Im Kreislauf des Jahres von Rudolf Lavant

Wie ist so lau und lind die Luft –
Die Fenster auf und fort die Decken!
Es irrt ein feiner Veilchenduft
Um wieder knospenreiche Hecken.
Es rauscht der Bach, der träge schlich,
Voll gelber Kätzchen hängt die Weide,
Und da und dort sonnt freudig sich
Ein Falter schon in buntem Kleide.
Die Lerche jubelt im Blauen!
 
10 
Im Sonnenbrande reift das Korn
11 
Dem großen Erntetag entgegen;
12 
Es quillt des Ueberflusses Horn
13 
Von Segen über allerwegen.
14 
Den Bann der Schwüle ab und zu
15 
Bricht siegesprächtig ein Gewitter,
16 
Und seine Sense schärft in Ruh’
17 
– Er pfeift ein Lied dabei – der Schnitter.
18 
Die Wachtel schlägt im Getreide!
 
19 
Der Wald ist bunt; im Winde schwimmt
20 
Mariengarn an stillen Tagen;
21 
Empor zu seinen Reben klimmt
22 
Der Winzer, nach dem Wein zu fragen.
23 
Die Welt steht klar und feierlich
24 
Vor dir – doch ahnst du ihr Sichhärmen,
25 
Und für die Reise schaaren sich
26 
Die Vögel all’ zu dichten Schwärmen.
27 
Die Schwalbe zwitschert am Firste!
 
28 
Im Schnee begraben liegt die Welt;
29 
Sie athmet kaum – sie schläft und feiert.
30 
In bitterkalten Nächten bellt
31 
Der Fuchs zum Mond, der rothverschleiert;
32 
Und unterm Fuß des Wandrers kracht
33 
Der Schnee und in vereisten Forsten
34 
Ist manche Eiche über Nacht,
35 
Die noch im Herbste grün, geborsten.
36 
Die Krähen krächzen am Wege!
 
37 
Im Bilde sieh des Menschen Loos!
38 
Wer pflegte nicht in Kindertagen
39 
Mit leichtem Sinn und ahnungslos
40 
Den bunten Faltern nachzujagen?
41 
Wer hat als Jüngling nicht gestrebt
42 
Mit leiblichen und geist’gen Waffen
43 
Und mit der Gluth, die in ihm lebt,
44 
Ein schönes, ganzes Glück zu schaffen?
45 
Da sangen Wachtel und Lerche!
 
46 
Und als das Heer der Träume schied
47 
Und als sie kam, die große Stille,
48 
Wer sang nicht der Entsagung Lied,
49 
Wem schwieg er nicht, der laute Wille?
50 
Und wer entgeht der letzten Noth,
51 
Wie viel er auch umschifft der Klippen,
52 
Da ihm mit weicher Hand der Tod
53 
Das Siegel legt auf bleiche Lippen?
54 
Erst die Schwalbe und dann die Krähe!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.7 KB)

Details zum Gedicht „Im Kreislauf des Jahres“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
54
Anzahl Wörter
317
Entstehungsjahr
1893
Epoche
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichtes „Im Kreislauf des Jahres“ ist Rudolf Lavant. Im Jahr 1844 wurde Lavant in Leipzig geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1893. Der Erscheinungsort ist Stuttgart. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Naturalismus oder Moderne zu. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das 317 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 54 Versen mit insgesamt 6 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Rudolf Lavant sind „An den Kladderadatsch“, „An die Frauen“ und „An die alte Raketenkiste“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Im Kreislauf des Jahres“ weitere 96 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Weitere Gedichte des Autors Rudolf Lavant (Infos zum Autor)

Zum Autor Rudolf Lavant sind auf abi-pur.de 96 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.