Kunst und Liebe von Ludwig Tieck

Wandeln nicht viele Geister schon im Orkus,
Weil der Körper noch träge hier sich quälet,
Sonn’ und Mond sie wechseln und gehn vorüber,
Sieh, er bemerkt’s nicht.
 
Wunderlich stehn sie da im Frühlingslichte,
Umgetrieben von tosenden Weltgeschäften;
Keinen Ton der singenden Schöpfung in ihr
Enges Gefängniß!
 
Gütige Gottheit! höre, was ich bitte,
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Noch thun rauschende Wälder, bunte Blumen,
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Nachtigallen, Lerchen, das Frühlingsleben
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Mit mir befreundet;
 
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Thränen bezahl’ ich noch den großen Meistern,
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Ihre Schöpfung entrückt mir weltlich Treiben,
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Daß ich gleich dem Trunkenen frölich taumle
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Sonnengeblendet,
 
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Ach! und in schönerm Wahnsinn fliegt mir selber
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Kunst mit allen den Meistern traumgleich abwärts
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Und im einsam glänzenden Aether bleibt nur
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Ich und die Liebe,
 
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Gönne mir noch dies schöne Jugendleben;
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Laß zum nüchternen Hohn mich nie erwachen,
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Daß ich ernst und weise dann auf mich selber
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Lächle voll Mitleid.
 
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Wird die Natur mir fremd und denk’ ich nicht mehr
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Zitternd, Rafael, klingt ihr süßer Nahme
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Nicht im Herzen, schnell o ihr gütgen Parzen
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Reißet den Faden!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.1 KB)

Details zum Gedicht „Kunst und Liebe“

Autor
Ludwig Tieck
Anzahl Strophen
7
Anzahl Verse
28
Anzahl Wörter
165
Entstehungsjahr
1799
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Kunst und Liebe“ stammt von Ludwig Tieck. Ludwig Tieck war ein deutscher Dichter, Schriftsteller, Übersetzer und herausragender Vertreter der Romantik, einem literarischen Zeitalter, das zwischen Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts angesiedelt ist.

Auf den ersten Blick scheint das Gedicht von der Unvereinbarkeit der künstlerischen und geistigen Existenz mit den realen und alltäglichen Belangen der Welt zu sprechen. Das lyrische Ich beschreibt Menschen, die in ihrer Alltagswelt gefangen sind und keine Verbindung zur universellen Schönheit und Harmonie aufbauen können.

Inhaltlich macht das lyrische Ich eine klare Unterscheidung zwischen Menschen, die in ihren täglichen Anforderungen gefangen sind und solchen, die sich der Kunst und Liebe hingeben können. Es betont die Bedeutung der Inspiration durch die Natur und die spirituelle Befriedigung, die durch das Eintauchen in Kunst und Liebe erreicht werden kann.

Formal besteht das Gedicht aus sieben Strophen mit je vier Versen. Die Sprache des Gedichts ist hochpoetisch und voller bildlicher Darstellungen. Es gibt einen fließenden Rhythmus und eine abstrakte, symbolische Sprache, die typisch für das romantische Zeitalter ist. Der auch im Titel aufgeworfene Dualismus von Kunst und Liebe zieht sich als roter Faden durch das Gedicht.

Raphael, den das lyrische Ich im letzten Vers erwähnt, ist höchstwahrscheinlich eine Anspielung auf den berühmten italienischen Maler und Architekten der Hochrenaissance, was die starke Verbindung des lyrischen Ichs zur Kunst unterstreicht. Der Ausdruck, dass die Parzen den Faden reißen sollen, wenn diese Verbindungen verloren gehen, zeigt die tiefe Verzweiflung des lyrischen Ichs gegenüber einem Leben ohne die Fähigkeit, Schönheit und Liebe wahrzunehmen und kreativ zu sein.

Zusammenfassend könnte man sagen, dass „Kunst und Liebe“ ein typisches Gedicht der Romantik ist, das das Ideal der künstlerischen Schöpfung und die tiefgreifende Bedeutung von Liebe und Schönheit betont. Gleichzeitig thematisiert es die Entfremdung des Menschen von der Natur und geistigen Welt durch den Alltag und die materielle Existenz.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Kunst und Liebe“ ist Ludwig Tieck. Der Autor Ludwig Tieck wurde 1773 in Berlin geboren. 1799 ist das Gedicht entstanden. In Tübingen ist der Text erschienen. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Romantik zugeordnet werden. Tieck ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Als Romantik wird die Epoche der Kunstgeschichte bezeichnet, deren Ausprägungen sich sowohl in der Literatur, Kunst und Musik als auch in der Philosophie niederschlugen. Die Epoche der Romantik lässt sich vom Ende des 18. Jahrhunderts bis ins späte 19. Jahrhundert verorten. Die literarische Romantik kann darauf aufbauend etwa auf die Jahre 1795 bis 1848 zeitlich eingeordnet werden. Die Epoche wird in Frühromantik (bis 1804), Hochromantik (bis 1815) und Spätromantik (bis 1848) unterschieden. Die Zeit der Romantik war für die Menschen in Europa von Umbrüchen geprägt. Die Französische Revolution (1789 - 1799) zog weitreichende Folgen für ganz Europa nach sich. Auch der Fortschritt in Technik und Wissenschaft, der den Beginn des industriellen Zeitalters einläutete, verunsicherte die Menschen und prägte die Gesellschaft. Weltflucht, Hinwendung zur Natur, Verklärung des Mittelalters (damalige Kunst und Architektur wurde nun wieder geschätzt), Rückzug in Fantasie- und Traumwelten, Betonung des Individuums und romantische Ironie sind typische Merkmale der Romantik. Die Themen der Romantik zeigen sich in verschiedenen Motiven und Symbolen. So gilt beispielsweise die Blaue Blume als das zentrale Motiv der romantischen Literatur. Sie symbolisiert Sehnsucht und Liebe und verbindet Natur, Mensch und Geist. Die Nacht hat ebenfalls eine besondere Bedeutung in der Literatur der Romantik. Sie ist der Schauplatz für viele weitere Motive dieser Epoche: Vergänglichkeit, Tod und nicht alltägliche, obskure Phänomene. Im ebenfalls in dieser Epoche zu findenden Spiegelmotiv zeigt sich die Hinwendung der Romantik zum Unheimlichen. Die äußere Form von romantischer Dichtung ist dabei völlig offen. Kein starres Schema grenzt die Literatur ein. Dies steht ganz im Gegensatz zu den strengen Normen der Klassik. In der Romantik entstehen erstmals Sammlungen so genannter Volkspoesie. Bekannte Beispiele dafür sind Grimms Märchen und die Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn. Doch bereits direkt nach Erscheinen wurde die literarische Bearbeitung (Schönung) durch die Autoren kritisiert, die damit ihre Rolle als Chronisten weit hinter sich ließen.

Das Gedicht besteht aus 28 Versen mit insgesamt 7 Strophen und umfasst dabei 165 Worte. Weitere Werke des Dichters Ludwig Tieck sind „Schmerz“, „Liebesgegenwart“ und „Der Abend sinkt hernieder“. Zum Autor des Gedichtes „Kunst und Liebe“ haben wir auf abi-pur.de weitere 18 Gedichte veröffentlicht.

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