Hexengeflüster von Karl Henckell

Und die gespenstischen Schicksalsreiter
Auf den gelbschwarz getigerten Rossen
Mit den gierig geblähten Nüstern,
Die von giftigen Gasen dampfen,
Sausen weiter, sausen weiter ...
 
Dumpf die Hufe vorüberstampfen,
Und die Hexen des Schlachtfelds flüstern.
Blutübergossen,
Gerippehager,
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Lehnen zu dritt sie am toten Tank,
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Der angeschossen
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Plump sich gewälzt und im Sumpf versank.
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Hungermager
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Flüstern die Schwestern und Schicksalssager:
 
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„Welt todkrank!
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Menschen lüstern
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Nach Mord, Mord, Mord.
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Eisenhyäne,
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Zerfetzende Zähne!
 
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Mord ist der Lord,
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Wahnwitz der Meister
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Ruchloser Geister –
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Gold-Kapitäne
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Schrein:
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Gott über Bord!
 
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Welt ward gemein.
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Strotzende Fülle
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Hetzt sie zu Haß,
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Heilige Stille
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Schänden sie mit Granatengebrülle,
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Himmelhoch steigt ihr zerstörender Wille –
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Sancta, sancta Satanitas!
 
33 
Sinnlos Sein!
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Mild behütet
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Im Mutterschoß –
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Wild zerwütet,
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Metzgerstoß,
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Wuchs der Knabe zum Jungmann groß –
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Markverheerendes Menschheitslos!
 
40 
Feld der Lüge,
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Wahnesfeld,
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Irre Züge
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Zeigt die Welt ...
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Recht verzerrt,
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Wert entstellt –
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Horcht, wie der Höllhund der Dämmerung bellt!“
 
47 
Tag erwacht
48 
Fahl zur Schlacht,
49 
Schauerlich flüstern die Schicksalsfraun
50 
Und zerfließen in Nacht und Graun.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27 KB)

Details zum Gedicht „Hexengeflüster“

Anzahl Strophen
8
Anzahl Verse
50
Anzahl Wörter
157
Entstehungsjahr
1883-1886
Epoche
Realismus,
Naturalismus

Gedicht-Analyse

Karl Henckell ist der Autor des vorliegenden Gedichts „Hexengeflüster“. Er lebte von 1864 bis 1929, die wirkmächtigste Schaffensperiode des expressionistischen Dichters erstreckt sich vor allem auf die Zeit des Ersten Weltkriegs und der nachfolgenden Jahre bis hin zur Weimarer Republik.

Beim ersten Lesen überkommt einem direkt eine düstere, apokalyptische Stimmung. Ohne großes Vorwissen ist klar, dass das Gedicht von Krieg und dessen entsetzlichen Folgen handelt. Schon die ersten Verse sprechen von gespenstischen Schicksalsreitern und giftigen Gasen, ein Hinweis auf die grausame Kriegsführung mit Giftgas im Ersten Weltkrieg.

Die weiteren Strophen verdeutlichen das brutale, sinnlose Gemetzel, den Mord, der zum allmächtigen Herrn erhoben wurde und die Scheußlichkeit des Krieges. Der Krieg, verkörpert durch Gold-Kapitäne, wirft Gott über Bord und verschafft sich damit grenzenlose Macht. Henckell zeigt ein gesellschaftliches Bild, in welchem der Reichtum und Stolz der Menschen zum Hass und zur Zerstörung führt. Das lyrische Ich klagt die Militarisierung der Welt an und thematisiert die Verrohung der Menschheit.

Formal fällt am Gedicht besonders die abwechslungsreiche Strophenlänge auf, die zwischen vier und neun Versen variiert. Diese Heterogenität spiegelt die chaotischen Zustände und das Durcheinander des Krieges wider. Die Sprache ist klar, eindringlich und voller Metaphern. Vermenschlichte Maschinen („Eisenhyäne“), allmächtiger Mord („Mord ist der Lord“) und verstörende Satansanrufungen („Sancta, sancta Satanitas“) verstärken den Ausdruck des Grauens und der Unmenschlichkeit des Krieges.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Henckell in „Hexengeflüster“ die Brutalität und Wahnsinnigkeit des Krieges in zugleich grellbunten und düsteren Bildern festhält. Es ist ein Anklage gegen die Menschheit, die sich gegenseitig zerstört und gegen jene Kräfte, die solch ein Chaos herbeiführen.

Weitere Informationen

Karl Henckell ist der Autor des Gedichtes „Hexengeflüster“. Henckell wurde im Jahr 1864 in Hannover geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1886. München ist der Erscheinungsort des Textes. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Realismus oder Naturalismus kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das Gedicht besteht aus 50 Versen mit insgesamt 8 Strophen und umfasst dabei 157 Worte. Die Gedichte „Die Engelmacherin“, „Giordano Bruno“ und „Kommen wird der Tag....“ sind weitere Werke des Autors Karl Henckell. Zum Autor des Gedichtes „Hexengeflüster“ haben wir auf abi-pur.de weitere 21 Gedichte veröffentlicht.

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