Ich schmücke meinen Speer von Louise Otto-Peters

O laßt mich einmal träumen
Im wonniglichen Mai,
Mich ruhn unter Blütenbäumen,
Eh Mai und Lenz vorbei!
 
Des Wasserfalles Rauschen,
Der Nachtigallen Gesang –
Laßt mich ihn stille belauschen,
Er tönt ja so nicht lang.
 
Laßt unter grünen Blättern
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Mir suchen ein Lager auf,
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Wenn wirbelnde Lerchen schmettern
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Ihr Lied zum Himmel hinauf.
 
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Und wenn die Wachteln schlagen
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Im hohen blühenden Korn,
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Indes in duftigen Hagen
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Erkeimet jeder Dorn –
 
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Da sollt Ihr mich nicht quälen
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Mit Fragen her und hin:
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„Wie können wir auf Dich zählen,
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Treulose Kämpferin.
 
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Wenn Du von Träumen befangen
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Unter den Blüten liegst,
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Wo Schmetterlinge prangen
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Im süßen Taumel Dich wiegst?
 
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Wenn Du im Mondenglanze
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Als nächtliche Schwärmerin
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Dich schmückst mit blühendem Kranze,
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Dess’ Duft betäubt den Sinn?
 
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Jetzt schlummerst Du selbst im Wachen,
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Einst wachtest im Schlummer Du auf
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Und rangst mit den feindlichen Drachen,
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Die hemmen der Zeiten Lauf.
 
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Und wolltest kämpfen und dienen
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Dem Volke bis es frei;
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Jetzt lauschst Du summenden Bienen
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Als sei aller Kampf vorbei?!“
 
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Hört auf, mich so zu quälen
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Mit Fragen hin und her;
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Ich werd’ im Kampfe nicht fehlen,
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Doch schmück ich meinen Speer!
 
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Schmück ihn mit blühenden Sprossen,
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Mit Halmen schwer und voll,
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Und glaubt mir, Kampfgenossen,
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Daß er noch treffen soll!
 
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Beim fröhlichen Kränzebinden
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Bleibt jung und frisch mein Mut,
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Die Starren zu überwinden
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Mit Lenzbegeisterungsglut.
 
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Die Halme sollen’s erklären:
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Mein Speer ist den Armen geweiht,
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Nicht länger soll es währen,
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Um’s tägliche Brot ihr Leid.
 
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Doch selbst in blutigen Kriegen
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Man Waffenstillstand hält,
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Wenn es sich just muß fügen,
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Daß drein ein Festtag fällt.
 
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Den fromme Gläubige ehren
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So wollen im Lenz wir thun,
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Woll’n seine Feier verklären
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Und von den Waffen ruhn.
 
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Und seid Ihr’s nicht zufrieden,
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Seid Ihr zu strenge und kalt,
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So ist doch mir beschieden
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Die fromme Feier im Wald.
 
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So laßt doch den Poeten
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Im Lenze werden zum Kind,
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Mit Vögeln und Blumen ihn reden,
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Die seine Vertrauten sind.
 
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So laßt mich einmal träumen
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Im wonniglichen Mai,
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Mich ruhn unter Blütenbäumen,
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Eh Mai und Lenz vorbei.
 
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Und auf hört mich zu quälen
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Mit Fragen hin und her –,
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Ich werd’ im Kampfe nicht fehlen,
76 
Doch schmück ich meinen Speer!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (30 KB)

Details zum Gedicht „Ich schmücke meinen Speer“

Anzahl Strophen
19
Anzahl Verse
76
Anzahl Wörter
362
Entstehungsjahr
1840-1850
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht „Ich schmücke meinen Speer“ wurde von der Dichterin Louise Otto-Peters (1819-1895) verfasst. Otto-Peters war eine bedeutende Vertreterin der Frauenbewegung in Deutschland und bekannt für ihre politisch engagierten sowie sozialkritischen Schriften. Daher kann das Gedicht als ein Produkt des ausgehenden 19. Jahrhundert - der Biedermeier- und Gründerzeit - verstanden werden.

Schon beim ersten Lesen fällt auf, dass das lyrische Ich zwischen einer naturnahen Ruhe und einem metaphorischen Kampf hin und her pendelt. Es geht um den Wunsch, einmal vom Kampf auszuruhen und die Schönheit des Frühlings zu genießen, während die Gedanken immer wieder zum Kampf zurückkehren.

Inhaltlich geht es um das lyrische Ich, dass zunächst einmal träumen und sich unter blühenden Bäumen zur Ruhe betten möchte. Es ist beseelt von der Harmonie der Natur, den singenden Vögeln, summenden Bienen und den duftenden Blüten. Doch wird es von anderen dazu aufgefordert, den Kampf fortzuführen und nicht nachzulassen. Es wehrt sich und betont, dass es im Kampf nicht versagen werde, jedoch schmückt es in der Zwischenzeit seinen Speer. Es versichert anderen, dass sein Speer immer noch treffen wird. Eingebetet in die schöne Natur bildet der Speer und das Kampfmotiv eine Widersprüchlichkeit, die aber auch eine gewisse Poesie mit sich bringt – Kampf und Schönheit sind untrennbar miteinander verbunden.

Formal ist das Gedicht in vierzeilige Strophen mit einem umarmenden Reim (abba) gegliedert. Es ist ein Mix aus klassischen romantischen Gedichten und politisch-poetischen Darstellungen des sozialen Aktivismus. Die Sprache ist einfach und anschaulich, sie verleiht den Naturidyllen eine reiche und farbenprächtige Beschreibung. Gleichzeitig wird der metaphorische Speer immer wieder hervorgehoben und versinnbildlicht das Streben nach Veränderung und Fortschritt.

Insgesamt lässt sich sagen, dass das Gedicht zeigt, wie das lyrische Ich mit der Schwierigkeit ringt, seinen Kampf für sozialen Wandel mit der Notwendigkeit zu verbinden, sich auch Freiraum für persönliche Ruhe und Kontemplation zu nehmen. Dies ist ein klassischer Interessenkonflikt, der von Otto-Peters geschickt genutzt wird, um den ständigen Druck und die Belastungen darzustellen, denen Aktivist*innen oft ausgesetzt sind. Es ist ein Plädoyer für einen ausgewogenen Aktivismus, der auch die Schönheit des Lebens wertschätzt und in seine Arbeit integriert.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Ich schmücke meinen Speer“ stammt aus der Feder der Autorin bzw. Lyrikerin Louise Otto-Peters. Geboren wurde Otto-Peters im Jahr 1819 in Meißen. Im Jahr 1850 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Leipzig. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten der Autorin kann der Text der Epoche Realismus zugeordnet werden. Vor Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und daher anfällig für Fehler. Das Gedicht besteht aus 76 Versen mit insgesamt 19 Strophen und umfasst dabei 362 Worte. Die Gedichte „Am längsten Tage“, „An Alfred Meißner“ und „An August Peters“ sind weitere Werke der Autorin Louise Otto-Peters. Auf abi-pur.de liegen zur Autorin des Gedichtes „Ich schmücke meinen Speer“ weitere 106 Gedichte vor.

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