Karl der Zwölfte von Schweden reitet in der Ukraine von Rainer Maria Rilke
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Könige in Legenden |
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sind wie Berge im Abend. Blenden |
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jeden zu dem sie sich wenden. |
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Die Gürtel um ihre Lenden |
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und die lastenden Mantelenden |
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sind Länder und Leben wert. |
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Mit den reichgekleideten Händen |
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geht, schlank und nackt, das Schwert. |
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Ein junger König aus Norden war |
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in der Ukraine geschlagen. |
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Der hasste Frühling und Frauenhaar |
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und die Harfen und was sie sagen. |
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Der ritt auf einem grauen Pferd, |
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sein Auge schaute grau |
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und hatte niemals Glanz begehrt |
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zu Füßen einer Frau. |
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Keine war seinem Blicke blond, |
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keine hat küssen ihn gekonnt, |
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und wenn er zornig war, |
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so riß er einen Perlenmond |
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aus wunderschönem Haar. |
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Und wenn ihn Trauer überkam, |
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so machte er ein Mädchen zahm |
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und forschte, wessen Ring sie nahm |
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und wem sie ihren bot – |
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und: hetzte ihr den Bräutigam |
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mit hundert Hunden tot. |
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Und er verließ sein graues Land, |
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das ohne Stimme war, |
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und ritt in einen Widerstand |
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und kämpfte um Gefahr, |
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bis ihn das Wunder überwand: |
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wie träumend ging ihm seine Hand |
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von Eisenband zu Eisenband |
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und war kein Schwert darin; |
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er war zum Schauen aufgewacht: |
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es schmeichelte die schöne Schlacht |
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um seinen Eigensinn. |
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Er saß zu Pferde: ihm entging |
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keine Gebärde rings. |
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Auf Silber sprach jetzt Ring zu Ring, |
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und Stimme war in jedem Ding, |
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und wie in vielen Glocken hing |
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die Seele jedes Dings. |
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Und auch der Wind war anders groß, |
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der in die Fahnen sprang, |
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schlank wie ein Panther, atemlos |
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und taumelnd vom Trompetenstoß, |
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der lachend mit ihm rang. |
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Und manchmal griff der Wind hinab: |
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da ging ein Blutender, – ein Knab, |
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welcher die Trommel schlug; |
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er trug sie immer auf und ab |
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und trug sie wie sein Herz ins Grab |
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vor seinem toten Zug. |
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Da wurde mancher Berg geballt, |
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als wär die Erde noch nicht alt |
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und baute sich erst auf; |
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bald stand das Eisen wie Basalt, |
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bald schwankte wie ein Abendwald |
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mit breiter steigender Gestalt |
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der großbewegte Hauf. |
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Es dampfte dumpf die Dunkelheit, |
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was dunkelte war nicht die Zeit, – |
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und alles wurde grau, |
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aber schon fiel ein neues Scheit, |
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und wieder ward die Flamme breit |
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und festlich angefacht. |
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Sie griffen an: in fremder Tracht |
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ein Schwarm phantastischer Provinzen; |
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wie alles Eisen plötzlich lacht: |
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von einem silberlichten Prinzen |
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erschimmerte die Abendschlacht. |
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Die Fahnen flatterten wie Freuden |
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und alle hatten königlich |
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in ihren Gesten ein Vergeuden, – |
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an fernen flammenden Gebäuden |
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entzündeten die Sterne sich … |
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Und Nacht war. Und die Schlacht trat sachte |
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zurück wie ein sehr müdes Meer, |
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das viele fremde Tote brachte, |
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und alle Toten waren schwer. |
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Vorsichtig ging das graue Pferd |
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(von großen Fäusten abgewehrt) |
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durch Männer, welche fremd verstarben, |
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und trat auf flaches, schwarzes Gras. |
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Der auf dem grauen Pferde saß, |
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sah unten auf den feuchten Farben |
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viel Silber wie zerschelltes Glas. |
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Sah Eisen welken, Helme trinken |
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und Schwerter stehn in Panzernaht, |
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sterbende Hände sah er winken |
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mit einem Fetzen von Brokat … |
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Und sah es nicht. |
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Und ritt dem Lärme |
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der Feldschlacht nach, als ob er schwärme |
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mit seinen Wangen voller Wärme |
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und mit den Augen von Verliebten … |
Details zum Gedicht „Karl der Zwölfte von Schweden reitet in der Ukraine“
Rainer Maria Rilke
5
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495
1906
Moderne
Gedicht-Analyse
Der Autor des Gedichts „Karl der Zwölfte von Schweden reitet in der Ukraine“ ist Rainer Maria Rilke, einer der bedeutendsten Lyriker der deutschen Literatur. Es fällt in die Epoche des Symbolismus und wurde wahrscheinlich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschrieben.
Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht wie eine epische Erzählung von König Karl XII. von Schweden, der eine strategische Expedition in die Ukraine unternimmt. Der Inhalt beschreibt die Reise und die Schlacht des Königs, bevorzugt in einer metaphorischen Sprache.
Das lyrische Ich stellt König Karl in den ersten Strophen als einen strengen und unzugänglichen Monarchen dar, der mehr an Schlachten als an persönlichen Beziehungen interessiert ist. Das ändert sich im Laufe des Gedichts, als Rilke eine innere Veränderung in Karl darstellt. Nach mehreren Schlachten beginnt Karl, die Welt mit offeneren Augen zu sehen und die Schönheit in den kleinen, scheinbar unbedeutenden Dingen zu erkennen.
Das gesamte Gedicht ist in freien Versen geschrieben und es gibt keine festen Reimformen oder ein regelmäßiges Metrum. Allerdings kann man die Sprache von Rilke als metaphorisch und bildreich beschreiben. Er benutzt zahlreiche Vergleiche und Metaphern um die innere Welt von Karl XII. darzustellen.
Rilke erschafft hier eine Art Heldenlied auf den schwedischen König Karl XII., der in den Schlachten einen inneren Wandel durchmacht und die Welt und vielleicht auch sich selbst aus einem anderen Licht sieht. Es könnte auch als eine symbolische Darstellung des inneren Kampfes zwischen dem persönlichen Ich und den gesellschaftlichen Erwartungen und Pflichten interpretiert werden. Durch die ausführlichen Beschreibungen und die metaphorische Sprache wirkt das Gedicht sehr lebendig und berührend.
Weitere Informationen
Rainer Maria Rilke ist der Autor des Gedichtes „Karl der Zwölfte von Schweden reitet in der Ukraine“. Geboren wurde Rilke im Jahr 1875 in Prag. Das Gedicht ist im Jahr 1906 entstanden. Der Erscheinungsort ist Berlin / Leipzig, Stuttgart. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Moderne zuordnen. Der Schriftsteller Rilke ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 495 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 98 Versen. Rainer Maria Rilke ist auch der Autor für Gedichte wie „Am Kirchhof zu Königsaal“, „Am Rande der Nacht“ und „An Julius Zeyer“. Zum Autor des Gedichtes „Karl der Zwölfte von Schweden reitet in der Ukraine“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 338 Gedichte vor.
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