Im Dom zu Breslau von Louise Otto-Peters

Ein Führer, angethan mit rotem Kleid
Zeigt mir geschäftiglich des Domes Pracht,
Die funkelnde, die gold’ne Herrlichkeit,
Die manch Jahrhundert sorgsam hier bewacht.
Da stehn die Heiligen aus lauterm Gold
Und die Madonna trägt ein Prachtgewand,
Aus vielen Bildern grüßt sie schön und hold,
Auf ihrem Arm der Welterlösung Pfand.
 
Ein Murmeln durch die hohen Räume klang,
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Es war ein Flehen von zerlumpten Frauen,
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Die blöd’ gefolgt des Elends dumpfem Drang,
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Durch lautes Beten hier sich zu erbauen.
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Es war ihr Antlitz bleich und abgezehrt,
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Drauf las man viel von bittrer Pein und Not,
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Und jenes Flehn, das ihnen nicht erhört,
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Die heiße Bitte: – „Gieb uns unser Brot!“
 
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Ihr Armen, die Madonna hilft Euch nicht,
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Kein Herz schlägt unterm Sammet und Brocat –
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Und schaut Ihr zu der ew’gen Lampe Licht –
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Ach, auch von dorther keine Rettung naht.
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Umsonst blickt Ihr zu dieser Heil’gen Schar,
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Habt ihr Verehrung brünstiglich gezollt,
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Umsonst zu diesem prunkenden Altar,
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Umsonst – wenn Ihr nicht selbst Euch helfen wollt!
 
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Ja, diese Pracht und diese Herrlichkeit
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Sind Eures Mühens Schweiß, sind Euer Blut!
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Kein Segen ist’s, ein Fluch aus alter Zeit,
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Der für das Volk in solchen Tempel ruht.
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Das ist ein Götzendienst, ein Frevelspiel
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Mit Menschenhoheit und mit Menschenrecht,
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Verdummung nur ist dieses Prunkes Ziel,
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Damit der Fromme werd’ ein Pfaffenknecht.
 
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Hinaus, hinaus aus diesem kalten Dom
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Und seiner weihrauchvollen, düstern Nacht!
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Hinweg, hinweg von diesem alten Rom,
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Daß unserm Deutschland stets nur Schmach gebracht.
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O daß Ihr doch das hohe Wort vernähmt:
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Das Vaterland die Menschheit läuft Gefahr,
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Wenn Ihr Euch nicht jedweder Knechtschaft schämt
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Als eine treue, deutsche Kämpferschar.
 
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Erstündet Ihr mit einem Jubelschrei
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Vernichtet wär’ das finstre Pfaffenreich,
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Versänk’ in Nacht – Ihr aber wäret frei,
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Ihr wär’t noch mehr, Ihr wäret alle gleich.
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Kein Priester mehr, kein zwingendes Gebot,
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Kein Götzendienst zu einer Kirche Ruhm,
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Nur freie Menschen beten frei zu Gott,
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Nur in der Freiheit lebt das Christentum!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.6 KB)

Details zum Gedicht „Im Dom zu Breslau“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
48
Anzahl Wörter
320
Entstehungsjahr
1840-1850
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das vorgegebene Gedicht ist „Im Dom zu Breslau“ von Louise Otto-Peters. Otto-Peters war eine deutsche Schriftstellerin, Frauenrechtlerin und Journalistin des 19. Jahrhunderts und zählt zu den wichtigen Repräsentantinnen der ersten deutschen Frauenbewegung. Das Gedicht stammt aus dieser Epoche, in der das Streben nach gesellschaftlichen und politischen Reformen, sowie die Frauenemanzipation Hauptthemen waren.

Auf den ersten Blick fällt auf, dass das Gedicht einen kritischen Blick auf die Kirche und deren Prachtentfaltung wirft. In einfachen Worten hat das lyrische Ich eine Führung durch den Dom zu Breslau, in dem es die prunkvolle Ausstattung beschreibt. Parallel zu dieser Schilderung der Schönheit und des Reichtums der Kirche kontrastiert das lyrische Ich das mit der Armut und Verzweiflung der Gläubigen, die durch die Kirche keine Hilfe erfahren.

Formal ist das Gedicht in sechs gleich lange Strophen unterteilt, die jeweils acht Verse umfassen. Das Reimschema ist gleichförmig und gibt dem Gedicht eine klare Struktur und rhythmische Leseführung.

Uneingeschränkt verurteilt das lyrische Ich die Pracht der Kirche. Das lyrische Ich sieht darin eine Manifestation der Ausbeutung des Volkes und eine trügerische Illusion von Hilfe und Heil. Der Ausdruck „Götzendienst“ deutet darauf hin, dass das lyrische Ich glaubt, dass der wahre Glaube durch den Prunk und die Reichtum der Kirche pervertiert wurde. Deshalb ruft es die Gläubigen auf, sich von diesem falschen Götzen zu befreien und ihre eigene Freiheit und Gleichheit zu realisieren. Im letzten Vers betont das lyrische Ich, dass echtes Christentum nur in der Freiheit existieren kann.

Die Sprache des Gedichts ist klar und direkt, gerade in ihrer Kritik. Es werden starke Bilder wie „lauterer Gold“, „zerlumpte Frauen“ oder „dumpfer Drang“ verwendet, um die Gegensätze zwischen dem Glanz des Doms und dem verzweifelten Zustand der Armen hervorzuheben. Es ist also ein politisch-gesellschaftlicher Kommentar zur damaligen Zeit, der sich der Poesie bedient, um seine Botschaft zu vermitteln.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Im Dom zu Breslau“ der Autorin Louise Otto-Peters. Geboren wurde Otto-Peters im Jahr 1819 in Meißen. 1850 ist das Gedicht entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Leipzig. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten der Autorin her der Epoche Realismus zuordnen. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das vorliegende Gedicht umfasst 320 Wörter. Es baut sich aus 6 Strophen auf und besteht aus 48 Versen. Die Dichterin Louise Otto-Peters ist auch die Autorin für Gedichte wie „An Georg Herwegh“, „An Ludwig Börne“ und „An Richard Wagner“. Zur Autorin des Gedichtes „Im Dom zu Breslau“ haben wir auf abi-pur.de weitere 106 Gedichte veröffentlicht.

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