Landflucht von Joachim Ringelnatz
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Fort vom Lande, aus dem engen |
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Städtchen in die Großstadt flieht der Geist, |
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Wo im Kampf der Mengen |
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Er zerreißt. |
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Dort, wo Puls und Uhr |
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Schneller ticken, |
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Wird er sich zusammenflicken, |
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Wenn er’s erst versteht, |
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Daß die unbezwingliche Natur |
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Auch auf Radiowellen, Schienenspur |
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Und Propellerschwingen weitergeht. |
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Wenn ihm das gelingt, |
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Wenn er nicht darüber ganz verkommt, |
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Wenn ihm die Erkenntnis frommt, |
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Daß die Nachtigall genau so singt |
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Wie ein Spatz |
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Am Alexanderplatz, – – – |
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Ja, dann wird ihn wohl von Zeit zu Zeit |
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Eine Sehnsucht wieder landwärts tragen |
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In die Enge, in die Einsamkeit. – – |
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Bis die simplen, friedlichen, gesunden |
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Bauern ihn nach Tagen |
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Oder Stunden |
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Wiederum verjagen; |
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In die große Stadt zurück. |
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Und dort wird er sagen: |
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Nur im Ruhelosen ruht das Glück. |
Details zum Gedicht „Landflucht“
Joachim Ringelnatz
2
27
122
1928
Moderne,
Expressionismus
Gedicht-Analyse
Der Autor des Gedichts ist Joachim Ringelnatz, ein deutscher Schriftsteller und Kabarettist, der von 1883 bis 1934 lebte. Dies lässt das Gedicht in die Zeit der Weimarer Republik einordnen, eine Zeit großer sozialer und politischer Umbrüche und der fortschreitenden Industrialisierung, in der auch das Leben in Großstädten immer relevanter wurde.
Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht wie eine Darstellung der Flucht vom ländlichen Raum in die Großstadt und der damit verbundenen Ambivalenz des lyrischen Ichs zwischen Sehnsucht und Ablehnung der beiden unterschiedlichen Lebensweisen.
Inhaltlich geht das lyrische Ich auf den Kontrast ein, den die ländliche Idylle und die Hektik der Stadt darstellen. Sein Geist, der der Enge des Ländlichen entflieht, zerreißt erst einmal im Kampf der Mengen in der Großstadt. Doch nach einiger Zeit lernt er, sich in der Großstadt zurechtzufinden und versteht, dass die Natur auch in modernen Aspekten wie Radiowellen und Propellerschwingen fortbesteht. Obwohl das lyrische Ich nach einiger Zeit erkennt, dass das Leben in der Stadt genauso natürlich ist, wie das auf dem Land, bleibt dennoch eine Sehnsucht nach dem Landleben. Diese führt es immer wieder zurück aufs Land, nur um nach einer Weile wieder in die Stadt vertrieben zu werden.
In der Form entspricht das Gedicht nicht einem klassischen Gedichtschema. Die Strophen bestehen aus unterschiedlich vielen Versen und verfolgen kein festes Reimschema. Die Sprache ist relativ schlicht gehalten und greift dennoch das komplexe Thema der Landflucht auf. Ringelnatz gelingt es, die widersprüchlichen Gefühle und der inneren Zerrissenheit des lyrischen Ichs durch seinen stakkatoartigen Stil und den wechselnden Rhythmus auszudrücken.
Abschließend wird die Unruhe des lyrischen Ichs mit dem letzten Satz „Nur im Ruhelosen ruht das Glück“ zusammengefasst, was die Ambivalenz der Gefühle und den ewigen Kreislauf aus Sehnsucht und Abstoßung symbolisiert. Damit zeigt das Gedicht auch den Konflikt zwischen Moderne und Tradition auf, der zu Zeiten Ringelnatz' und während der Weimarer Republik ein großes Thema war.
Weitere Informationen
Joachim Ringelnatz ist der Autor des Gedichtes „Landflucht“. 1883 wurde Ringelnatz in Wurzen geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1928. In Berlin ist der Text erschienen. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Moderne oder Expressionismus kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei Ringelnatz handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen. Das 122 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 27 Versen mit insgesamt 2 Strophen. Die Gedichte „Abschied von Renée“, „Abschiedsworte an Pellka“ und „Afrikanisches Duell“ sind weitere Werke des Autors Joachim Ringelnatz. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Landflucht“ weitere 560 Gedichte vor.
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