Kino von Kurt Tucholsky

Wird Gustav, der Kommis, entlassen?
Seit einer halben Stunde weiß ichs nicht …
Die greise Mutter löffelt, was sie kriegt,
aus dicken Untertassen.
 
Nun kommt der Chef! Mit schüttern Bartkoteletten
und einem Mimenmund und uhrgeschmücktem Bauch …
Dumpf buchstabiert das Publikum: „Nee – ü-ber – Ihnen – a-ber – auch… “
Da gibt es nichts zu retten.
 
Hier stehen Mutter, Tochter, Hund und Chef und seine Leiche!
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Nun aber steigt auf einer Geige jählings himmelan
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ein Lauf, der seinerseits im Baß begann …
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Die nächste Nummer: „Jacob auf der Eiche.“
 
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Humor! Man lacht! Wes Auge blieb da trocken?!
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Die Hose – denken Sie – zer–hi–zerriß!
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Vergessen ist die Tränenkümmernis
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und jene Totenglocken …
 
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Doch jetzt erblick ich einen Fürsten oben,
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der weiht mit seinem Helmbusch etwas ein –
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ja, sollt dies wirklich Herzog Albrecht sein?
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Und kurz und gut: Hier fühl ich mich erhoben!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.6 KB)

Details zum Gedicht „Kino“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
20
Anzahl Wörter
134
Entstehungsjahr
1919
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Kino“ stammt von Kurt Tucholsky, einem der bekanntesten Journalisten und Schriftsteller der Weimarer Republik, und wurde wahrscheinlich in den 1920er oder 1930er Jahren verfasst.

Nach der ersten Durchsicht dieses Gedichts lassen sich mehrere Züge erkennen. Die Worte sind geprägt von Ironie und Ernsthaftigkeit, wie es typisch für Tucholsky ist. Der Text beschreibt die Gedanken und Gefühle des lyrischen Ichs, während es im Kino sitzt und einen Film anschaut. Die Szenen wechseln schnell, und die Stimmungen schwanken zwischen Komik, Tragik und Pathos.

Der Inhalt des Gedichts dreht sich um das Erlebnis des lyrischen Ichs im Kino. Es verfolgt verschiedene Filmszenen, beginnend mit der Darstellung einer Entlassung und der Reaktion einer alten Mutter. Als nächstes tritt ein Chef in Erscheinung, was beim Publikum keine Hoffnungen weckt. Daraufhin verdichtet sich die Handlung um Familie, Tod und einen Lauf, bevor der Film mit humoristischen Elementen die Tragik des vorherigen Verlaufs auflockert. Am Ende scheint sich das lyrische Ich jedoch in der Darstellung eines Fürsten sowie historischer Ereignisse wiederzufinden. Insgesamt kritisiert das lyrische Ich die Unterhaltungsindustrie und deren manipulative Wirkung auf das Publikum.

Das Gedicht ist in einer konventionellen Form verfasst, wobei jede Strophe aus vier Versen besteht. Tucholsky nutzt einen schlichten, klaren Sprachstil, der den Alltag widerspiegelt und die Absurdität des Films skizziert. Er spielt mit Metaphern und Wortspielen und lässt das lyrische Ich mal ironisch, mal ernsthaft kommentieren. Damit schafft er eine Atmosphäre der Zerrissenheit zwischen der realen und der filmischen Welt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Kino“ ein kritisches und hinterfragendes Gedicht ist, das die Rolle der Medien in der Gesellschaft und deren Einfluss auf die Wahrnehmung von Realität beleuchtet. Tucholsky gelingt es, mithilfe seiner pointierten Sprache und seiner ironischen Sichtweise auf das Kino, eine tiefe Diskrepanz zwischen Schein und Sein zu offenbaren.

Weitere Informationen

Kurt Tucholsky ist der Autor des Gedichtes „Kino“. Geboren wurde Tucholsky im Jahr 1890 in Berlin. Im Jahr 1919 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Charlottenburg. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zugeordnet werden. Der Schriftsteller Tucholsky ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

In der Literatur der Weimarer Republik wurden inhaltlich häufig die Ereignisse des Ersten Weltkrieges verarbeitet. Sowohl der Erste Weltkrieg als auch die späteren politischen Gegebenheiten der Weimarer Republik sind prägende Faktoren für diese Epoche. Die Neue Sachlichkeit in der Literatur der Weimarer Republik ist von Nüchternheit und distanzierter Betrachtung der Welt gekennzeichnet und politisch geprägt. Es wurde eine Alltagssprache verwendet um mit den Texten so viele Menschen wie möglich anzusprechen. Viele Schriftsteller litten unter der Zensur in der Weimarer Republik. Im Jahr 1922 wurde nach einem Attentat auf den Reichsaußenminister das Republikschutzgesetz erlassen, das die zunächst verfassungsmäßig garantierte Freiheit von Wort und Schrift in der Weimarer Republik deutlich einschränkte. In der Praxis wurde dieses Gesetz allerdings nur gegen linke Autoren angewandt. Aber gerade die rechts gerichteten Schriftsteller waren es häufig, die in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Die Grenzen der Zensur wurden 1926 durch das sogenannte Schund- und Schmutzgesetz nochmals verstärkt. Die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen wurden durch die Pressenotverordnung im Jahr 1931 ermöglicht.

Im Laufe der Geschichte gab es immer wieder Schriftsteller, die ins Exil gehen, also ihr Heimatland verlassen mussten. Dies geschah insbesondere zu Zeiten des Nationalsozialismus. Die Exilliteratur geht aus diesem Umstand hervor. Der Ausgangspunkt der Exilbewegung Deutschlands war der Tag der Bücherverbrennung am 30. Mai 1933. Die Exilliteratur bildet eine eigene Epoche in der deutschen Literaturgeschichte. Sie schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an. Themen wie Verlust der eigenen Kultur, existenzielle Probleme, Sehnsucht nach der Heimat oder Widerstand gegen das nationalsozialistische Deutschland sind typisch für diese Epoche der Literatur. Anders als andere Epochen der Literatur, die zum Beispiel bei der formalen Gestaltung (also in Sachen Metrum, Reimschema oder dem Gebrauch bestimmter rhetorischer Mittel) ganz charakteristische Merkmale aufweisen, ist die Exilliteratur nicht durch bestimmte formale Merkmale gekennzeichnet. Die Exilliteratur weist häufig einen Pluralismus der Stile (Realismus und Expressionismus), eine kritische Betrachtung der Wirklichkeit und eine Distanz zwischen Werk und Leser oder Publikum auf. Sie hat häufig die Absicht zur Aufklärung und möchte Gesellschaftsentwicklungen aufzeigen (wandelnder Mensch, Abhängigkeit von der Gesellschaft).

Das vorliegende Gedicht umfasst 134 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 20 Versen. Die Gedichte „Also wat nu – ja oder ja?“, „An Lukianos“ und „An Peter Panter“ sind weitere Werke des Autors Kurt Tucholsky. Zum Autor des Gedichtes „Kino“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 136 Gedichte vor.

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