Krieg dem Kriege von Kurt Tucholsky

Sie lagen vier Jahre im Schützengraben.
Zeit, große Zeit!
Sie froren und waren verlaust und haben
daheim eine Frau und zwei kleine Knaben,
weit, weit –!
 
Und keiner, der ihnen die Wahrheit sagt.
Und keiner, der aufzubegehren wagt.
Monat um Monat, Jahr um Jahr …
 
Und wenn mal einer auf Urlaub war,
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sah er zu Haus die dicken Bäuche.
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Und es fraßen dort um sich wie eine Seuche
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der Tanz, die Gier, das Schiebergeschäft.
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Und die Horde alldeutscher Skribenten kläfft:
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„Krieg! Krieg!
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Großer Sieg!
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Sieg in Albanien und Sieg in Flandern!“
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Und es starben die andern, die andern, die andern …
 
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Sie sahen die Kameraden fallen.
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Das war das Schicksal bei fast allen:
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Verwundung, Qual wie ein Tier, und Tod.
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Ein kleiner Fleck, schmutzigrot –
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und man trug sie fort und scharrte sie ein.
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Wer wird wohl der nächste sein?
 
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Und ein Schrei von Millionen stieg auf zu den Sternen.
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Werden die Menschen es niemals lernen?
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Gibt es ein Ding, um das es sich lohnt?
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Wer ist das, der da oben thront,
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von oben bis unten bespickt mit Orden,
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und nur immer befiehlt: Morden! Morden! –
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Blut und zermalmte Knochen und Dreck …
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Und dann hieß es plötzlich, das Schiff sei leck.
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Der Kapitän hat den Abschied genommen
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und ist etwas plötzlich von dannen geschwommen.
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Ratlos stehen die Feldgrauen da.
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Für wen das alles? Pro patria?
 
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Brüder! Brüder! Schließt die Reihn!
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Brüder! das darf nicht wieder sein!
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Geben sie uns den Vernichtungsfrieden,
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ist das gleiche Los beschieden
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unsern Söhnen und euern Enkeln.
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Sollen die wieder blutrot besprenkeln
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die Ackergräben, das grüne Gras?
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Brüder! Pfeift den Burschen was!
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Es darf und soll so nicht weitergehn.
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Wir haben alle, alle gesehn,
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wohin ein solcher Wahnsinn führt –
 
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Das Feuer brannte, das sie geschürt.
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Löscht es aus! Die Imperialisten,
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die da drüben bei jenen nisten,
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schenken uns wieder Nationalisten.
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Und nach abermals zwanzig Jahren
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kommen neue Kanonen gefahren. –
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Das wäre kein Friede.
 
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Das wäre Wahn.
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Der alte Tanz auf dem alten Vulkan.
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Du sollst nicht töten! hat einer gesagt.
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Und die Menschheit hörts, und die Menschheit klagt.
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Will das niemals anders werden?
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Krieg dem Kriege!
60 
Und Friede auf Erden.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (28 KB)

Details zum Gedicht „Krieg dem Kriege“

Anzahl Strophen
8
Anzahl Verse
60
Anzahl Wörter
349
Entstehungsjahr
1919
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Krieg dem Kriege“ wurde von Kurt Tucholsky verfasst, der von 1890 bis 1935 lebte. Tucholsky war ein berühmter deutscher Journalist und Schriftsteller, der für seinen politischen Aktivismus und seine satirischen und kritischen Texte bekannt war. Aufgrund der Zeit, in der Tucholsky lebte und schrieb, kann das Gedicht historisch in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und vor dem Zweiten Weltkrieg eingeordnet werden, eine Zeit massiver politischer und sozialer Veränderungen in Deutschland und Europa.

Auf den ersten Blick handelt das Gedicht von Krieg und Frieden. Es spricht die Grausamkeit des Krieges an und fordert den Frieden. Inhaltlich besteht es aus acht Strophen, die das Leid der Kriegsteilnehmer und ihre Verzweiflung darstellen. Das lyrische Ich kritisiert nicht nur Krieg an sich, sondern auch diejenigen, die ihn führen und von ihm profitieren, während die Soldaten und ihre Familien leiden. Es thematisiert zudem den zyklischen Charakter von Krieg und Frieden, indem es warnt, dass, wenn nichts geändert wird, ein weiterer Krieg unausweichlich ist.

Die Form des Gedichts ist recht frei, mit unterschiedlichen Anzahlen von Versen in jeder Strophe. Die Sprache ist direkt und ungeschmückt, was die Botschaft des Gedichts verstärkt. Es nutzt wiederholte Phrasen wie „Krieg dem Kriege“ und „Friede auf Erden“, die sowohl als Refrain als auch als Aufruf zum Handeln dienen.

Insgesamt ist „Krieg dem Kriege“ eine eindringliche Kritik an Krieg und Militarismus. Es ruft zur Ablehnung von Krieg auf und fordert stattdessen Frieden. Dabei kritisiert es die Verantwortlichen, die Kriege führen und von ihnen profitieren, während die Soldaten und ihre Familien leiden. Es mahnt die Leser, aus der blutigen Vergangenheit zu lernen und einen anderen Weg zu wählen, um ein ähnliches Schicksal in der Zukunft zu verhindern. Krieg, so betont das Gedicht, führt nur zu Leid und Elend, und es ist an der Zeit, diese endlose Spirale zu durchbrechen.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Krieg dem Kriege“ des Autors Kurt Tucholsky. Tucholsky wurde im Jahr 1890 in Berlin geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1919 entstanden. Berlin ist der Erscheinungsort des Textes. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zugeordnet werden. Bei dem Schriftsteller Tucholsky handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Der Erste Weltkrieg von 1914 bis 1918 und die daraufhin folgende Entstehung und der Fall der Republik hatten erheblichen Einfluss auf die Literatur der Weimarer Republik. Neue Sachlichkeit ist eine Richtung der Literatur der Weimarer Republik. In den Werken dieser Zeit ist die zwischen den Weltkriegen hervortretende Tendenz zu illusionsloser und nüchterner Darstellung von Gesellschaft, Technik, Weltwirtschaftskrise aber auch Erotik deutlich erkennbar. Man kann dies auch als Reaktion auf den literarischen Expressionismus werten. Die Handlung wurde meist nur kühl und distanziert beobachtet. Die Dichter orientierten sich dabei an der Realität. Mit einem Minimum an Sprache wollte man ein Maximum an Bedeutung erreichen. Mit den Texten sollten so viele Menschen wie möglich erreicht werden. Deshalb wurde darauf geachtet eine nüchterne sowie einfache Alltagssprache zu verwenden. Viele Schriftsteller litten unter der Zensur in der Weimarer Republik. Im Jahr 1922 wurde nach einem Attentat auf den Reichsaußenminister das Republikschutzgesetz erlassen, das die zunächst verfassungsmäßig garantierte Freiheit von Wort und Schrift in der Weimarer Republik deutlich einschränkte. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die teils in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz verstärkte die Grenzen der Zensur nochmals. Später als die Pressenotverordnung im Jahr 1931 in Kraft trat, war sogar die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate möglich.

Als Exilliteratur wird die Literatur von Schriftstellern bezeichnet, die unfreiwillig Zuflucht im Ausland suchen müssen, weil ihre Person oder ihr Werk im Heimatland bedroht sind. Für die Flucht ins Exil geben meist politische oder religiöse Gründe den Ausschlag. Die Exilliteratur in Deutschland entstand in den Jahren von 1933 bis 1945 als Literatur der Gegner des Nationalsozialismus. Dabei spielten zum Beispiel die Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 und der deutsche Überfall auf die Nachbarstaaten Deutschlands 1938/39 eine ausschlaggebende Rolle. Die deutsche Exilliteratur schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an und bildet damit eine eigene Literaturepoche in der deutschen Literaturgeschichte. Die Exilliteratur lässt sich insbesondere an den typischen Themenschwerpunkten wie Sehnsucht nach der Heimat, Widerstand gegen Nazi-Deutschland oder Aufklärung über den Nationalsozialismus ausmachen. Anders als andere Epochen der Literatur, die zum Beispiel bei der formalen Gestaltung (also in Sachen Metrum, Reimschema oder dem Gebrauch bestimmter rhetorischer Mittel) ganz charakteristische Merkmale aufweisen, ist die Exilliteratur nicht durch bestimmte formale Merkmale gekennzeichnet. Die Exilliteratur weist häufig einen Pluralismus der Stile (Realismus und Expressionismus), eine kritische Betrachtung der Wirklichkeit und eine Distanz zwischen Werk und Leser oder Publikum auf. Sie hat häufig die Absicht zur Aufklärung und möchte gesellschaftliche Entwicklungen aufzeigen (wandelnder Mensch, Abhängigkeit von der Gesellschaft).

Das vorliegende Gedicht umfasst 349 Wörter. Es baut sich aus 8 Strophen auf und besteht aus 60 Versen. Weitere Werke des Dichters Kurt Tucholsky sind „An das Publikum“, „An die Meinige“ und „An einen garnisondienstfähigen Dichter“. Zum Autor des Gedichtes „Krieg dem Kriege“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 136 Gedichte vor.

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