Im Brand der dürren Seele von Paul Haller

1	Im Brand der dürren Seele such ich dich,
2	Du Gott der Menschen, ich noch lang nicht Mensch;
3	Ich, ausgeschlossen aus den großen Schaaren,
4	Die wandelnd, schaffend, deine Diener waren.
5	Du bist der Gott der Stillen, die am Rand
6	Der großen Straße, hart zum Grund gebückt,
7	Mit nackten Füßen in die Dornen treten,
8	Ihr Äckerlein mit Treue rein zu jäten.
9	Du bist der Gott der Starken, die das Leuchten
10	Der fernen Ziele in der Nähe schauen.
11	Die Willen haben, die nicht weibisch fühlen,
12	Die aufwärts sehn und nicht im Sande wühlen.
13	Ich aber bin nicht von den Stillen, Gott!
14	Und nicht von denen, die den Willen haben;
15	Ein Feigling nur, der oft im Kampfe wich.
16	– Und doch, im Brand der Seele such’ ich dich.

Details zum Gedicht „Im Brand der dürren Seele“

Gedicht-Analyse

Das vorgegebene Gedicht ist von Paul Haller, einem Schweizer Schriftsteller, der von 1882 bis 1920 lebte. Das Gedicht entstammt somit der Epoche des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts, einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs, der unter anderem durch Technisierung, Industrialisierung und wissenschaftlichen Fortschritt geprägt war.

Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht sehr introspektiv, als handle es sich um ein inneres Ringen und Suchen nach Identität, Spiritualität und Zugehörigkeit.

Auch der Inhalt bestätigt diesen Eindruck. Das lyrische Ich ist auf der Suche nach Gott und fühlt sich dabei isoliert und abgesondert von den scheinbar gläubigen, starken und schaffenden Menschen. Die erste Strophe schildert das Gefühl des lyrischen Ichs, sich nicht zu den erfolgreichen, schaffenden Menschen zählen zu können. In der zweiten Strophe spiegelt sich dieses Thema wider, wo Gott als der Gott jener Menschen beschrieben wird, die hart und still arbeiten. Ebenso in der dritten Strophe, wo Gott als der Gott der Starken, die eine klare Vision und einen festen Willen haben, dargestellt wird. In der letzten Strophe gesteht das lyrische Ich, dass es weder still noch stark ist und sich auch nicht zu denen zählt, die einen festen Willen haben. Trotz seiner Schwächen und vermeintlichen Unzulänglichkeiten ist das lyrische Ich im tiefsten Inneren, im „Brand der dürren Seele“, auf der Suche nach Gott.

Was die Form betrifft, ist das Gedicht klar strukturiert. Es besteht aus vier Strophen mit je vier Versen, wobei jeder Vers aus einer Anzahl von ca. acht Silben besteht. Die Sprache des Gedichts ist metaphorisch und bildhaft. Zugleich sind die Worte einfach und klar, was dem Gedicht eine direkte, eindringliche Qualität verleiht.

Insgesamt wirkt „Im Brand der dürren Seele“ wie das innere Ringen eines Individuums, das sich auf der Suche nach Spiritualität, Identität und Zugehörigkeit befindet. Das lyrische Ich gesteht seine Schwächen und Mängel ein und sucht dennoch nach Gott und einer tieferen Verbindung zu ihm. Das Gedicht thematisiert also die universellen menschlichen Erfahrungen von Selbstzweifel, Einsamkeit und der Sehnsucht nach Zugehörigkeit und spiritueller Erfüllung.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Im Brand der dürren Seele“ des Autors Paul Haller. Im Jahr 1882 wurde Haller in Rein bei Brugg geboren. Zwischen den Jahren 1898 und 1920 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Aarau. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Naturalismus zuordnen. Der Schriftsteller Haller ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das 123 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 16 Versen mit insgesamt 4 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Paul Haller sind „Adie Wält“, „An die Mutter“ und „An die blasse Sonne I“. Zum Autor des Gedichtes „Im Brand der dürren Seele“ haben wir auf abi-pur.de weitere 65 Gedichte veröffentlicht.

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