Im Erzgebirge von Louise Otto-Peters

Die Nacht ist kalt. Ein eisger Morgenwind
Klirrt um die dichtgefrornen Fensterscheiben,
Als wollt mit starrem Hauchen er geschwind
Die Blumen dran noch immer höher treiben,
Nur daß es Blumen sind aus Eis und Frost,
Um die verbuhlte Lieder heult der Ost.
 
Gespenstig lacht das Feuer im Kamin.
Als hab im Zorn es eine Sprache funden,
Die Sterne, die am hohen Himmel ziehn,
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Sie schimmern hell zu Tausenden verbunden,
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Sie glitzern golden leuchtend wie Krystall –
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In Eis und Schnee bespiegeln sie sich all. –
 
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Ich sitze einsam bei der Kerze Licht;
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Die Menschen rings sind schlafen schon gegangen,
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Ich wach allein, ich mag die Ruhe nicht,
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Es flieht der Schlaf, wenn Sorgen uns umfangen,
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Wenn sich ein Herz zum heißen Kampfe stählt,
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Für Menschenrecht und Freiheit still sich quält.
 
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Doch sieh, doch sieh, – ein Lämpchen traurig scheint
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Gegenüber in dem Fensterlein der Hütte,
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Dort sitzt die Klöpplerin noch wach und weint
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Und klöppelt mühsam nach der Mütter Sitte.
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Und klöppelt emsig ohne Ruh’ und Rast,
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Daß ihre Wange immer mehr verblaßt.
 
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Sie klöppelt nicht für Mutter oder Kind,
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Sie klöppelt nur, daß sie nicht selbst erfriere,
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Daß sie sich ehrlich trocknes Brot gewinnt,
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Ihr einzges Gut, die Unschuld, nicht verliere,
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Der längst der reiche Lüstling nachgestellt –
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Sie klöppelt, daß sie nicht vor Hunger – fällt.
 
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Und horch und horch! an dieser Nebenwand,
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Da klappert noch des Webers schnelle Spule,
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Sie rastet nicht und mit geschickter Hand
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Arbeitet er noch nachts am Webestuhle.
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Das bleiche Weib, der Kinder blasse Schar,
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Er sieht auf sie – und ist des Trostes bar;
 
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Drum ist er wach, noch um die Mitternacht!
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Wie diese Mitternacht ist all sein Leben!
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Er hat es ruh- und freudenlos verbracht,
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Er hörte Tag und Nacht nicht auf zu weben,
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Und kaum, daß er erhielt den siechen Leib,
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Des Elends Bildnis ist so Kind als Weib.
 
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Es hat nicht not, daß Ihr mich also mahnt,
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Du arme Schwester an den Klöppelkissen,
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Du armer Bruder, der es schrecklich ahnt,
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Daß Euch das Recht zu leben fast entrissen!
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Dies heilge Recht, das selbst von Gott uns kam
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Und das der Mensch den Menschen dennoch nahm!
 
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Es hat nicht not! es ist um Euch allein,
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Daß ich wie heute wach zur Nacht gesessen,
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Es ist um Euch, weil Eure Not und Pein,
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Der Armut Gram ich nimmer kann vergessen. –
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Die eignen Sorgen trag ich still und leicht, –
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Es ist um Euch, daß meine Wange bleicht!
 
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Ich ringe Tage, ringe Nächte lang,
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Und doch wie ihr arbeit auch ich vergebens,
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Mich treibt der Menschenliebe heilger Drang.
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Wie Ihr ernt ich nicht Früchte meines Strebens,
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Doch sonder Zögern ruf ich’s in die Welt:
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Zerstört den Bann, der uns umfangen hält!
 
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Den finstern Bannesfluch von Arm und Reich,
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Der in zwei Hälften alles Volk geschieden!
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Die ewge Liebe schuf uns alle gleich,
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Verhieß uns allen: Segen, Freiheit, Frieden:
65 
Ich ringe fort bis sich der Spruch erfüllt:
66 
Daß Fried und Freiheit für uns alle quillt.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (29.8 KB)

Details zum Gedicht „Im Erzgebirge“

Anzahl Strophen
11
Anzahl Verse
66
Anzahl Wörter
486
Entstehungsjahr
1840-1850
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Im Erzgebirge“ wurde von Louise Otto-Peters geschrieben, die von 1819 bis 1895 lebte. Diese zeitliche Einordnung platziert das Gedicht im Zeitraum der Industriellen Revolution und des starken sozialen Wandels in Deutschland.

Auf den ersten Blick ist das Gedicht stark durch die melancholische Atmosphäre einer kalten Winternacht im Erzgebirge geprägt. Im Mittelpunkt stehen die Existenzkämpfe der Arbeiterinnen und Arbeiter, die unter harten Bedingungen arbeiten müssen, um zu überleben.

Das lyrische Ich sitzt allein im Kerzenlicht und kann nicht schlafen, da es von Sorgen und dem Kampf für Menschenrechte und Freiheit umgetrieben wird. Es wird auch auf die Armut und Notlage einer Klöpplerin und eines Webers hingewiesen, die auch in der Nacht noch arbeiten müssen, um ein Überleben zu ermöglichen. Die Klöpplerin klöppelt in der Hoffnung, nicht vor Hunger zu fallen, während der Weber seine Familie erhalten will, obwohl er keine Hoffnung oder Trost hat.

Das lyrische Ich sympathisiert tief mit ihren Kämpfen und ihrem Schmerz und drückt den starken Wunsch aus, diese Ungerechtigkeiten zu bekämpfen. Es lehnt die gesellschaftliche Kluft zwischen Arm und Reich ab und fordert gleiche Rechte und Freiheiten für alle Menschen.

Das Gedicht besteht aus elf Strophen mit jeweils sechs Versen. Die Sprache ist ungeschmückt und klar, und es wird viel Wert auf die visuelle Darstellung der Arbeitsbedingungen und der Kälte gelegt. Metaphern und Vergleiche werden verwendet, um die harten Lebensbedingungen und emotionalen Zustände zu verdeutlichen. Die immer wiederkehrende Sprachbilder von Eis, Frost und Kälte unterstreichen die Härte und Kälte, die die Menschen in ihrem Leben erleben müssen.

Insgesamt ist dieses Gedicht ein starkes Statement gegen soziale Ungerechtigkeit und eine sehr persönliche Reflexion der Autorin über ihre eigene Position in dieser Situation. Es fordert ein Bewusstsein für die Bedingungen der Arbeiterinnen und Arbeiter und fordert soziale Veränderungen. Die Zeilen sind ein Ruf nach Menschenrechten und Freiheit für alle, unabhängig von ihrer sozialen Stellung. Dies steht im Einklang mit Louise Otto-Peters' Engagement als Frauenrechtlerin und ihrem Kampf für die Rechte der Arbeiterklasse.

Weitere Informationen

Die Autorin des Gedichtes „Im Erzgebirge“ ist Louise Otto-Peters. Die Autorin Louise Otto-Peters wurde 1819 in Meißen geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1850 entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Leipzig. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten der Autorin her der Epoche Realismus zuordnen. Vor Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und daher anfällig für Fehler. Das vorliegende Gedicht umfasst 486 Wörter. Es baut sich aus 11 Strophen auf und besteht aus 66 Versen. Weitere bekannte Gedichte der Autorin Louise Otto-Peters sind „Allein“, „Am Schluß des Jahres 1849“ und „Am längsten Tage“. Auf abi-pur.de liegen zur Autorin des Gedichtes „Im Erzgebirge“ weitere 106 Gedichte vor.

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