründe den Ausschlag. Die Exilliteratur in Deutschland entstand in den Jahren von 1933 bis 1945 als Literatur der Gegner des Nationalsozialismus. Dabei spielten zum Beispiel die Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 und der deutsche Überfall auf die Nachbarstaaten 1938/39 eine ausschlaggebende Rolle. Die Exilliteratur der Literaturgeschichte Deutschlands bildet eine eigene Literaturepoche und folgt auf die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik. Die Themen der Exilliteratur Deutschlands lassen sich zunächst in zwei Gruppen einteilen. Einige Schriftsteller fühlten sich in ihrer neuen Heimat nicht zu Hause, hatten Heimweh und wollten einfach in ihr altes Leben vor dem Nationalsozialismus zurückkehren. Oft konnten sie im Ausland nicht mehr ihrer Tätigkeit als Schriftsteller nachgehen, da sie nur in Deutsch schreiben konnten, was im Ausland aber niemand verstand. Heimweh und ihre Liebe zum Mutterland sind die Themen in ihren Werken. Die anderen Schriftsteller wollten sich gegen Nazideutschland wehren. Man wollte zum einen die Welt über die Grausamkeiten in Deutschland aufklären. Zum anderen aber auch den Widerstand unterstützen. Anders als andere Epochen der Literatur, die zum Beispiel bei der formalen Gestaltung (also in Sachen Metrum, Reimschema oder dem Gebrauch bestimmter rhetorischer Mittel) ganz charakteristische Merkmale aufweisen, ist die Exilliteratur nicht durch bestimmte formale Merkmale gekennzeichnet. Die Exilliteratur weist häufig einen Pluralismus der Stile (Realismus und Expressionismus), eine kritische Betrachtung der Wirklichkeit und eine Distanz zwischen Werk und Leser oder Publikum auf. Sie hat häufig die Absicht zur Aufklärung und möchte Gesellschaftsentwicklungen aufzeigen (wandelnder Mensch, Abhängigkeit von der Gesellschaft).

Das 128 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 24 Versen mit insgesamt 3 Strophen. Der Dichter Kurt Tucholsky ist auch der Autor für Gedichte wie „Abschied von der Junggesellenzeit“, „Achtundvierzig“ und „All people on board!“. Zum Autor des Gedichtes „Lehrgedicht“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 136 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Kurt Tucholsky

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Kurt Tucholsky und seinem Gedicht „Lehrgedicht“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

Weitere Gedichte des Autors Kurt Tucholsky (Infos zum Autor)

Zum Autor Kurt Tucholsky sind auf abi-pur.de 136 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.