Kastraten und Männer von Friedrich Schiller
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Ich bin ein Mann! – wer ist es mehr? |
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Wers sagen kann, der springe |
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Frei unter Gottes Sonn einher |
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Und hüpfe hoch und singe! |
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Zu Gottes schönem Ebenbild |
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Kann ich den Stempel zeigen, |
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Zum Born woraus der Himmel quillt |
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Darf ich hinunter steigen. |
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Und wol mir, daß ichs darf und kann! |
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Geht’s Mädchen mir vorüber, |
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Rufts laut in mir. Du bist ein Mann! |
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Und küsse sie so lieber. |
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Und röther wird das Mädchen dann, |
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Und ’s Mieder wird ihr enge – |
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Das Mädchen weißt, ich bin ein Mann, |
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Drum wird ihr ’s Mieder enge. |
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Wie wird sie erst um Gnade schrei’n, |
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Ertapp ich sie im Bade? |
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Ich bin ein Mann, das fällt ihr ein, |
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Wie schrie sie sonst um Gnade? |
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Ich bin ein Mann, mit diesem Wort, |
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Begegn’ ich ihr alleine, |
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Jag ich des Kaisers Tochter fort, |
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So lumpicht ich erscheine. |
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Und dieses goldne Wörtchen macht |
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Mir manche Fürstin holde, |
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Mich ruft sie – habt indessen Wacht |
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Ihr Buben dort im Golde! |
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Ich bin ein Mann, das könnt ihr schon |
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An meiner Leier riechen, |
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Sie donnert wie im Sturm davon, |
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Sonst würde sie ja kriechen. |
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Zum Feuergeist im Rückenmark |
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Sagt meine Mannheit: Bruder; |
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Und herrschen beide löwenstark |
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Umarmend an dem Ruder. |
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Aus eben diesem Schöpferfluß, |
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Woraus wir Menschen sprudeln, |
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Quillt Götterkraft und Genius, |
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Nur leere Pfeifen dudeln. |
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Tyrannen haßt mein Talisman |
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Und schmettert sie zu Boden, |
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Und kann er’s nicht, führt er die Bahn |
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Freiwillig zu den Todten. |
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Pompejen hat mein Talisman |
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Bei Pharsalus bezwungen, |
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Roms Wollüstlinge Mann für Mann |
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Auf teutschen Sand gerungen. |
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Saht ihr den Römer stolz und kraus |
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In Afrika dort sizen? |
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Sein Aug speit Feuerflammen aus |
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Als säht ihr Hekla blizen. |
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Da kommt ein Bube wolgemut, |
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Gibt manches zu verstehen – |
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„Sprich, du hättst auf Karthago’s Schutt |
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Den Marius gesehen!“ – |
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So spricht der stolze Römersmann, |
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Der Bub thät fürbaß eilen; |
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Das dankt der stolze Römersmann, |
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Das dankt er seinen Pfeilen! |
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Drauf thäten seine Enkel sich |
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Ihr Erbtheil gar abdrehen, |
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Und huben jedermänniglich |
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Anmuthig an zu krähen. – |
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O Pfui, und Pfui und wieder Pfui |
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Den Elenden! – sie haben einem Hui |
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Des Himmels beste Gaben. |
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Dem lieben Herrgott sündiglich |
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Sein Konterfei verhunzet, |
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Und in die Menschheit schweiniglich |
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Von diesem Nu gegrunzet. |
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Und schlendern elend durch die Welt, |
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Wie Kürbisse von Buben |
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Zu Menschenköpfen ausgehölt, |
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Die Schädel leere Stuben! |
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Wie Wein von einem Chemikus |
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Durch die Retort getrieben, |
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Zum Teufel ist der Spiritus, |
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Das Flegma ist geblieben. |
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Und fliehen jedes Weibsgesicht, |
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Und zittern es zu sehen, – |
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Und dörften sie – und können nicht! |
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Da möchten sie vergehen! – |
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Und wenn das blonde Seidenhaar, |
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Und wenn die Kugelwaden, |
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Wenn lüstern Mund und Augenpaar |
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Zum Lustgenusse laden, |
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Und zehenmal das Halstuch fällt, |
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Und aus den losen Schlingen, |
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Halbkugeln einer bessern Welt, |
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Die vollen Brüste springen, – |
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Führt gar der höllsche Schadenfroh |
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Sie hin, wo Nimfen baden, |
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Daß ihre Herzen lichterloh |
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Von diebschen Flammen braten, |
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Wo ihrem Blik der Spiegelfluß |
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Elisium entziffert, |
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Arkana die kein Genius |
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Dem Aug je blos geliefert, |
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Und Ja! die tollen Wünsche schrei’n, |
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Und Nein! die Sinne brummen – |
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O Tantal! stell dein Murren ein! |
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Du bist noch gut durchkommen! – |
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Kein kühler Tropfen in den Brand! |
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Das heiß’ ich auch beteufeln! |
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Gefühl ist Ihnen Kontreband, |
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Sonst müssen sie verzweifeln! |
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Drum fliehn sie jeden Ehrenmann, |
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Sein Glük wird sie betrüben – |
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Wer keinen Menschen machen kann, |
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Der kann auch keinen lieben. |
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Drum tret ich frei und stolz einher |
113 |
Und brüste mich und singe: |
114 |
Ich bin ein Mann! – Wer ist es mehr? |
115 |
Der hüpfe hoch und springe. |
Details zum Gedicht „Kastraten und Männer“
Friedrich Schiller
29
115
573
1782
Sturm & Drang,
Klassik
Gedicht-Analyse
Das von dir bereitgestellte Gedicht „Kastraten und Männer“ ist von Friedrich Schiller, einem bedeutenden deutschen Dichter der Weimarer Klassik, der von 1759 bis 1805 lebte. Eine genaue zeitliche Einordnung ist schwierig, da das Gedicht nicht zu Schillers bekanntesten Werken gehört, es jedoch im Kontext seiner übrigen Lyrik und den Themen, die er in dieser Phase seines Lebens behandelte, zu vermuten ist, dass es während seiner Zeit in Weimar entstanden sein könnte.
Beim ersten Eindruck fällt die wiederholte Betonung des lyrischen Ichs als „Mann“ auf. Es drückt damit eine starke Selbstbewusstheit aus und positioniert sich im Kontext von Geschlecht und Sexualität.
Inhaltlich führt das lyrische Ich aus, was es bedeutet, ein Mann zu sein. Es hebt die Freiheit und Stärke hervor, die es damit verbindet, und betont seine sexuelle Potenz. Gleichzeitig wirft es einen kritischen Blick auf diejenigen, die aufgrund von Kastration diese Eigenschaften nicht besitzen können. Es sind die „Kastraten“, für die die sinnliche Welt der körperlichen Liebe ein unbegreifliches Mysterium bleibt.
Formal besteht das Gedicht aus zahlreichen Strophen, die jeweils aus vier Versen bestehen (mit Ausnahme der siebzehnten Strophe, die nur drei Verse hat). Schiller wechselt häufig die Metrik und benutzt eine lebendige, teils humorvolle Sprache, die dem Gedicht eine gewisse Leichtigkeit verleiht. Dabei benutzt er oft bildhafte Ausdrücke und Vergleiche, um seine Gedanken zu verdeutlichen.
In der Sprachanalyse fällt auf, dass Schiller mit dem Geschlechterbild seiner Zeit spielt. Einerseits bejaht er das traditionelle Bild des starken, selbstbewussten Mannes, andererseits bricht er mit diesem Bild, indem er das Ideal des Mannes nicht auf körperliche Stärke oder sexuelle Potenz reduziert, sondern vielmehr Selbstbewusstsein, Freiheit und die Fähigkeit zu lieben in den Mittelpunkt stellt.
Zusammengefasst repräsentiert das Gedicht „Kastraten und Männer“ Schillers kritischen Blick auf Geschlechterkonzepte seiner Zeit und sein Bestreben, diese zu hinterfragen und neu zu definieren.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Kastraten und Männer“ des Autors Friedrich Schiller. Geboren wurde Schiller im Jahr 1759 in Marbach am Neckar, Württemberg. Das Gedicht ist im Jahr 1782 entstanden. Stuttgart ist der Erscheinungsort des Textes. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zuordnen. Bei Schiller handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.
Die Epoche des Sturm und Drang ist eine Strömung in der deutschen Literaturgeschichte, die häufig auch als Genieperiode oder Geniezeit bezeichnet wird. Die Literaturepoche ordnet sich nach der Epoche der Empfindsamkeit und vor der Klassik ein. Sie lässt sich auf die Zeit zwischen 1765 und 1790 eingrenzen. Die Literaturepoche des Sturm und Drang war eine Protestbewegung, die aus der Aufklärung hervorging. Der Protest richtete sich dabei gegen den Adel und dessen höfische Welt, sowie andere absolutistische Obrigkeiten. Er richtete sich darüber hinaus auch gegen das Bürgertum, das als eng und freudlos galt, und dessen Moralvorstellungen veraltet waren. Als Letztes richtete sich der Protest der Epoche des Sturm und Drang gegen Traditionen in der Literatur. Die Autoren der Epoche des Sturm und Drangs waren häufig unter 30 Jahre alt. Die Schriftsteller versuchten in den Dichtungen eine geeignete Sprache zu finden, um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Es wurde eine eigene Jugendsprache und Jugendkultur mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Halbsätzen und Wiederholungen geschaffen. Die alten Werke vorangegangener Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Mit seinen beiden bedeutenden Vertretern Schiller und Goethe entwickelte sich der Sturm und Drang weiter und ging in die Weimarer Klassik über.
Die Epoche der Klassik beginnt nach heutiger Auffassung mit der Italienreise Goethes, die er im Jahr 1786 im Alter von 36 Jahren machte. Das Ende der Epoche wird auf 1832 datiert. In der Klassik wurde die Literatur durch Einflüsse der Französischen Revolution, die ziemlich zu Beginn der Epoche stattfand, entscheidend geprägt. In der Französischen Revolution setzten sich die Menschen dafür ein, dass für alle die gleichen Rechte gelten sollten. Sowohl die Bezeichnung Klassik als auch die Bezeichnung Weimarer Klassik sind gebräuchlich. Das literarische Zentrum dieser Epoche lag in Weimar. Die Autoren der Klassik wollten die antiken Stoffe aufleben lassen. Mit der antiken Kunst beschäftigte sich Goethe während seiner Italienreise. Die Antike gilt nun als Ideal, um Harmonie und Vollkommenheit zu erreichen. Charakteristisch ist ein hohes Sprachniveau und eine reglementierte Sprache. Diese reglementierte Sprache verdeutlicht im Vergleich zum natürlichen Sprachideal des Sturm und Drang mit all seinen Derbheiten den Ausgleich zwischen Vernunft und Gefühl. Die Vertreter der Epoche haben in der Klassik auf Gestaltungs- und Stilmittel aus der Antike zurückgegriffen. Die Hauptvertreter der Weimarer Klassik sind Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe, Johann Gottfried Herder und Christoph Martin Wieland. Einen künstlerischen Austausch im Sinne einer gemeinsamen Arbeit gab es jedoch nur zwischen Schiller und Goethe.
Das vorliegende Gedicht umfasst 573 Wörter. Es baut sich aus 29 Strophen auf und besteht aus 115 Versen. Friedrich Schiller ist auch der Autor für Gedichte wie „An die Sonne“, „An einen Moralisten“ und „Bacchus im Triller“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Kastraten und Männer“ weitere 220 Gedichte vor.
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