Gute Nacht! von Kurt Tucholsky

Ich geh mit meinen Wanzen schlafen,
rotbraun und platt.
Quartiert bin ich bei einem Grafen,
der viele hat.
 
Des Nachts, wenn alle Sterne funkeln,
dann ziehen still
die fleißigen Scharen hin im Dunkeln,
wie Gott es will.
 
Sie kommen aus den schmalen Ritzen,
10 
aus dem Parkett;
11 
die feinern aber fastend sitzen
12 
des Tags im Bett.
 
13 
Sie pieken mich. Es schwillt zu riesigen
14 
Fleischklümpchen an, was sie gepackt;
15 
das macht die Beißekunst der Hiesigen –
16 
die sind exakt.
 
17 
Sie pieken mich. Es juckt. zum Glücke
18 
ist morgen alles wieder rein.
19 
Und wenn ich eine sanft zerdrücke,
20 
gedenk ich dein.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.3 KB)

Details zum Gedicht „Gute Nacht!“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
20
Anzahl Wörter
97
Entstehungsjahr
1919
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Gute Nacht!“ stammt von Kurt Tucholsky, einem deutschen Journalisten und Schriftsteller, der von 1890 bis 1935 lebte. Seine Arbeiten fallen insbesondere in die Zeit der Weimarer Republik.

Schon beim ersten Lesen fällt auf, dass das Gedicht humoristisch und doch auf eine eigene Art präzise und scheinbar kritisch ist. Es befasst sich mit den nächtlichen Aktivitäten von Wanzen.

Das lyrische Ich beschreibt den Prozess, wie er mit den Wanzen (die hier metaphorisch auch als lästige, unvermeidbare Schwierigkeiten des Lebens interpretiert werden könnten) schlafen geht. Diese Wanzen leben – humorvolle Wendung – bei einem Grafen. Sie kommen nachts hervor, wenn die Sterne leuchten und gehen eifrig ans Werk. Man kann eine Pointe in der Darstellung der „feineren“ Wanzen sehen, die anscheinend tagsüber im Bett sitzen und fasten.

Der Schmerz und das Unbehagen, die durch die Wanzen verursacht werden, werden humorvoll dargestellt: Sie pieken ihn und seine Haut schwillt an, aber zum Glück ist alles am nächsten Morgen wieder in Ordnung. Wenn er eine Wanze tötet, denkt das lyrische Ich an eine unklare „du„-Person, womöglich eine verlorene Liebe oder ein vermisstes Individuum.

Die Form des Gedichts ist ein Vierzeiler, der aus fünf Strophen besteht, was eine übersichtliche und einfach zu folgende Struktur bietet. Tucholsky's Sprache ist klar und unverschnörkelt, in einem volksliedischen Ton gehalten, durchzogen mit Ironie und Humor.

Insbesondere in den letzten Versen könnte die Beziehung zwischen dem lyrischen Ich und den Wanzen auch als Metapher für Machtverhältnisse oder gesellschaftliche Beziehungen gesehen werden. Der Graf und die „feineren“ Wanzen könnten als Repräsentanten des Adels oder der bourgeoisen Oberschicht interpretiert werden, während die „fleißigen Scharen“ der Wanzen den arbeitenden Klassen ähneln könnten. Diese Interpretation würde zu Tucholskys bekannter politischer Orientierung passen, die oft als links und sozialistisch charakterisiert wird.

Die subtile Kritik an bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen könnte also ein Schlüssel zur tieferen Bedeutung dieses humorvollen, nächtlichen Gedichts von Kurt Tucholsky sein.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Gute Nacht!“ des Autors Kurt Tucholsky. Im Jahr 1890 wurde Tucholsky in Berlin geboren. Im Jahr 1919 ist das Gedicht entstanden. Erschienen ist der Text in Charlottenburg. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zugeordnet werden. Bei Tucholsky handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Der Erste Weltkrieg von 1914 bis 1918 und die daraufhin folgende Entstehung und der Fall der Republik hatten erheblichen Einfluss auf die Literatur der Weimarer Republik. Neue Sachlichkeit ist eine Richtung der Literatur der Weimarer Republik. In den Werken dieser Epoche ist die zwischen den Weltkriegen hervortretende Tendenz zu illusionsloser und nüchterner Darstellung von Gesellschaft, Technik, Weltwirtschaftskrise aber auch Erotik deutlich erkennbar. Man kann dies auch als Reaktion auf den literarischen Expressionismus werten. Die Handlung wurde meist nur kühl und distanziert beobachtet. Die Dichter orientierten sich dabei an der Realität. Mit einem Minimum an Sprache wollte man ein Maximum an Bedeutung erreichen. Mit den Texten sollten so viele Menschen wie möglich erreicht werden. Deshalb wurde darauf geachtet eine nüchterne sowie einfache Alltagssprache zu verwenden. Die Freiheit von Wort und Schrift war zwar verfassungsmäßig garantiert, doch bereits 1922 wurde nach der Ermordung eines Politikers das Republikschutzgesetz erlassen, das diese Freiheit wieder einschränkte. Viele Schriftsteller litten unter dieser Zensur. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die teils in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz verstärkte die Grenzen der Zensur nochmals. Später als die Pressenotverordnung im Jahr 1931 in Kraft trat, war sogar die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate möglich.

Als Exilliteratur wird die Literatur von Schriftstellern bezeichnet, die unfreiwillig Zuflucht in der Fremde suchen müssen, weil ihre Person oder ihr Werk im Heimatland bedroht sind. Für die Flucht ins Exil geben meist religiöse oder politische Gründe den Ausschlag. Die deutsche Exilliteratur entstand in den Jahren von 1933 bis 1945 als Literatur der Gegner des Nationalsozialismus. Dabei spielten zum Beispiel die Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 und der deutsche Überfall auf die Nachbarstaaten Deutschlands 1938/39 eine ausschlaggebende Rolle. Die Exilliteratur bildet eine eigene Literaturepoche in der deutschen Literaturgeschichte. Sie schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an. Die Themen der deutschen Exilliteratur lassen sich zunächst in zwei Gruppen einteilen. Einige Schriftsteller fühlten sich in ihrer neuen Heimat nicht zu Hause, hatten Heimweh und wollten einfach in ihr altes Leben vor dem Nationalsozialismus zurückkehren. Oftmals konnten sie im Ausland nicht mehr ihrer Tätigkeit als Schriftsteller nachgehen, da sie nur in deutscher Sprache schreiben konnten, was im Ausland aber niemand verstand. Heimweh und ihre Liebe zum Mutterland sind die thematischen Schwerpunkte in ihren Werken. Die anderen Schriftsteller wollten sich gegen Nazideutschland wehren. Man wollte einerseits die Welt über die Grausamkeiten in Deutschland aufklären. Andererseits aber auch den Widerstand unterstützen. Spezielle formale Merkmale weist die Exilliteratur nicht auf. Allerdings gab es einige neue Gattungen, die in dieser Literaturepoche geboren wurden. Das epische Theater von Bertolt Brecht oder auch die historischen Romane waren neue literarische Textsorten. Aber auch Radioreden oder Flugblätter der Widerstandsbewegung sind hierbei als neue Textsorten erwähnenswert. Oftmals wurden die Texte auch getarnt, so dass sie trotz Zensur nach Deutschland gebracht werden konnten. Dies waren dann die sogenannten Tarnschriften.

Das vorliegende Gedicht umfasst 97 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 20 Versen. Der Dichter Kurt Tucholsky ist auch der Autor für Gedichte wie „An Peter Panter“, „An das Publikum“ und „An die Meinige“. Zum Autor des Gedichtes „Gute Nacht!“ haben wir auf abi-pur.de weitere 136 Gedichte veröffentlicht.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Kurt Tucholsky

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Kurt Tucholsky und seinem Gedicht „Gute Nacht!“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

Weitere Gedichte des Autors Kurt Tucholsky (Infos zum Autor)

Zum Autor Kurt Tucholsky sind auf abi-pur.de 136 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.