Kämpferloos von Rudolf Lavant

Seit aus der Kindheit unbestimmtem Dämmern
Ich in die Klarheit der Erkenntnis trat,
Seit ich geschaut mit junger Schläfe Hämmern,
Von Gram durchbebt, die finstre Sphinx, den Staat,
Seit ich gelernt, wie man ein Schwert sich schmiede,
Seit Farben ich und Fahne mir gewählt,
Floh, wie in Angst, mich Tag und Nacht der Friede,
Dem sich so gern die Seele doch vermählt.
 
Er ward zum Traum, zum Luftschloß goldenzinnig,
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Das lächelnd man in müß’ger Stunde baut,
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Ein Zukunftsbild, wie ahnungsvoll und sinnig
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Ein Mädchen es beim Abendläuten schaut,
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Ein Spuk, der spottend uns an Lagerfeuern
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Mit unsrer Heimath Lieblingsplätzen neckt,
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Bevor des Tages rosig Sicherneuern
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Uns rauh und streng mit Trommelwirbeln weckt.
 
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Erkennen heißt: ein Kämpferloos erküren,
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Wenn rasch und kräftig deines Herzens Schlag,
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Wenn dich der Aermsten bittre Noth zu rühren,
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Wenn Unrecht zu erbittern dich vermag,
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Wenn dich’s bei eines Freiheitsliedes Weisen
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Wie wilder Rosen linder Duft umweht,
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Wenn still und klar auf deinen Lebensreisen
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Der Stern der Wahrheit dir zu Häupten steht.
 
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Und nicht bloß trotzen heißt’s den Feuerröhren,
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Die ihren Strahl nach deinem Herzen sprühn,
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Es heißt zugleich zur Minderheit gehören,
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Es heißt zugleich, für „Wahngedanken" glühn;
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Es heißt zugleich, auf sich die Flüche laden
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Der Blinden alle, die da arm im Geist,
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Es heißt zugleich, bei dem gerad sich schaden,
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Dem man den Weg in schönre Lande weist.
 
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Was du auch thust, du wirst, du kannst der Hetze
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Der Bosheit und der Dummheit nicht entgehn;
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Sie schlafen nie, und außer dem Gesetze,
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In Bann und Acht wirst du vereinsamt stehn,
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Und wenn um dich den rothen Mantel schlagen
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Des Scheiterhaufens Flammen, wird zum Schluß
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Herbei ihr Scheit die fromme Einfalt tragen
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Wie bei dem Tod des Böhmenketzers Huß.
 
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Du wirst an hohen Fest- und Freudentagen,
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Wenn Fahnen rings und Laubgewinde wehn,
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Dich achselzuckend in die Büsche schlagen –
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Du wirst dein Volk, es wird dich nicht verstehn.
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Du schaust mit kühler, spöttischer Geberde,
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Verschränkten Arms und in Gedanken drein,
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Du möchtest nicht für alles Gold der Erde
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Ein Glied der Masse, die da jubelt, sein.
 
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Du hast nur wenig Freunde und Genossen,
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Die dir gesellt ein stummer Druck der Hand,
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Du hast kein Heim für deine zarten Sprossen
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Und, geht es schlimm, sogar kein Vaterland.
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Du bist der Welt ein warnendes Exempel,
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Und jeder Gimpel ohne Herz und Hirn
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Drückt ungestraft des Narrenthumes Stempel,
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Das Kainszeichen selbst auf deine Stirn.
 
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Der zarte Strauß, den in geweihten Stunden,
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Vom grünen Eichwald feierlich umbraust,
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Aus wilden Blumen sinnend du gewunden,
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Er wird von roher Bubenhand zerzaust.
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Laß immerhin in dir Gedanken reifen,
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Wie nur der Reinsten Hand der Zeit sie bot –
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Die edelsten der Lichtgedanken schleifen
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Sie johlend doch und pfeifend durch den Koth.
 
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Sei makellos im Reden und im Wandeln,
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Der Menge wird mit Zetern doch gelehrt,
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Du seist verderbt im Denken wie im Handeln,
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Von scheelem Neid und wilder Gier verzehrt.
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Und die es noch am besten mit dir meinen,
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Sie sind noch schlimmer als die Feinde fast;
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Sie sagen bittend: „Werft doch nicht mit Steinen –
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Er ist ein harmlos-träumender Phantast!"
 
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Und doch und doch – mein Mund verschmäht die Klage,
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Es hat mein Herz an Kleinmuth nie gekrankt.
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Wohl kamen düstre, bitter-schwere Tage,
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Doch hab’ ich nie gezaudert und geschwankt.
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Ja schüfe selbst ein ehern Schicksalswalten
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Verewigung des Unrechts und der Noth –
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Ich würde doch zu meiner Fahne halten
80 
Und meine Farben tragen noch im Tod! –
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (31.8 KB)

Details zum Gedicht „Kämpferloos“

Anzahl Strophen
10
Anzahl Verse
80
Anzahl Wörter
563
Entstehungsjahr
1893
Epoche
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichts „Kämpferloos“ ist Rudolf Lavant. Geboren wurde Lavant im Jahr 1844 und verstarb 1915. Das Gedicht datiert somit in die späte Phase des 19. bis frühe des 20. Jahrhunderts, eine Epoche, die oft als Zeit großer gesellschaftlicher, politischer und kultureller Veränderungen interpretiert wird.

Bereits beim ersten Lesen kann man feststellen, dass dieses Gedicht stark von Melancholie, Hoffnung aber auch Kampfbereitschaft geprägt ist.

Im Gedicht scheint es um das lyrische Ich zu gehen, das seine Erlebnisse und Gedanken beschreibt, seit es „aus der Kindheit unbestimmtem Dämmern“ in die „Klarheit der Erkenntnis“ trat. Es scheint so, als würde das lyrische Ich seine eigenen Erfahrungen erzählen und wie es zu der Person wurde, die es ist.

Der Inhalt lässt sich auf eine grundsätzliche Aussage reduzieren: Das lyrische Ich sieht sich selbst als eine Art Kämpfer, der sich gegen die Unbilden der Welt behaupten muss. Dieser Kämpfer scheint in vielerlei Hinsicht isoliert zu sein, sei es von der Gesellschaft, von seinen Mitbürgern oder sogar von seinen Freunden. Aber trotz dieser Isolation scheint das lyrische Ich nicht bereit, seinen Kampf aufzugeben.

Formal betrachtet handelt es sich um ein sehr langes Gedicht, das aus zehn Strophen besteht, die jeweils acht Verse haben. Die Sprache ist hochpoetisch und sehr bildhaft; sie zeichnet sich durch eine Vielzahl von Metaphern und bildhaften Beschreibungen aus. Dabei gibt es keine festen Reimformen.

Das gesamte Gedicht ist somit eine Art Manifest des lyrischen Ichs, das sich trotz aller Widerstände und Isolation dazu entschließt, für seine Überzeugungen zu kämpfen und sich nicht durch die Ablehnung der Gesellschaft entmutigen zu lassen. Es hinterfragt und kritisiert die Normen und Werte seiner Zeit und wählt bewusst den Weg des Widerstandes, obwohl dies Einsamkeit und Verachtung mit sich bringt. Es ist ein leidenschaftlicher Appell an die Leser, ihre eigene Position zu hinterfragen und gegebenenfalls den Mut zu haben, für das zu kämpfen, was sie für richtig halten. Es ist somit ein beeindruckendes Beispiel für die Kraft und Beständigkeit des freien Willens.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Kämpferloos“ ist Rudolf Lavant. Der Autor Rudolf Lavant wurde 1844 in Leipzig geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1893 zurück. Stuttgart ist der Erscheinungsort des Textes. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Naturalismus oder Moderne zugeordnet werden. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das 563 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 80 Versen mit insgesamt 10 Strophen. Der Dichter Rudolf Lavant ist auch der Autor für Gedichte wie „Agrarisches Manifest“, „An Herrn Crispi“ und „An das Jahr“. Zum Autor des Gedichtes „Kämpferloos“ haben wir auf abi-pur.de weitere 96 Gedichte veröffentlicht.

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