Im Grünen zu singen von Hugo von Hofmannsthal

Hörtest du denn nicht hinein,
Daß Musik das Haus umschlich?
Nacht war schwer und ohne Schein,
Doch der sanft auf hartem Stein
Lag und spielte, das war ich.
 
Was ich konnte, sprach ich aus:
»Liebste du, mein Alles du!«
Östlich brach ein Licht heraus,
Schwerer Tag trieb mich nach Haus,
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Und mein Mund ist wieder zu.
 
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II
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War der Himmel trüb und schwer,
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Waren einsam wir so sehr,
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Voneinander abgeschnitten!
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Aber das ist nun nicht mehr:
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Lüfte fließen hin und her;
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Und die ganze Welt inmitten
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Glänzt, als ob sie gläsern wär.
 
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Sterne kamen aufgegangen,
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Flimmern mein- und deinen Wangen,
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Und sie wissens auch:
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Stark und stärker wird ihr Prangen;
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Und wir atmen mit Verlangen,
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Liegen selig wie gefangen,
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Spüren eins des andern Hauch.
 
26 
III
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Die Liebste sprach: »Ich halt dich nicht,
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Du hast mir nichts geschworn.
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Die Menschen soll man halten nicht,
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Sind nicht zur Treu geborn.
 
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Zieh deine Straßen hin, mein Freund,
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Beschau dir Land um Land,
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In vielen Betten ruh dich aus,
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Viel Frauen nimm bei der Hand.
 
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Wo dir der Wein zu sauer ist,
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Da trink du Malvasier,
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Und wenn mein Mund dir süßer ist,
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So komm nur wieder zu mir!«
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.5 KB)

Details zum Gedicht „Im Grünen zu singen“

Anzahl Strophen
7
Anzahl Verse
38
Anzahl Wörter
195
Entstehungsjahr
1899–1900
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das vorgelegte Gedicht stammt von Hugo von Hofmannsthal, einem österreichischen Schriftsteller, Dramatiker und Lyriker, der während des Fin de Siècle tätig war. Das bedeutet, dass sein Werk dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zugeordnet werden kann - eine Zeit, die auch als Epoche des Modernismus angesehen wird.

Auf den ersten Blick zeugt das Gedicht von Intimität, Leichtigkeit und Melancholie. Es offenbart eine sorgfältige Auseinandersetzung mit menschlichen Beziehungen, Sehnsucht und Vergänglichkeit, die charakteristisch für Hofmannsthals poesie ist.

Das lyrische Ich spricht von seiner Musik, die es bei Nacht spielt, und seine tiefgreifenden Ausdrücke von Liebe und Verehrung („Liebste du, mein Alles du!“) an seine Geliebte. Doch der Tag treibt ihn nach Hause und zwingt ihn dazu, seinen Mund zu schließen. Es gibt einen stärkeren Fokus auf die Empfindungen, das Spiel von Licht und Dunkelheit und die Isolation, die durch eine Trennung bedingt ist. Die letzten Strophen offenbaren jedoch eine Wende in der Erzählung, wobei die Geliebte ihre Unabhängigkeit einschränkt und die Vorübergehendkeit menschlicher Beziehungen akzeptiert. Sie vermittelt eine bohemische Lebenseinstellung und gibt ihm die Freiheit, in anderen Betten auszuruhen, andere Frauen zu ergreifen und andere Weine zu probieren. Dennoch endet sie mit einer offenen Einladung für ihn, zu ihr zurückzukehren, wenn er nach der Süße ihres Mundes verlangt.

Die formale Analyse des Gedichts zeigt unterschiedliche Verslängen, es gibt Strophen mit fünf, sieben, acht und vier Versen, was auf eine uneinheitliche Versform hindeutet. Die Sprache von Hofmannsthal ist sowohl emotional als auch bildhaft. Er benutzt Metaphern und Simile zur Darstellung von Gefühlen und Situationen („Nacht war schwer und ohne Schein“, „Lüfte fließen hin und her“ und „Liegen selig wie gefangen“). Dabei setzt er eine sinnliche und leidenschaftliche Sprache ein, um die Komplexität und Intensität seiner Gedanken und Gefühle zu vermitteln und ein ausdrucksstarkes Bild zu schaffen. Er begibt sich in das Innere des menschlichen Herzens und der menschlichen Erfahrung und macht das Gedicht zu einer feinen, subtilen und dennoch kraftvollen Darstellung von Liebe und Leben.

Alles in allem handelt es sich bei diesem Gedicht um eine Erkundung menschlicher Beziehungen, Freiheit, Unabhängigkeit und Verlangen nach Süße (Sehnsucht), die sowohl unterhaltsam als auch tiefgründig ist und zur Nachdenklichkeit anregt.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Im Grünen zu singen“ des Autors Hugo von Hofmannsthal. Geboren wurde Hofmannsthal im Jahr 1874 in Wien. 1900 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Leipzig. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Moderne kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei Hofmannsthal handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 195 Wörter. Es baut sich aus 7 Strophen auf und besteht aus 38 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Hugo von Hofmannsthal sind „Dein Antlitz...“, „Der Jüngling in der Landshaft“ und „Der Kaiser von China spricht“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Im Grünen zu singen“ weitere 40 Gedichte vor.

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