Großmutter und Enkel von Hugo von Hofmannsthal

»Ferne ist dein Sinn, dein Fuß
Nur in meiner Tür!«
Woher weißt du's gleich beim Gruß?
»Kind, weil ich es spür.«
 
Was? »Wie Sie aus süßer Ruh
Süß durch dich erschrickt.« –
Sonderbar, wie Sie hast du
Vor dich hingenickt.
 
»Einst,...« Nein: jetzt im Augenblick!
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Mich beglückt der Schein –
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»Kind, was haucht dein Wort und Blick
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Jetzt in mich hinein?
 
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Meine Mädchenzeit voll Glanz
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Mit verstohlnem Hauch
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Öffnet mir die Seele ganz!«
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Ja, ich spür es auch:
 
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Und ich bin bei dir und bin
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Wie auf fremdem Stern:
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Ihr und dir mit wachem Sinn
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Schwankend nah und fern!
 
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»Als ich dem Großvater dein
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Mich fürs Leben gab,
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Trat ich so verwirrt nicht ein
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Wie nun in mein Grab.«
 
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Grab? Was redest du von dem?
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Das ist weit von dir!
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Sitzest plaudernd und bequem
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Mit dem Enkel hier.
 
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Deine Augen frisch und reg,
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Deine Wangen hell –
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»Flog nicht übern kleinen Weg
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Etwas schwarz und schnell?«
 
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Etwas ist, das wie ein Traum
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Mich Verliebten hält.
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Wie der enge schwüle Raum
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Seltsam mich umstellt!
 
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»Fühlst du, was jetzt mich umblitzt
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Und mein stockend Herz?
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Wenn du bei dem Mädchen sitzt,
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Unter Kuß und Scherz,
 
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Fühl es fort und denk an mich,
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Aber ohne Graun:
43 
Denk, wie ich im Sterben glich
44 
Jungen, jungen Fraun.«
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27 KB)

Details zum Gedicht „Großmutter und Enkel“

Anzahl Strophen
11
Anzahl Verse
44
Anzahl Wörter
209
Entstehungsjahr
1899
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht stammt von Hugo von Hofmannsthal, einem österreichischen Schriftsteller und Dramatiker, der von 1874 bis 1929 lebte. Sein Schaffen ist einer der bedeutendsten Beiträge zur deutschsprachigen Literatur der Moderne, insbesondere der literarischen Epoche des Symbolismus.

Das Gedicht erweckt ersten Eindruck von einem intimen Gespräch oder einer stillen Beobachtung zwischen Großmutter und Enkel, das in einer melodiösen und herzlichen Art und Weise dargestellt ist.

Das Gedicht besteht aus einem Dialog zwischen der Großmutter und ihrem Enkel. Die Großmutter bemerkt, dass obwohl der Enkel physisch anwesend ist, seine Gedanken weit weg sind. Sie erkennt, dass er in einer Art süßer Trance ist, die sie mit ihrer eigenen Jugend und den Zeiten verknüpft, in denen sie verwirrt und emotional war. Sie ermutigt ihren Enkel, sich des Moments bewusst zu sein und gibt zu, dass sie sich den Tod nahe fühlt. Ihr Enkel versichert ihr jedoch, dass sie in guter Verfassung ist und versucht, sie davon abzubringen, über den Tod zu sprechen. Dennoch spürt auch der Enkel eine ungewöhnliche Atmosphäre, was möglicherweise auf den Tod der Großmutter hindeutet. Die Großmutter endet das Gedicht mit der Vermutung, dass sie im Sterben jungen Frauen ähneln wird.

In Bezug auf die Form und Sprache des Gedichtes ist es in vierzeilige Strophen mit einem klaren und einfachen Sprachstil geschrieben. Die Sprache ist bildhaft und metaphernreich, mit Bildern von „süßer Ruh“ und „verstohlenem Hauch“, die Emotionen und Stimmungen hervorrufen. Die Figurenrede mit den symbolischen und tief emotionalen Ausdrucksweisen erzeugt eine melancholische und nachdenkliche Stimmung. Es gibt einen Rhythmus und ein Muster in der Art, wie sowohl Großmutter als auch Enkel sprechen, was dem Gespräch zwischen den beiden Figuren eine musikalische Qualität verleiht.

Insgesamt offenbart das Gedicht eine Reihe von Themen wie Verweilen in Erinnerungen, Beschäftigung mit dem Tod und die Kluft zwischen den Generationen. Dabei ist es interessant zu sehen, wie die Großmutter die Worte ihrer Enkelkinder reflektiert und verstanden hat und wie sie ihr Leben mit ihren eigenen einschneidenden Erfahrungen in Verbindung bringt. Mit diesem Gedicht veranschaulicht Hofmannsthal auf eindrucksvolle Weise die Ironie des Lebens - die Vergänglichkeit der Zeit und die unvermeidliche Annäherung an den Tod.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Großmutter und Enkel“ ist Hugo von Hofmannsthal. Der Autor Hugo von Hofmannsthal wurde 1874 in Wien geboren. 1899 ist das Gedicht entstanden. Erschienen ist der Text in Leipzig. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Moderne kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei Hofmannsthal handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 44 Versen mit insgesamt 11 Strophen und umfasst dabei 209 Worte. Der Dichter Hugo von Hofmannsthal ist auch der Autor für Gedichte wie „Auf den Tod des Schauspielers Hermann Müller“, „Ballade des äußeren Lebens“ und „Botschaft“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Großmutter und Enkel“ weitere 40 Gedichte vor.

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