Kapitalisten-Klage von Rudolf Lavant

Durch unsrer Börsenhallen Höh' und Weite
Geht immerzu ein penetrant Gestänkchen;
Bald macht ein Staatchen (überseeisch) Pleite,
Bald purzelt ein Bankier, bald kracht ein Bänkchen.
 
O diese Banken! Heute noch so sicher,
Als seien sie auf Erz und Stein gegründet –
Dann ein Geraun, ein spöttisches Gekicher,
Und über Nacht wird der Konkurs verkündet!
 
Man hat mit ihnen fast devot verhandelt,
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Sie schienen sichrer als die eigne Tasche,
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Doch unser Gold und Silber sind verwandelt
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In einer Nacht in dürres Laub und Asche.
 
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Man hätte blindlings auf die Bank geschworen,
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Falls überhaupt so etwas nötig täte,
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Denn was für Männer waren Direktoren –
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Konsuln, Geheime und Kommerzienräte!
 
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Man war gewohnt, vor ihnen sich zu ducken;
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Mehr als des Fürsten Wort in seinem Ländchen
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Galt schon ihr Nicken und ihr Achselzucken;
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In ihrem Knopfloch drängten sich die Bändchen.
 
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Wo sind sie hin? Begeben hat der eine
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Gesundheitshalber heimlich sich aufs Wandern;
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Das Konsulatsschild nimmt im Frührotscheine
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In aller Stille ab man bei dem andern;
 
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Vom dritten heißt's, daß er vor wenig Stunden,
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Nicht länger Herr der wachsenden Bedrängnis,
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Per Droschke sich freiwillig eingefunden
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Beim Staatsanwalt - er sitze im Gefängnis.
 
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O, es ist bös! Es schwinden die Gedanken,
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Hört rechts und links man knistern es und krachen.
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Was steht noch fest, wenn solche Stützen wanken?
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Was soll der Mensch mit seinem Gelde machen?
 
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Man hat's nun doch! Ins Wasser muß die Ente,
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Droht auch mit Mutter Henne ein Zerwürfnis,
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Und eine gute, eine fette Rente
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Ist für das Kapital – Naturbedürfnis.
 
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Die Industrie war stets von lockern Sitten,
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Und durch den Schornstein flogen die Millionen;
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So ist man denn zum Banklokal geschritten
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Mit den ersparten goldnen Doppelkronen.
 
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Man möchte sich die Haare einzeln raufen,
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Denn eine Trübsal ist's, nicht auszusagen.
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Was fängt man an? Bei dem Papierekaufen
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Riskiert der Geldmann heute Kopf und Kragen.
 
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Man fühlt den Alp allnächtlich auf sich reiten,
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Tagsüber krächzen uns ins Ohr die Raben –
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Unzweifelhaft ist's zu gewissen Zeiten
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Ein Kreuz und Leiden, sehr viel Geld zu haben!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (28.7 KB)

Details zum Gedicht „Kapitalisten-Klage“

Anzahl Strophen
12
Anzahl Verse
48
Anzahl Wörter
329
Entstehungsjahr
nach 1860
Epoche
Realismus,
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Kapitalisten-Klage“ wurde von dem deutschen Autor Rudolf Lavant verfasst, der von 1844 bis 1915 lebte. Daher lässt sich das Gedicht zeitlich in das 19. und beginnende 20. Jahrhundert und in den Kontext der Industrialisierung sowie des beginnenden Kapitalismus einordnen.

Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht humoristisch und kritisch. Die ironisierende Darstellung von Kapitalisten und ihr vermeintliches Leiden anhand instabiler Finanzmärkte regt zum Schmunzeln an, bietet jedoch auch eine kritische Perspektive auf das Thema Kapitalismus und Bankwesen an.

Das lyrische Ich beschreibt im Gedicht die Schwierigkeiten und Unsicherheiten, die das Banken- und Finanzsystem mit sich bringt. Es thematisiert den plötzlichen Verlust von Sicherheiten, das Scheitern von Bankhäusern und die damit verbundene Enttäuschung und Unsicherheit von Kapitalisten. Dabei stellt das lyrische Ich durchaus Mitleid mit den Kapitalisten dar, jedoch in einer ironischen und spöttischen Weise.

In Bezug auf die Form und Sprache des Gedichts ist zu beachten, dass es sich um ein mehrstrohiges Gedicht mit jeweils vier Versen pro Strophe handelt. Der Reim ist konsequent durchgehalten und trägt zur humoristischen Wirkung des Gedichts bei. Die Sprache ist bissig und spöttisch, mit einer Fülle von bildhaften Ausdrücken und Metaphern, welche das absurde und riskante Spiel des Kapitalismus darstellen. Hinzu kommt der Einsatz von ironischen Formulierungen und Spitznamen für verschiedene Akteure des Bankwesens, wodurch die Kritik des lyrischen Ichs verstärkt wird.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Rudolf Lavant mit „Kapitalisten-Klage“ eine humoristische und ironische Betrachtung des Banken- und Finanzsystems liefert. Durch seinen bissigen Spott legt Lavant die Risiken und Absurditäten des Kapitalismus bloß und stellt die vermeintliche Sicherheit und Überlegenheit von Kapitalisten infrage.

Weitere Informationen

Rudolf Lavant ist der Autor des Gedichtes „Kapitalisten-Klage“. Geboren wurde Lavant im Jahr 1844 in Leipzig. Im Zeitraum zwischen 1860 und 1915 ist das Gedicht entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Berlin. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Realismus, Naturalismus, Moderne, Expressionismus oder Avantgarde / Dadaismus zuordnen. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das Gedicht besteht aus 48 Versen mit insgesamt 12 Strophen und umfasst dabei 329 Worte. Weitere Werke des Dichters Rudolf Lavant sind „An den Kladderadatsch“, „An die Frauen“ und „An die alte Raketenkiste“. Zum Autor des Gedichtes „Kapitalisten-Klage“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 96 Gedichte vor.

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