Im Hirschberger Thal von Louise Otto-Peters

Es ist wohl eine Freudenthrän’
Mir in das Aug getreten
Als ich die Gegend hier gesehn,
Ein wortlos stilles Beten
Hier, wo die Berge rings herum
Sich heben wie Altäre
So feierlich, so ernst und stumm
So stark zu Gottes Ehre.
 
Es trägt das Haupt der Koppe Schnee,
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Hell schimmert die Kapelle
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Es springen von der Berge Höh
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Die muntern Wasserfälle;
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Die Wiesen sind so frisch und grün,
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So schön die dichten Wälder
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Und wunderbare Blumen blühn,
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Hoch stehn die Saatenfelder.
 
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Mir ist ich sei im Paradies
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Wenn ich so ringsum schaue!
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Und hingesunken träum ich süß
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Auf dufterfüllter Aue.
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So traut, so heimlich ist’s im Thal,
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Und von den Bergen droben
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Klingts wie ein Gruß von Rübezahl,
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Der seine Stimme erhoben.
 
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Doch weiter setz ich meinen Fuß,
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Hin wo die Menschen wohnen
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Ich biete ihnen frohen Gruß
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Und sie: „Mag’s Gott Euch lohnen!“
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Das klingt so traurig, schmerzensreich,
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Was blickt ihr so zur Erde?
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Helf Gott! Du Weib – wie bist Du bleich,
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Wie schmerzlich von Geberde?
 
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In Deine Hütte laß mich sehn –
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Da drinn am Webestuhle,
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Gestalten voller Jammer stehn
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Und klappern mit der Spule.
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Die Kinder schreien laut nach Brot,
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Die blinde Alte singet
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Ein düstres Lied vom Freunde Tod,
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Der einst Erlösung bringet.
 
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Es ist wohl eine Schmerzensthrän’,
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Mir in das Aug getreten
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Als ich die Menschen hier gesehn,
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Ein wortlos stilles Beten,
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Bis einen Schrei hervor ich stieß. –
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O hört ihn nicht vergebens! –
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Die Schlange ist im Paradies
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Und frißt vom Baum des Lebens!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.2 KB)

Details zum Gedicht „Im Hirschberger Thal“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
48
Anzahl Wörter
250
Entstehungsjahr
1840-1850
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Im Hirschberger Tal“ ist von Louise Otto-Peters, die zwischen 1819 und 1895 lebte. Sie war eine deutsche Schriftstellerin und Frauenrechtlerin und gehörte zu den führenden Autorinnen der sozialen Poesie.

Auf den ersten Blick präsentiert das Gedicht eine klare Kontraststruktur: In den ersten drei Strophen zeichnet das lyrische Ich ein idyllisches Bild der Natur, um anschließend in der vierten bis sechsten Strophe menschliches Leiden und Elend aufzuzeigen.

Im Inhalt schildert das lyrische Ich zunächst die landschaftliche Schönheit des Hirschberger Tals, die es als paradiesisch wahrnimmt und als Ort der Ruhe und des Friedens beschreibt. Doch als es weiter in die menschliche Siedlung geht, verändert sich die Stimmung. Sie trifft auf Menschen, die in Armut und Elend leben, und erkennt, dass diese friedvolle Natur auch von Leid geprägt ist – ein Paradies, dass durch die „Schlange“, ein Symbol des Bösen, verdorben ist.

Formal ist das Gedicht in sechs Strophen mit je acht Versen gegliedert. Die Verse folgen keinem Reimschema. Es ist in einfacher Sprache geschrieben, was dem Leser den Zugang zur Gedankenwelt der Autorin ermöglicht. Die Sprache ist bildhaft und weist zahlreiche Metaphern auf, welche die Emotionen und Empfindungen des lyrischen Ichs verdeutlichen.

Die Kernaussage des Gedichts zeigt sich in der Kontrastierung von Natur und Mensch, von Schönheit und Elend, von Paradies und Leid: Trotz der paradiesischen Schönheit der Natur ist die Welt der Menschen von Leid und Verzweiflung geprägt. Louise Otto-Peters weist mit diesem Gedicht auf die sozialen Missstände ihrer Zeit hin und fordert zum Handeln auf. Es zeigt die Spaltung zwischen dem Ideal und der Realität und reflektiert damit die sozialen Zustände des 19. Jahrhunderts.

Weitere Informationen

Louise Otto-Peters ist die Autorin des Gedichtes „Im Hirschberger Thal“. Geboren wurde Otto-Peters im Jahr 1819 in Meißen. Das Gedicht ist im Jahr 1850 entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Leipzig. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten der Autorin her der Epoche Realismus zuordnen. Vor Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und daher anfällig für Fehler. Das Gedicht besteht aus 48 Versen mit insgesamt 6 Strophen und umfasst dabei 250 Worte. Weitere bekannte Gedichte der Autorin Louise Otto-Peters sind „Am Schluß des Jahres 1849“, „Am längsten Tage“ und „An Alfred Meißner“. Zur Autorin des Gedichtes „Im Hirschberger Thal“ haben wir auf abi-pur.de weitere 106 Gedichte veröffentlicht.

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