Stabat mater von Franz Grillparzer

Nun wohl, es ward euch dargebracht,
Ihr habt es nicht erkannt;
In all der Tonkunst Zaubermacht,
In des Gefühles Farbenpracht,
Ihr wiest es von der Hand.
Ihr jauchztet wenigstens nicht laut,
Daß in der Zeiten Sand,
Der dürre Kräuter spärlich trägt,
Von Zweifelsdornen eingehegt,
10 
Die Rose euch entstand,
11 
Die dasteht mit gesenktem Haupt,
12 
Euch bittend: »Seht mich an und glaubt,
13 
Vergeßt für einen Augenblick
14 
Euch selbst in des Genusses Glück!«
15 
Ihr aber wieset es zurück.
 
16 
Was liegt daran! Das Werk besteht,
17 
Und euer später Enkelsohn
18 
Zahlt einst die Schuld des Vaters schon,
19 
Wie ihr für eure Väter steht,
20 
Die Mozarts »Don Juan« verschmäht.
21 
Den Meister aber kümmerts nicht.
22 
Er kennt die Welt. Mir däucht, er spricht:
23 
»Wenn sie mit den Augen hört,
24 
Mit den Ohren sieht,
25 
Mit dem Kopfe fühlt,
26 
Und dem Gefühle denkt,
27 
Ist sie nicht wert, daß man sich kränkt.«
 
28 
Eins aber ging verloren, eins!
29 
Der Unschuld Glück, o Östreich, deins.
30 
In Deutschlands kalter Nebelnacht,
31 
Wo kaum ein Sonnenstrahl mehr lacht,
32 
Irrwische leuchten, fauler Dunst,
33 
Mit der Natur einschlief die Kunst,
34 
Lagst du oasenähnlich da,
35 
Für den, der beßre Zeiten sah.
36 
Ein lauer Hauch ging durch die Luft,
37 
Durchwürzt von kleiner Veilchen Duft,
38 
Die Bäume standen hoch und frisch,
39 
Von Licht und Schatten ein Gemisch;
40 
Und wenn dein Wissen minder reich,
41 
Was wahr, teilt Gott an alle gleich;
42 
Drum gabs in deinen Tälern Schall,
43 
Es klang das Lied der Nachtigall,
44 
Indes an deiner Grenze Saum
45 
Der heisre Sperling zwitschert kaum,
46 
Und Papageien sinnentfernt
47 
Nachplappern, was sie eingelernt.
48 
Allein die Gletscher schreiten fort,
49 
Es wächst das Eis von Ort zu Ort,
50 
Und der Pedant, ein rauher Nord,
51 
Er bläst dich an mit seinem Wort.
 
52 
Was liegt daran! Das Wort vergeht,
53 
Die Kunst, der Mensch, die Welt besteht.
 
54 
Doch wenn, nicht mehr wie sonst geneigt,
55 
Das Lied dir, gleich den Nachbarn, schweigt,
56 
Dann denke, still in dich gekehrt:
57 
Sind wir es noch zu hören wert?
58 
Nahm etwa der Erkenntnis Baum
59 
Nicht dem des Lebens Luft und Raum?
60 
Die Wahl schon einmal schwer sich wies,
61 
Sie kostete das Paradies.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.9 KB)

Details zum Gedicht „Stabat mater“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
61
Anzahl Wörter
338
Entstehungsjahr
1791 - 1872
Epoche
Biedermeier,
Realismus

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichtes „Stabat mater“ ist Franz Grillparzer. 1791 wurde Grillparzer in Wien geboren. In der Zeit von 1807 bis 1872 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Biedermeier oder Realismus kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei dem Schriftsteller Grillparzer handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen. Das Gedicht besteht aus 61 Versen mit insgesamt 5 Strophen und umfasst dabei 338 Worte. Franz Grillparzer ist auch der Autor für Gedichte wie „Beethoven“, „Der Wunderbrunnen“ und „Entsagung“. Zum Autor des Gedichtes „Stabat mater“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 300 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Franz Grillparzer

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Franz Grillparzer und seinem Gedicht „Stabat mater“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

Weitere Gedichte des Autors Franz Grillparzer (Infos zum Autor)

Zum Autor Franz Grillparzer sind auf abi-pur.de 300 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.