John Gilpin von Theodor Fontane
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John Gilpin hat ein Tuchgeschäft |
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Nicht weit von Leicester-Square, |
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Auch war er Hauptmann der Miliz |
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In Londons Bürgerwehr. |
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Und Gilpin hat ein edles Weib; |
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Sie sprach: „Mein theurer John, |
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Wir sahen keinen Feiertag |
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Die zwanzig Jahre schon. |
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„Drum, heut an unsrem Hochzeitstag, |
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Dächt’ ich, Mann meiner Wahl, |
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Kutschirten wir nach Ingelton, |
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In’s frische Grün einmal. |
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„Fünf unsrer Kleinen nehm’ ich mit, |
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Sie wiegen ja nicht schwer |
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Und haben Platz; – Du steigst zu Roß, |
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Und reitest hinterher.“ |
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John Gilpin sprach: „Ich ehrte stets |
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Das weibliche Geschlecht, |
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Doch dreimal ehr’ ich Dich, o Weib, |
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Drum ist mir Alles recht. |
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„Auch schafft mein blühend Tuchgeschäft |
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Leicht meinem Wunsch Gehör, |
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Und seinen Braunen leiht mir gern |
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Mein Freund, der Appreteur.“ |
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Sprach Mistreß Gilpin: „John, noch eins, |
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Wie ist es mit dem Wein? |
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Ich denk’, wir nehmen welchen mit, |
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Es dürfte bill’ger sein.“ |
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John Gilpin küßt sein treues Weib, |
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Er weinte auf ein Haar, |
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Daß Mistreß, trotz Vergnügungssucht, |
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Doch noch so sparsam war. |
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Der Wagen kam, doch hielt er nicht |
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Vor Gilpins eignem Haus, |
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Die edle Seele war in Furcht |
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Hochmüthig säh’ das aus. |
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Drei Häuser abwärts stieg man ein, |
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Die Küchlein und das Huhn, |
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Und durch die City-Straßen hin, |
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Ging es im Trabe nun. |
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Die Peitsche pfiff, aufschlug der Huf, |
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Daß alles klang und scholl, |
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Und Rad und Steine lärmten schier, |
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Als wären beide toll. |
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John Gilpin hatte sich indeß |
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Als Reiter schon gezeigt |
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Und lang geschwankt, ob rechts ob links |
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Man in den Bügel steigt. |
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Jetzt aber sitzt er sattelfest; - |
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Er will davon im Nu, |
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Da steuern seiner Kunden drei |
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Grad auf den Laden zu. |
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John Gilpin denkt: „Verlust an Zeit |
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Ich schätz’ ihn nicht gering, |
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Doch traun, Verlust an Gut und Geld |
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Ist noch ein übler Ding.“ |
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Schnell springt er ab. – Noch steht und schwankt |
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Der Handel mit den Drein, |
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Da stürzt ihm Betty in den Weg: |
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„Hier Herr, ist noch der Wein!“ |
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„Gut – spricht er – doch nun bring mir auch |
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Das Lederfutteral, |
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Darinnen bei Paraden steckt |
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Mein jungfräulicher Stahl.“ |
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John Gilpin nahm die Flaschen beid’, |
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Sie waren voll Likör, |
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Und hatten oben an dem Hals |
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Ein weites Henkelöhr. |
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Durch beide zog er jetzt hindurch |
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Die Scheide seines Schwerdt’s, – |
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Sie hingen, wie Pistolen schier, |
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Am Sattel seines Pferd’s. |
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Dann schlug er um die Schultern sich |
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Den Mantel schwarz und roth, |
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Als zög’ er in die Ritterschlacht |
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Zum Siege oder Tod. – |
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Die Stadt hindurch, auf hartem Stein, |
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Da schien der Renner faul; |
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John Gilpin sprach: „Du scheinst mir auch |
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Ein alter Karrengaul.“ |
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Doch plötzlich, draußen vor dem Thor, |
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Verging ihm aller Spott, |
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Der Braune schnob und wieherte |
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Und setzte sich in Trott. |
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„Still, still, mein Thierchen“, ächzte John, |
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„So wirf mich doch nicht ab!“ |
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Doch, wie er auch am Zügel riß, |
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Gallop ward aus dem Trab. |
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Und auf und nieder, her und hin, |
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Flog unser armer Tropf, |
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Bald hielt er an den Mähnen sich, |
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Und bald am Sattelknopf. |
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Das arme Pferd, das immer sonst |
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Gelenkt von sichrer Hand, |
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Es kam bei Gilpins Reiterei |
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Zuletzt um den Verstand. |
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Und wie vom Teufel angeschürt, |
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Durchging es voller Wuth: |
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Abriß ein Baum, von Gilpins Kopf, |
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Perrücke, Zopf und Hut. |
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Scharf blies der Ost; noch flaggte bunt |
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Des Mantels weiter Schooß, – |
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Jetzt aber ging er in die Welt, |
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Die Knöpfe ließen los. |
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Die Hunde bellten Dorf um Dorf, |
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Die Kinder lärmten mit, |
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Und alles schrie: „das nenn’ ich brav, |
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Das nenn’ ich einen Ritt!“ |
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Die Nachbarweiber klatschten sich |
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Bereits die Mäuler wund; |
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Die eine wußt’ es ganz genau: |
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Es gölte tausend Pfund. |
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Die Zolleinnehmer hielten’s auch |
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Für Wetteritt und Lauf, |
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Und rissen mit geschäftger Hand |
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Die Gitterthore auf. |
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John Gilpin schlüpfte heil hindurch, |
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Nicht so das Flaschenpaar, |
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Die eine ließ den Kork zurück, |
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Den Hals die andre gar. |
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Hin troff der röthliche Likör; |
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Man dacht’, es wäre Blut, |
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Und murrend klang es hie und da: |
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„Der spornt auch allzu gut!“ |
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Jetzt aber in Klein-Ingleton |
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Hinein sprengt unser John; |
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Es harrte schon, mit Gruß und Kuß, |
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Die Gattin am Balkon. |
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Sie ruft ihm zu: „Halt, Gilpin, halt! |
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Wo willst du hin? so sprich! |
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Die Kinder haben Hunger schon, |
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Und weinen bitterlich. |
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John Gilpin hört’s; in tiefem Schmerz |
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Fleht er den Braunen: steh! |
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Doch ach, der Braune hat kein Herz |
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Für eines Vaters Weh. |
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Zwei Meilen hinter Ingleton |
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Da liegt ein zierlich Haus, |
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John Gilpin’s Freund, der Appreteur, |
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Zog Sommers da hinaus. |
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Der Braune machte oft den Weg, |
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Und wiehernd jetzt am Zaun, |
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Ruft er den Herrn, der aber will |
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Kaum seinen Augen traun. |
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„He, Gilpin, he! was ist geschehen? |
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Was kommt Ihr überhaupt? |
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Und wenn Ihr kommt, warum beschmutzt, |
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Barhäuptig und bestaubt?“ |
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John Gilpin drauf: „was ich hier soll, |
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Das frage dieses Thier; |
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Wir ritten scharf, Perrück und Hut |
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Sind darum noch nicht hier.“ |
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Laut lachte da der alte Freund, |
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Es war ein lust’ges Blut, – |
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Er nahm sich die Perrück vom Kopf, |
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Und sprach in frohem Muth: |
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„Nimm hin! Du starrst von Staub und Schmutz, |
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Drum scheint sie noch zu klein, |
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Doch wasch’ nur erst die Kruste ab, |
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So wird sie passend sein. |
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John Gilpin nahm, und dankte viel, |
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Und sprach zum Pferde dann: |
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„He, Freund, ich hab’ für Dich gethan, |
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Was man nur thuen kann. |
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„Du wolltest her zu Deinem Herrn, |
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Ich ehrte diesen Trieb, |
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Nun aber trag’ auch mich zurück |
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Zu meinem treuen Lieb.“ |
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Er sprach es kaum, – da kreischte laut |
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Ein Esel hinterm Heck, |
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Und Roß und Reiter zitterte, |
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So packte sie der Schreck. |
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Wie wenn ein Löwe wo gebrüllt, |
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So griff der Renner aus; – |
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Auftauchte bald Klein-Ingleton, |
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Samt seinem Kaffehaus. |
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Die Gattin harrte immer noch |
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Des Gatten am Balkon, |
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Jetzt sah sie ihn, und wandte sich |
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Zum Schwager Postillon: |
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„Sieh, diese halbe Kron ist Dein, |
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Mein wackerer Gesell, |
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Schaffst Du mir meinen Ehemann |
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Lebendig hier zur Stell.“ |
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Der Postillon, der war nicht faul, |
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Auszog er auf den Fang, |
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Und hakte bald nach Mann und Roß, |
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Mit Zügel und mit Strang. |
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Dem Braunen aber däucht es schier, |
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Als wie ein Peitschenhieb, |
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Er lief, daß selbst der Postillon |
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Im Hintertreffen blieb. |
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Sechs Reiter kamen just des Wegs, |
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D i e sahen Gilpin’s Flucht, |
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Und wie der Postillon umsonst |
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Ihn einzuholen sucht. |
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Sie jagten mit, und schrieen laut: |
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„Halt’t ihn! ein Dieb! ein Dieb!“ |
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John Gilpin aber, unverkürzt, |
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Des Tages Sieger blieb. |
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Und wie ein Jockey bester Art, – |
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Mit Weste, Stulp und Kapp, – |
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Erst wo er aufgestiegen war, |
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Da stieg er wieder ab. |
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Und nun zum Schluß: dem König Heil, |
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Und Heil! John Gilpin Dir, |
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Und setzt Du wieder Dich zu Roß, |
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So bitt’ ich, sag’ es mir. |
Details zum Gedicht „John Gilpin“
Theodor Fontane
52
208
1082
1851
Realismus
Gedicht-Analyse
„John Gilpin“ ist ein Gedicht von Theodor Fontane, einem deutschen Schriftsteller, der von 1819 bis 1898 lebte. Fontane ist bekannt für seine realistischen Romane und Gedichte über das bürgerliche Leben in Deutschland im 19. Jahrhundert. Dieses Gedicht kann wahrscheinlich in die gleiche Zeit eingeteilt werden.
Beim ersten Eindruck ist das Gedicht humorvoll und hat eine Geschichte, die eher einer Anekdote als einer ernsthaften Dichtung ähnelt. Die Geschichte dreht sich um John Gilpin, einen Tuchhändler und Hauptmann der Miliz in London, der auf eine Abenteuerreise geht.
Das Gedicht beginnt damit, dass Gilpins Ehefrau vorschlägt, dass sie einen Feiertag brauchen und eine Kutsche nach Ingelton nehmen sollten. Gillpin stimmt zu, doch anstatt zusammen mit seiner Familie in der Kutsche zu fahren, reitet er auf einem Pferd hinterher. Auf dem Weg begegnet Gilpin verschiedenen Herausforderungen - sein Pferd geht durch, er verliert seine Perücke und seine Kleidung wird zerstört, und er wird fälschlicherweise für einen Dieb gehalten.
Das Gedicht ist eine dichte, narrative Dichtung mit einer klaren Struktur. Jede Strophe besteht aus vier Versen, was dem Gedicht eine rhythmische und melodische Qualität verleiht. Die Sprache ist einfach und leicht verständlich, und es werden viele Dialoge verwendet, um die Geschichte voranzutreiben und den Charakteren Leben einzuhauchen.
Die Hauptbotschaft des Gedichts scheint die humorvolle Darstellung des Pechvogels John Gilpin und seiner komischen Versuche, einen Ausflug mit seiner Familie zu unternehmen, zu sein. Seine Pechsträhne und Inkompetenz erhöhen den komischen Effekt des Gedichts. Es zeigt auch den Zwiespalt zwischen Arbeit und Freizeit im Leben einer Person während dieser Zeit.
Insgesamt unterscheidet sich „John Gilpin“ von vielen von Fontanes ernsteren und gesellschaftskritischen Werken. Es ist eine leichte, humorvolle Dichtung, die das familiäre und Alltagsleben im viktorianischen England auf originelle Weise einfängt.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „John Gilpin“ des Autors Theodor Fontane. 1819 wurde Fontane in Neuruppin geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1851 zurück. Der Erscheinungsort ist Berlin. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Realismus kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Der Schriftsteller Fontane ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 1082 Wörter. Es baut sich aus 52 Strophen auf und besteht aus 208 Versen. Die Gedichte „An Lischen“, „An Marie“ und „An meinem Fünfundsiebzigsten“ sind weitere Werke des Autors Theodor Fontane. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „John Gilpin“ weitere 214 Gedichte vor.
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Zum Autor Theodor Fontane sind auf abi-pur.de 214 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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