Grabschrift von Karl Kraus

Der großen Zeit schreib' ich es ins Gesicht:
Weh dem, der sich vermißt, das Angedenken
gefallener Frauen nun gering zu achten!
Sie standen gegen einen größern Feind,
Weib gegen Mann. Nicht Zufall der Maschine,
der grad entkommt, wer ihr nicht grad verfällt,
hat sie geworfen, sondern Aug in Aug,
aus eigenem Geheiß, eins gegen alle,
im Sturm der unerbittlichen Moral
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sind sie gefallen. Ehre jenen sei,
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die an der Ehre starben, heldische Opfer,
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geweiht dem größern Mutterland Natur!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (23.8 KB)

Details zum Gedicht „Grabschrift“

Autor
Karl Kraus
Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
12
Anzahl Wörter
78
Entstehungsjahr
1920
Epoche
Moderne,
Expressionismus,
Avantgarde / Dadaismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Grabschrift“ stammt von dem österreichischen Dichter Karl Kraus, der von 1874 bis 1936 lebte. Dies lässt eine Einordnung in das literarische Zeitalter der Moderne zu, genauer in die Periode des Symbolismus und Expressionismus in der deutschsprachigen Literatur um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert.

Bereits beim ersten Lesen fällt auf, dass der Ton des Gedichts ernst und nachdenklich ist. Das lyrische Ich scheint auf den Tod von Frauen Bezug zu nehmen, die metaphorisch als „gefallene Frauen“ bezeichnet werden und für eine bestimmte Sache oder Überzeugung gestorben sind.

Inhaltlich lässt sich das Gedicht als eine Art Ehrung oder Gedenken an diese Frauen verstehen, die aus persönlicher Überzeugung heraus gegen einen „größeren Feind“ gekämpft haben. Diese Kämpfe werden als persönliche Auseinandersetzungen dargestellt, nicht als Zufallsakte einer unpersönlichen Maschine. Sie sind demnach aus eigenem Geheiß gefallen und nicht durch äußere Umstände. Ihr Heldentum wird dabei besonders hervorgehoben, indem sie als „heldische Opfer“ bezeichnet werden, die „der Ehre“ starben.

Formal besteht das Gedicht aus einer einzigen Strophe mit zwölf Versen. Sprachlich ist es geprägt durch einen formalen, fast feierlichen Stil, der die Ernsthaftigkeit des Themas und der Ehrung unterstreicht. Durch den Gebrauch von Begriffen wie „der großen Zeit“, „der unerbittlichen Moral“ und „dem größeren Mutterland Natur“ wird zudem eine allgemeingültige, überindividuelle Dimension des Geschehens betont.

Die Aussage des lyrischen Ichs lässt sich somit als eine Würdigung und Ehrung der mutigen Frauen verstehen, die aus eigener Überzeugung und moralischer Stärke heraus gegen einen größeren Feind gekämpft und dabei ihr Leben gelassen haben. Damit könnten historische Ereignisse gemeint sein, wie beispielsweise die Kämpfe von Frauen für ihre Rechte und Gleichstellung in einer patriarchalischen Gesellschaft. Durch ihre Opferbereitschaft und ihren Kampfgeist sind sie für das lyrische Ich zu heldischen Symbolfiguren geworden.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Grabschrift“ des Autors Karl Kraus. Im Jahr 1874 wurde Kraus in Jičín (WP), Böhmen geboren. 1920 ist das Gedicht entstanden. In München ist der Text erschienen. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Moderne, Expressionismus, Avantgarde / Dadaismus oder Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das 78 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 12 Versen mit nur einer Strophe. Der Dichter Karl Kraus ist auch der Autor für Gedichte wie „Alle Vögel sind schon da“, „Als Bobby starb“ und „An den Schnittlauch“. Zum Autor des Gedichtes „Grabschrift“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 61 Gedichte vor.

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