Gerichtet von Rainer Maria Rilke

Am ›Ring‹ stand einst ein Blutgerüst,
lang ist es her; doch wenn der Schein
des runden Monds das Rathaus küßt,
dann wallen aus dem heilgen Teyn
Gerichtete in Geisterreihn ...
Weh wer sie sah!
 
Viel Herren fielen auf dem Ring;
die Herren finden Ruhe nicht; –
sie zogen eines Nachts: Es ging
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voran Herr Christus, groß und licht,
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mit ernstem, traurigem Gesicht ...
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Und einer sahs!
 
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Der war ein Maler. Und im Flug
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malt er, wie er geschaut, den Ring.
15 
Er malt den ganzen Geisterzug,
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dem ernst voran Herr Christus ging.
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Er malt ... bis ihn ein Fieber fing ...
18 
Jetzt ist er tot. –
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.2 KB)

Details zum Gedicht „Gerichtet“

Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
18
Anzahl Wörter
99
Entstehungsjahr
nach 1891
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Gerichtet“ wurde von Rainer Maria Rilke geschrieben, einem deutschsprachigen Dichter, der am 4. Dezember 1875 geboren wurde und am 29. Dezember 1926 starb. Da keine Veröffentlichungsdaten vorliegen, kann das Gedicht zeitlich nicht präzise eingeordnet werden.

Auf den ersten Eindruck hin erzeugt das Gedicht eine düstere und etwas unheimliche Atmosphäre. Es scheint, als würde das lyrische Ich auf Ereignisse der Vergangenheit zurückblicken, die eine gewisse Bedrohung und Unruhe heraufbeschwören.

Inhaltlich beschreibt das Gedicht historische Ereignisse, die an einem Ort namens „Ring“ stattgefunden haben. In der ersten Strophe erzählt das lyrische Ich von einem ehemaligen „Blutgerüst“ (Vers 1) - wohl ein Hinrichtungsplatz - und den „Gerichteten“ (Vers 5), die jetzt als Geister erscheinen. Die zweite Strophe spricht von „Herrn“, die auf dem Ring fielen (Vers 7) und nun keine Ruhe finden (Vers 8). Sie erscheinen in einer nächtlichen Prozession, angeführt von „Herr Christus“ (Vers 10) mit ernstem, traurigem Gesicht (Vers 11). In der dritten Strophe erzählt das lyrische Ich von einem Maler, der diese Szene festhält (Vers 13-17), aber schließlich an einem Fieber stirbt (Vers 18).

Das lyrische Ich scheint also von Vergangenheit, Tod und Wiedergängertum geprägt und bewegt zu sein, möglicherweise auch von der Frage nach Sühne und Erlösung. In der malerischen Darstellung der geschilderten Szenen könnte auch eine Reflexion über die Rolle und die Grenzen von Kunst liegen.

Die Form des Gedichtes ist recht einfach: es besteht aus drei Strophen mit je sechs Versen. Dabei fällt auf, dass das Versmaß nicht streng durchgehalten, sondern gelegentlich variiert wird - eine typische Charakteristik von Rilkes Spätwerk.

Die Sprache des Gedichtes ist eher bildhaft und eindrücklich. Rilke verwendet metaphorische Ausdrücke wie „Blutgerüst“ und „Geisterreihn“, und auch die Anführungszeichen bei „Ring“ deuten darauf hin, dass hier metaphernreiche Andeutungen und Verweise zum Einsatz kommen, die das Ganze rätselhaft und eindringlich machen. Dabei erzeugt das Gedicht eine gewisse Dramatik und Spannung, die durch den allmählichen Einbruch des Übersinnlichen ins Sichtbare und Realistische noch verstärkt wird.

Weitere Informationen

Rainer Maria Rilke ist der Autor des Gedichtes „Gerichtet“. Der Autor Rainer Maria Rilke wurde 1875 in Prag geboren. Im Zeitraum zwischen 1891 und 1926 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Frankfurt am Main. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Moderne zu. Der Schriftsteller Rilke ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 18 Versen mit insgesamt 3 Strophen und umfasst dabei 99 Worte. Der Dichter Rainer Maria Rilke ist auch der Autor für Gedichte wie „Abend“, „Abend“ und „Abend in Skaane“. Zum Autor des Gedichtes „Gerichtet“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 338 Gedichte vor.

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