Gebet einer Jungfrau von Frank Wedekind

Ave Maria!
Schwere Träume plagen
Mich so manche Nacht,
Und es ist die Pein,
Die mein Blut empört,
Nicht mehr zu ertragen,
Achtzehn Jahre alt
Und noch Jungfrau sein.
Ave Maria!
10 
Gratia plena!
11 
Trost und Freude kannst
12 
Nimmer du verwehren,
13 
Einen braven Mann
14 
Mußt du mir bescheren,
15 
Einen braven Mann,
16 
Der gut lieben kann.
 
17 
Ave Maria!
18 
An dem braven Gatten
19 
Freu’ ich mich gewiß
20 
Bis zum Überdruß;
21 
Herren, die nicht gleich
22 
Ihm Bericht erstatten,
23 
Gönn’ ich darum gern
24 
Manchmal einen Kuß.
25 
Ave Maria!
26 
Gratia plena!
27 
Doch wenn Einer mich
28 
Wirklich liebt, erhöre
29 
Stets ich all sein Flehn
30 
Ohne daß ich störe
31 
Meinen braven Mann,
32 
Der gut lieben kann.
 
33 
Ave Maria!
34 
Wird mir nun zur Plage
35 
Dieser Brave, der
36 
Mich gesetzlich liebt,
37 
Dann stell’ ich sofort
38 
Eine Scheidungsklage,
39 
Wenn – aus gutem Grund –
40 
Er den Anlaß gibt.
41 
Ave Maria!
42 
Gratia plena!
43 
Droht mein Gatte, sich
44 
Geistig zu verklären,
45 
Dann als nächsten mußt
46 
Gleich du mir bescheren
47 
Einen braven Mann,
48 
Der gut lieben kann.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.6 KB)

Details zum Gedicht „Gebet einer Jungfrau“

Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
48
Anzahl Wörter
161
Entstehungsjahr
1864 - 1918
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Gebet einer Jungfrau“ wurde von Frank Wedekind verfasst, einem deutschen Dramatiker und Schriftsteller, der von 1864 bis 1918 lebte. Dies bedeutet, dass es in die Epoche des Naturalismus und Expressionismus fällt.

Das Gedicht vermittelt auf den ersten Blick eine Art Kontrast zwischen scheinheiliger religiöser Anbetung und erotischen Sehnsüchte eines jungen Mädchens. Das lyrische Ich rezitiert Gebete zur Jungfrau Maria, jedoch mit einer sexuellen Untertönung und einer hohen Gewichtung auf das Verlangen nach emotionaler und sexueller Erfüllung.

Der Inhalt des Gedichts folgt der Struktur eines Gebets, in dem das lyrische Ich dreimal die Heilige Maria anruft und um einen „braven Mann“ bittet, der gut lieben kann. Allerdings ist die Sehnsucht des lyrischen Ichs nach Liebe und Sexualität durchaus komplex und mehrdeutig, da es auch Umstände beschreibt, in denen es scheinbar hin- und hergerissen zwischen der Hingabe an einen zukünftigen Ehemann und dem Wunsch nach Abenteuer ist. Es betont auch die Möglichkeit einer Scheidung, falls die Ehe unglücklich verlaufen sollte.

Die Antwort des lyrischen Ichs auf die Heilige Maria ist ein Grabenkrieg zwischen gesellschaftlichen Erwartungen (Reinheit, Keuschheit) und individuellen Verlangen (Leidenschaft, Liebe). Das Gedicht macht deutlich, dass der Wunsch nach Zuneigung und Intimität nicht aufgehoben oder unterdrückt werden kann, selbst im Einfluss einer strengen religiösen Kontrolle.

In Bezug auf Form und Sprache verwendet Wedekind ein gleichbleibendes Versmaß in jeder Strophe, was dem Gedicht einen gleichförmigen Rhythmus verleiht. Es folgt dem Stil eines klassischen Gebets mit der wiederholten Anrufung von „Ave Maria“ und „Gratia Plena“, welche lateinisch sind und jeweils „Sei gegrüßt Maria“ und „voller Gnade“ bedeuten. Allerdings wird dieses traditionelle Gebet mit satirischen und bissigen Inhalten gefüllt, die dem frommen Kontext widersprechen und dabei helfen, die komplexen Gefühle und Bedürfnisse des lyrischen Ichs darzustellen.

Weitere Informationen

Frank Wedekind ist der Autor des Gedichtes „Gebet einer Jungfrau“. Im Jahr 1864 wurde Wedekind in Hannover geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1880 bis 1918 entstanden. In München und Leipzig ist der Text erschienen. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Moderne zu. Bei Wedekind handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das 161 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 48 Versen mit insgesamt 3 Strophen. Frank Wedekind ist auch der Autor für Gedichte wie „An Elka“, „An Francisca de Warens“ und „An Madame de Warens“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Gebet einer Jungfrau“ weitere 114 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Frank Wedekind

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Frank Wedekind und seinem Gedicht „Gebet einer Jungfrau“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

Weitere Gedichte des Autors Frank Wedekind (Infos zum Autor)

Zum Autor Frank Wedekind sind auf abi-pur.de 114 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.