Intermezzo von Marie Eugenie Delle Grazie

Krausgelockte, braune Iungen
Stürmen über’s Forum hin,
Ohne Münze eingedrungen,
Spotten sie des Wächters Müh’n,
Der mit komischen Grimassen
Ihnen nachjagt kreuz und quer, –
Doch was Schelm, läßt sich nicht fassen
Und nur toller treibt’s das Heer.
Über hingestürzte Säulen
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Balanciren sie gewandt –
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O dies Kichern, o dies Mäulen!
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Heros däucht sich jeder Fant!
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Manche Nase, arme Wache,
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Wird verächtlich dir gedreht,
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Manches Schmähwort, alter Drache,
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Keck vom Wind dir zugeweht!
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Kapitäle, Piedestale
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Und was sonst zertrümmert liegt –
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Pah, sie hüpfen über alle,
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Und ihr toller Eifer siegt!
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Müd und blaß wie ein Entehrter
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Kauert ihr Versolger hin
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Und ein ängstlicher Gelehrter
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Seufzt ob solcher Blasphemie’n...
 
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Doch im Aug’ der Kleinen spiegelt
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Schelmisch sich der Sonne Gold
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Und der Hohn des Schwarms besiegelt
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Noch sein Thun, eh’ er sich trollt. –
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Der Vergänglichkeit, dem Tode
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Und der Ehrfurcht Majestät:
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Allen schlägt das Sein ein Schnippchen,
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Wenn’s auf Kinderfüßen geht!
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Intermezzo“

Anzahl Strophen
2
Anzahl Verse
32
Anzahl Wörter
153
Entstehungsjahr
1892
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht „Intermezzo“ stammt von der österreichischen Lyrikerin Marie Eugenie Delle Grazie, die in der Zeit von 1864 bis 1931 lebte. In Anbetracht des Lebensdatums der Dichterin kann das Gedicht der Epoche der literarischen Moderne zugeordnet werden.

Schon beim ersten Lesen fällt die lebendige und ausgelassene Stimmung des Gedichtes auf, die einen starken Gegensatz zum historischen und ernsten Szenario, das beschrieben wird, bildet. Die Handlung spielt scheinbar in einer antiken oder mittelalterlichen Kulisse, möglicherweise auf einem Marktplatz oder in einer Ruinenstätte.

Das lyrische Ich beobachtet eine Gruppe von „krausgelockte, braune Jungen“ (Vers 1), die keck und vergnügt über das Forum stürmen. Sie verhöhnen den Wächter (V. 4) und necken ihn mit „Schmähworten“ (V. 16). Sie springen über hingestürzte Säulen und scheinen sich über die antiken Überreste des Forums und dessen historischer Bedeutung lustig zu machen. Ein „ängstlicher Gelehrter“ (Vers 23) beobachtet dieses Treiben und ist entsetzt („seufzt“) über ihre scheinbare „Blasphemie“ (Respektlosigkeit gegenüber dem Heiligen).

Das lyrische Ich erzählt diese Aktionen auf eine Weise, die sowohl die Ausgelassenheit der Jungen als auch die Ängstlichkeit des Historikers zeigt. Somit stellt das Ich eine Mittelposition zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart dar und kommentiert ironisch das Intermezzo, die Unterbrechung des Alltags und der historischen Ernsthaftigkeit durch kindliche Unbekümmertheit.

In Bezug auf die Form besteht das Gedicht aus zwei Strophen mit insgesamt 32 Versen. Die Verse sind rhythmisch und reimend gestaltet, wobei das Reimschema sich innerhalb der Strophen mehrfach ändert. Im Hinblick auf die Sprache, so verwendet Delle Grazie vorwiegend Alltagswörter, aber es gibt auch eine Mischung von gehobenen Begriffen wie „Kapitäle, Piedestale“ (V. 17), die die historische Szenerie unterstreichen.

Inhaltlich scheint das Gedicht die Konfrontation zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Ernst und Ausgelassenheit, Alter und Jugend darzustellen. Diese Interpretation wird durch den abschließenden Vers bestärkt: „Allen schlägt das Sein ein Schnippchen, / Wenn's auf Kinderfüßen geht!“ Kinder, als Symbol der Zukunft und des Lebens, beleben die starre Vergangenheit und bringen Unordnung in die geordnete, ernsthafte Welt der Erwachsenen. Daher könnte man das Gedicht auch als Kritik an starren Traditionen oder der Beharrlichkeit auf der „Ehrfurcht“ interpretieren. Darüber hinaus könnte es auch als Plädoyer für mehr Lebensfreude, Leichtigkeit und Authentizität gesehen werden.

Weitere Informationen

Die Autorin des Gedichtes „Intermezzo“ ist Marie Eugenie Delle Grazie. Im Jahr 1864 wurde Delle Grazie in Weißkirchen (Bela Crkva) geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1892. Der Erscheinungsort ist Leipzig. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten der Autorin lassen eine Zuordnung zur Epoche Realismus zu. Delle Grazie ist eine typische Vertreterin der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 153 Wörter. Es baut sich aus 2 Strophen auf und besteht aus 32 Versen. Weitere bekannte Gedichte der Autorin Marie Eugenie Delle Grazie sind „Beatrice Cenci“, „Campo Santo“ und „Capri, Capri, könnt’ ich je vergessen“. Zur Autorin des Gedichtes „Intermezzo“ haben wir auf abi-pur.de weitere 71 Gedichte veröffentlicht.

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