Im Käfig von Kurt Tucholsky
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Hinter den dicken Stäben meiner Ideale |
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lauf ich von einer Wand zur andern Wand. |
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Da draußen gehen Kindermädchen, Generale, |
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Frau Lederhändlerswitwe mit dem Herrn Amant … |
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Manchmal sieht einer her. Mit leeren Blicken: |
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Ah so! ein Tiger – ja, das arme Tier … |
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Dann sprechen sie von „Tantchen auch was schicken |
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in Pergamentpapier“. |
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Ich möcht so gern hinaus. Ich streck und dehn mich – |
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Die habens gut, mit ihrer großen Zeit! |
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Sie sind gewiß nicht rein, und doch: ich sehn mich |
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nach der Gemeinsamkeit. |
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Der Tiger gähnt. Er käm so gern geloffen … |
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Doch seines Käfigs Stäbe halten dicht. |
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Und ließ der Wärter selbst die Türe offen: |
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Man geht ja nicht. |
Details zum Gedicht „Im Käfig“
Kurt Tucholsky
4
16
106
1919
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur
Gedicht-Analyse
Das von dir vorgestellte Gedicht wurde von Kurt Tucholsky verfasst, einem deutschen Schriftsteller und Journalisten, der von 1890 bis 1935 lebte. Er ist bekannt für seine scharfen sozialen und politischen Kommentare und seine Fähigkeit, sie in poetischer und witziger Form zu präsentieren. Dieses spezielle Gedicht „Im Käfig“ könnte in den späten 1920er oder frühen 1930er Jahren geschrieben worden sein, einer Zeit, in der Tucholsky seine pessimistischste Einstellung gegenüber dem Zustand der Gesellschaft zum Ausdruck brachte.
Bereits beim ersten Lesen erzeugt das Gedicht ein Gefühl der Gefangenschaft und Sehnsucht nach Freiheit. Tucholsky verwendet die Metapher eines Tigers im Käfig, um seine eigene Situation darzustellen. Der lyrische Erzähler fühlt sich durch die „dicken Stäben“ seiner eigenen Ideale eingeschränkt und beobachtet, wie die Welt außerhalb des Käfigs weiterlebt.
Inhaltlich macht das Gedicht deutlich, dass das lyrische Ich einen Wunsch nach Gemeinschaft und Teilhabe hegt, aber gleichzeitig durch die Gesellschaft und ihre Normen eingeschränkt wird. Der Gedanke, dass Menschen zwar existieren, aber ihre Ideale sie letztendlich in metaphorischen Käfigen einsperren, ist eine kraftvolle Botschaft.
Formal besteht das Gedicht aus vier vierzeiligen Strophen in freien Versen, ohne ein klares Reimschema. Die Form spiegelt das Gefühl der Unvollkommenheit und Unruhe wider, das Tucholsky in dem Gedicht zum Ausdruck bringt.
Sprachlich ist das Gedicht gefüllt mit Alltagsbildern und Beobachtungen, die einen kraftvollen Kontrast zur tiefen inneren Verzweiflung des lyrischen Ichs bilden. Die Begriffe „Kindermädchen“, „Generale“ und „Frau Lederhändlerswitwe“ symbolisieren verschiedene Teile der Gesellschaft, die außerhalb der geistigen Einschränkungen des lyrischen Ichs leben können.
Mit seinem Gedicht zeigt Tucholsky den ständigen Kampf zwischen dem Individuum und den gesellschaftlichen Erwartungen und Normen. Dabei lässt er offen, ob die Anerkennung der Wirklichkeit der Gefangenschaft durch Ideale eine Möglichkeit zur Befreiung bietet oder ob sie nur zur Kapitulation führt.
Weitere Informationen
Das Gedicht „Im Käfig“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Kurt Tucholsky. 1890 wurde Tucholsky in Berlin geboren. 1919 ist das Gedicht entstanden. Charlottenburg ist der Erscheinungsort des Textes. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zugeordnet werden. Tucholsky ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.
Wichtigen Einfluss auf die Literatur der Weimarer Republik nahmen der Erste Weltkrieg und die daraufhin folgende Entstehung der Weimarer Republik. Das wohl bedeutendste Merkmal der Literatur in der Weimarer Republik ist die Neue Sachlichkeit, die so heißt, da sie schlicht, klar, sachlich und hoch politisch ist. Die Literatur dieser Zeit war nüchtern und realistisch. Ebenso stellt sie die moderne Gesellschaft kühl distanziert, beobachtend, dokumentarisch und exakt dar. Die Schriftsteller der Literaturepoche wollten so viele Menschen wie möglich mit ihren Texten erreichen, deshalb wurde eine einfache und nüchterne Alltagssprache verwendet. Die Freiheit von Wort und Schrift war zwar verfassungsmäßig garantiert, doch bereits 1922 wurde nach der Ermordung von Walter Rathenau das Republikschutzgesetz erlassen, das diese Freiheit wieder einschränkte. Viele Schriftsteller litten unter dieser Zensur. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die zum Beispiel in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz setze den Schriftstellern dieser Zeit noch mal verstärkt Grenzen. 1931 trat die Pressenotverordnung in Kraft, dadurch waren die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate hinweg möglich geworden.
Im Laufe der Geschichte gab es immer wieder Autoren, die ins Exil gehen, also ihr Heimatland verlassen mussten. Dies geschah insbesondere zu Zeiten des Nationalsozialismus. Die Exilliteratur geht aus diesem Umstand hervor. Der Ausgangspunkt der Exilbewegung Deutschlands war der Tag der Bücherverbrennung am 30. Mai 1933. Die Exilliteratur der Literaturgeschichte Deutschlands bildet eine eigene Literaturepoche und folgt auf die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik. Themen wie Verlust der eigenen Kultur, existenzielle Probleme, Sehnsucht nach der Heimat oder Widerstand gegen das nationalsozialistische Deutschland sind typisch für diese Literaturepoche. Anders als andere Literaturepochen, die zum Beispiel bei der formalen Gestaltung (also in Sachen Metrum, Reimschema oder dem Gebrauch bestimmter rhetorischer Mittel) ganz charakteristische Merkmale aufweisen, ist die Exilliteratur nicht durch bestimmte formale Merkmale gekennzeichnet. Allerdings gab es einige neue Gattungen, die in dieser Epoche geboren wurden. Das epische Theater von Bertolt Brecht oder auch die historischen Romane waren neue literarische Textsorten. Aber auch Radioreden oder Flugblätter der Widerstandsbewegung sind hierbei als neue Textsorten erwähnenswert. Oftmals wurden die Texte auch getarnt, so dass sie trotz Zensur nach Deutschland gebracht werden konnten. Dies waren dann die sogenannten Tarnschriften.
Das vorliegende Gedicht umfasst 106 Wörter. Es baut sich aus 4 Strophen auf und besteht aus 16 Versen. Weitere Werke des Dichters Kurt Tucholsky sind „An einen garnisondienstfähigen Dichter“, „An ihren Papa“ und „Apage, Josephine, apage–!“. Zum Autor des Gedichtes „Im Käfig“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 136 Gedichte vor.
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