Jäher Zweifel von Otto Ernst

Wo sich Weidenlaub zum Dache bog
Und durch Nacht ein stilles Wasser zog,
Trieb ich lange schon den müden Kahn,
Meiner Sorge schweigend untertan.
 
Meine Ruder taucht’ ich in die Nacht –
Ob mir nie ein freundlich Ufer lacht?
Plötzlich Laub und Dunkel aufgetan,
Und ich schwamm auf lichtbeglänzter Bahn:
 
Aus des Ufers dunklem Wiesengrund
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Prallte blendend weiß ein Säulenrund;
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Laut davor in weh’ndem Fackelglanz
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Schwang bekränzte Jugend sich im Tanz.
 
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Lachen schallte, und die Zither klang;
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Über Blumen wiegte sich Gesang –
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Dank und Jubel mir im Herzen quoll;
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An die Ruder griff ich freudevoll – –
 
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Da – bevor ich noch den Kahn gewandt,
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Hielt ein andres Bild mich festgebannt:
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Spiel und Tanz auch drunten in der Flut,
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Marmorblinken auch und Rosenglut.
 
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Aber drunten in geheimen Glanz
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Lautlos alles – stumm – ein Schattentanz.
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Nah dem Glück, das mich empfangen will,
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Steht mein Herz in bangem Zweifel still.
 
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Welches ist das Ziel, das mir ersehn,
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Und wo wird sich’s seliger ergehn:
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Droben, wo die helle Zither klingt?
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Drunten, wo sich stumm der Reigen schlingt?
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25.8 KB)

Details zum Gedicht „Jäher Zweifel“

Autor
Otto Ernst
Anzahl Strophen
7
Anzahl Verse
28
Anzahl Wörter
171
Entstehungsjahr
1907
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Jäher Zweifel“ wurde von Otto Ernst, einem deutschen Schriftsteller des Naturalismus und Impressionismus, verfasst. Ernst war von 1862 bis 1926 tätig und dieses Gedicht kann in diese Zeitspanne eingeordnet werden.

Der erste Eindruck des Gedichtes ist düster und melancholisch mit einem lyrischen Ich, das von Zweifeln und Ängsten geplagt wird. Das Gedicht beginnt mit der Darstellung einer Bootsfahrt in der Dunkelheit, was möglicherweise symbolisch für die Reise durch das Leben oder eine schwierige Phase im Leben des lyrischen Ichs steht.

Das lyrische Ich ist auf einem kleinen Boot, treibt durch die Nacht und ist scheinbar orientierungslos und unsicher. Es sehnt sich nach einem freundlichen Ufer, einem Lichtblick oder einer Hoffnung. Plötzlich eröffnet sich ein lichtdurchfluteter Pfad und das lyrische Ich beobachtet eine Gruppe jugendlicher Tänzer, die fröhlich sind und Musik machen. Diese Szene erfüllt es mit Dank und Freude, ihm scheint ein Ziel oder zumindest etwas Positives in Aussicht gestellt.

Doch bevor es sich diesem hellen Ziel zuwenden kann, wird es von einem anderen Bild gefangen: Der Tanz und die heitere Szene spiegeln sich auch in der Flut unter ihm. Allerdings wirkt das untere Bild still und schattenhaft, was ihm Angst einflößt und ihn zum Zweifeln bringt. Es weiß nicht, welches Ziel es anstreben soll - das Lachen und die Musik oben oder der stille, schattenhafte Tanz unten.

Die Form des Gedichts ist regelmäßig mit sieben Strophen zu jeweils vier Versen. Die Sprache ist bildreich und poetisch, mit vielen Metaphern, die das Unbestimmte und Unheimliche der Situation hervorheben. Es gibt keinen festen Reim, was das Gefühl der Unsicherheit und Orientierungslosigkeit verstärken kann.

Insgesamt beschäftigt sich das Gedicht mit den Themen Unsicherheit, Zweifel und Entscheidungsangst, welche durch kraftvolle Metaphern in einer unheimlichen und gleichzeitig schönen nächtlichen Naturkulisse dargestellt werden. Es zeigt außerdem die Kontraste zwischen Freude und Angst, Licht und Schatten, Laut und Stille. Es ist ein intensives und emotionales Gedicht, das den inneren Konflikt des lyrischen Ichs fühlbar macht.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Jäher Zweifel“ ist Otto Ernst. Geboren wurde Ernst im Jahr 1862 in Ottensen bei Hamburg. 1907 ist das Gedicht entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Leipzig. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Moderne zuordnen. Prüfe bitte vor Verwendung die Angaben zur Epoche auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epoche ist auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich Literaturepochen zeitlich überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung häufig mit Fehlern behaftet. Das 171 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 28 Versen mit insgesamt 7 Strophen. Die Gedichte „Allein im Dunkel“, „Alles ist ewig“ und „An einem leisen Bach“ sind weitere Werke des Autors Otto Ernst. Zum Autor des Gedichtes „Jäher Zweifel“ haben wir auf abi-pur.de weitere 64 Gedichte veröffentlicht.

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