Köln–Brüssel–London von Joachim Ringelnatz

Ach, mir war seltsam. Nach dem Start erwog ich,
Ob’s komisch sei, wenn man sentimental
Denkt. Ach, zum ersten Male überflog ich –
Ein ehemaliger Seemann – den Kanal.
 
Im Sonnenwetter, das wir anfangs hatten,
Sah ich zur Erde. Lautlos eilend schlich
Tief unter uns, doch mit uns, unser Schatten.
Und ich ward traurig, als er plötzlich wich.
 
Und Brüssel dann. Ein kurzer Aufenthalt.
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Ich hab als Sieger dort einmal gelitten,
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Im Krieg. Ich habe dort nichts abzubitten.
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Und doch: es überlief mich kalt.
 
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Und weiter ging’s, durch wechselvolle Höhen,
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Nunmehr durch Grau und schwere Hagelböen.
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Doch mich betrank’s. Wie lange war es her,
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Daß ich zur See ging?! – Segelschiff und Meer! –
 
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Und als nun fern, dann näher der Kanal
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Auftauchte, ich die Küste überschwebte,
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War’s, daß ich nun zum zweiten Erstenmal
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Stolz, ehrlich staunend Globetrot erlebte.
 
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Die Ufer unsres Kontinents entschwanden.
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Zwei Dampfer sah ich, die mit ihren Wellen
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Scheinbar ganz still, wie starrgefroren standen.
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Dann brach die Sonne durch und wies mit hellen,
 
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Vergnügten Fingern auf das Inselland
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Und auf zwei Flieger. Diese zogen
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An uns vorbei, als wir den Kuchenrand
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Von Englands Küste überflogen.
 
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Land unter uns. Bis sich vom Flugplatz Croydon
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Blinkauf, blinkab ein Winkefeuer zeigte.
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Als dann sich unser Kahn zur Landung neigte,
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Wie brannte ich auf lang entbehrte Freuden.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.5 KB)

Details zum Gedicht „Köln–Brüssel–London“

Anzahl Strophen
8
Anzahl Verse
32
Anzahl Wörter
217
Entstehungsjahr
1929
Epoche
Moderne,
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Köln–Brüssel–London“ wurde von Joachim Ringelnatz, geboren am 7. August 1883 und verstorben am 17. November 1934, verfasst. Eine zeitliche Einordnung ist nicht konkret möglich, allerdings lässt sich sagen, dass es während der Lebenszeit von Ringelnatz, also stetig kurz vor oder während der Weimarer Republik, entstanden ist.

Der erste Eindruck des Gedichtes lässt eine Mischung aus Abenteuerlust, Melancholie und sentimentaler Rückblick vermuten. Es handelt von einer Reise des lyrischen Ichs von Köln über Brüssel nach London - eine Reise, die für das lyrische Ich symbolisch für seine Vergangenheit als Seemann steht.

Das lyrische Ich erzählt von seiner Reise, zu Beginn ist er sich nicht sicher, ob es komisch ist, sentimental über seinen ersten Flug zu denken. Er beschreibt seine Gerührtheit beim Blick auf den eigenen Schatten auf der Erde. In Brüssel erinnert er sich an seine Vergangenheit als Soldat im Krieg. Die Reise geht weiter durch verschiedene Wetterbedingungen, was ihn an seine Zeiten auf See erinnert. Beim Anblick des Kanals und der Küste fühlt er sich wieder wie ein Globetrotter. Schließlich landet der Flieger, und er verspürt die Sehnsucht nach lang entbehrten Freuden.

In Bezug auf Form und Sprache weist das Gedicht eine klare Gliederung auf, die sich über acht Strophen mit jeweils vier Versen erstreckt. Ringelnatz verwendet eine einfache, aber dennoch bildreiche Sprache, die sowohl die äußeren Ereignisse als auch die inneren Gefühle und Erinnerungen des lyrischen Ichs verdeutlicht. Die Struktur und die Wahl der Wörter und Phrasen spiegeln das Gefühl des Reisens und des Erinnerns wider, was den Eindruck der Nostalgie und Melancholie verstärkt. Es handelt sich um eine Reise in die Vergangenheit, sowohl real als auch metaphorisch. Ringelnatz erlaubt seinem lyrischen Ich, während der Reise in unterschiedliche Emotionen einzutauchen, von Unsicherheit bis hin zu Stolz und Freude.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Köln–Brüssel–London“ ist Joachim Ringelnatz. 1883 wurde Ringelnatz in Wurzen geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1929. Der Erscheinungsort ist Berlin. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Moderne oder Expressionismus zu. Der Schriftsteller Ringelnatz ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen. Das Gedicht besteht aus 32 Versen mit insgesamt 8 Strophen und umfasst dabei 217 Worte. Die Gedichte „...als eine Reihe von guten Tagen“, „7. August 1929“ und „Abendgebet einer erkälteten Negerin“ sind weitere Werke des Autors Joachim Ringelnatz. Zum Autor des Gedichtes „Köln–Brüssel–London“ haben wir auf abi-pur.de weitere 560 Gedichte veröffentlicht.

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