Im Obdachlosenasyl von Klabund

Ich war’n junges Ding,
man immer frisch und flink,
da kam von Borsig einer,
der hatte Zaster und Grips.
So hübsch wie er war keiner
mit seinem roten Schlips.
Er kaufte mir ’nen neuen Hut,
wer weiß, wie Liebe tut.
Berlin, o wie süß,
10 
ist dein Paradies.
11 
Unsere Vaterstadt
12 
schneidige Mädchen hat.
13 
Schwamm drüber. Tralala.
 
14 
Ich immer mit’n mit.
15 
Da ging der Kerl verschütt.
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Als ich im achten schwanger,
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des Nachts bei Wind und Sturm,
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schleppt ich mich auf’n Anger,
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vergrub das arme Wurm.
20 
Es schrie mein Herz, es brannte mein Blut,
21 
wer weiß, wie Liebe tut.
22 
Berlin, o wie süß
23 
ist dein Paradies,
24 
unsere Vaterstadt
25 
schneidige Mädchen hat,
26 
Schwamm drüber. Tralala.
 
27 
Jetzt schieb ich auf’n Strich.
28 
Ich hab’nen Ludewich.
29 
In einem grünen Wagen
30 
des Nachts um halber zwee,
31 
da ha’m sie mich gefahren
32 
in die Charité.
33 
Verwest mein Herz, verfault mein Blut,
34 
wer weiß, wie Liebe tut.
35 
Berlin, o wie süß
36 
ist dein Paradies.
37 
Unsere Vaterstadt
38 
schneidige Mädchen hat,
39 
Schwamm drüber. Tralala.
 
40 
Krank bin ich allemal.
41 
Es ist mir allens ejal.
42 
Der Weinstock, der trägt Reben,
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und kommt ’n junger Mann,
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ich schenk’ ihm was für’s Leben,
45 
daß er an mich denken kann.
46 
Quecksilber und Absud,
47 
wer weiß, wie Liebe tut.
48 
Berlin, o wie süß
49 
ist dein Paradies.
50 
Unsere Vaterstadt
51 
schneidige Mädchen hat.
52 
Schwamm drüber. Tralala.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.9 KB)

Details zum Gedicht „Im Obdachlosenasyl“

Autor
Klabund
Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
52
Anzahl Wörter
224
Entstehungsjahr
1927
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht „Im Obdachlosenasyl“ stammt aus der Feder von Klabund (* 4. November 1890, † 14. August 1928). Es handelt sich dabei um ein Werk, das in der Weimarer Republik entstanden ist, einer Zeit großer politischer und sozialer Umbrüche in Deutschland.

Schon auf den ersten Blick fällt der durch das gesamte Gedicht hindurch angehaltene vertraute, saloppe Ton auf. Das lyrische Ich, offenbar eine junge Frau aus dem proletarischen, möglicherweise sogar obdachlosen Milieu, wirkt eingebettet in eine raue, lebensnahe Realität, was sich in Sprache und Form deutlich widerspiegelt.

Der Inhalt des Gedichts beleuchtet vier Stationen im Leben des lyrischen Ichs: In der ersten Strophe schildert sie die Anfänge einer Beziehung zu einem jungen Mann („Er kaufte mir ’nen neuen Hut“). In der zweiten Strophe ist jedoch von einer abrupten Trennung und einer daraus resultierenden Notlage die Rede, in der sie sich gezwungen sieht, das gemeinsame, ungeborene Kind abzutreiben („vergrub das arme Wurm“). In der dritten Strophe wird der Prostitution als letzte Ausweichmöglichkeit Raum gegeben („Jetzt schieb ich auf’n Strich.“) und in der vierten endet sie mit Krankheit und Resignation („Krank bin ich allemal. Es ist mir allens ejal.“).

Das lyrische Ich scheint die brutalen Erfahrungen und die harte Lebensrealität durch ein beständiges „Schwamm drüber. Tralala.“ zu relativieren und herunterzuspielen, als eine Art Bewältigungsstrategie.

Form und Sprache des Gedichts sind geprägt von einem Volkslied-artigen Stil mit einer klaren Strophen- und Reimstruktur, sowie einer direkten, unverschönten Ausdrucksart, die charakteristisch für Klabunds kritisch-realistische Werke ist. Die wiederholten Verse „Berlin, o wie süß/ ist dein Paradies. / Unsere Vaterstadt / schneidige Mädchen hat.“ unterstreichen diese Art von Volkslied-Struktur und schaffen einen Kontrast zu den harten Lebensrealitäten, die das lyrische Ich beschreibt.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Im Obdachlosenasyl“ ist Klabund. Der Autor Klabund wurde 1890 in Crossen an der Oder geboren. Im Jahr 1927 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Berlin. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit zuordnen. Vor Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und daher anfällig für Fehler. Das vorliegende Gedicht umfasst 224 Wörter. Es baut sich aus 4 Strophen auf und besteht aus 52 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Klabund sind „Berliner Ballade“, „Berliner Mittelstandsbegräbnis“ und „Berliner in Italien“. Zum Autor des Gedichtes „Im Obdachlosenasyl“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 139 Gedichte vor.

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