Gebet an die Sonne von Gibeon von Karl Kraus

Sonne, immer du noch purpurnen Abschied nimmst,
immer doch unbeirrt, immer den Erdentag
segnend, der ins Gesicht dir in Finsternis prahlt —
wieder vorbei dem Menschenkreis.
 
Keines irrenden Sterns zitternder Funke war
je verborgener den vom Dunkel Verblendeten
als dein flammendes Meer, das den Abend umarmt
wie ein brennendes Gottesherz.
 
Sonne, dankloser dir, dunkler sich selbst verbleibt
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alles Lebendige, das nicht Athem der Pflanze hat,
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nicht die Weisheit des Thiers — wahllose Geberin,
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nur du, Sonne du, weißt es nicht!
 
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Sieh diese Kugel aus Kot, die einst der Teufel warf
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in die Planetenbahn, wie sie sich um sich dreht,
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und nur um dich, daß sie in gutem Lichte sei,
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Spielball eigener Eitelkeit.
 
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Oder aus Raum und Zeit sprang dieser Wechselbalg,
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wähnt sich selbst eine Welt, wähnt, daß die Welten nur
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seine Trabanten sind — doch für den Sternenlauf
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lebt er ein ewiges Hindernis.
 
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Daß du noch Farben hast, Sonne, ob solchem Grab
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aller Liebe, die je kosmischer Geist vergab!
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Daß du noch prangen kannst vor der Armseligkeit —
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Wunder dieser Entgötterung!
 
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Nicht das Gold deines Strahls hält ihren Blick gebannt,
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für einen Silberling ist eine Andacht feil.
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Daß vor höchstem Gericht du ihres dunkeln Sinns
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zeugtest, fürchtet die Erde nicht.
 
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Liehe die ewige Nacht ihr eine Aussicht nur
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auf noch besseres Gold als sie dem Tage stahl,
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gingst du auf immer dahin, keine Thräne dir nach
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flöß’ aus erloschenem Menschenaug.
 
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Welcher Sinn denn befiehlt irdischen Lebens Gang?
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Nicht in Athem und Dank an Gott, daß er Athem gab,
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lebt der Mensch seine Zeit, sondern er zahlt damit,
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endlich schuldig nur an sich selbst.
 
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Gibt es der Götter noch, denen das All sich beugt:
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blieb der Bezirk, worin Wahn mit der Gier regiert,
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blieb die Stätte, worauf Menschliches irregeht,
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unvermindert Jehovahs Reich.
 
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Heil dir, o Israel! wer ist wie du, vor ihm,
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der deiner Hilfe Schild und deines Sieges Schwert?
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Siehe, es schmeicheln dir deine Feinde, o Volk,
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aber du trittst auf ihre Höhn!
 
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Keiner von ihnen soll vor dir bestehn, und du,
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fürchtest du Gott allein, aber sonst nichts in der Welt:
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durch alle Wässer gehst trockenen Fußes durch,
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immer den Kopf zum Ziel gewandt.
 
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Durch die Schärfe des Schwerts schlugst du sie, immer sind
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gottverschworner Vertilgung alle sie ausgesetzt.
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Und es fielen vom Himmel große Steine auf sie.
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Denn der Herr stritt für Israel.
 
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Sie zu vertilgen gab er sie in Israels Hand,
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daß es setzte den Fuß auf der Könige Hals;
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alles Lebendige gab, alle Seelen der Gott
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gottverschworener Rache preis.
 
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Und so wird es der Herr all ihren Feinden thun,
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denn er stritt wider sie, stritt nur für Israel.
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Denn ihr Herz war verstockt, daß sie sich weigerten,
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Zins zu geben dem Gottesvolk.
 
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Nicht Weib noch Mann entrann, nicht Kind und Greis dem Schwert,
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verschont nur ward und geehrt, wer den Verrath ersann,
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und alles Silber und Gold und alles Geräth aus Erz
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legten sie zu dem Schatz des Herrn.
 
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Doch die zu Gibeon hielten zu Israel.
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Denn sie fürchteten sich. Nicht erwürgt wurden sie,
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nur verflucht wurden sie, ewig Sklaven zu sein
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für die Gemeine Israels.
 
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Weil sie schlossen den Bund, wurden sie nur bestimmt,
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Holz zu hauen und auch Wasserträger zu sein
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für die Gemeine und auch für den Altar des Herrn,
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desselbigen Tags bis auf diesen Tag.
 
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Doch der Geschlechter Geschlacht nichts Lebendiges ließ,
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und so plünderten sie alle Beute für sich.
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Und es war auch kein Tag diesem erwählten gleich,
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vor ihm keiner und nach ihm nicht.
 
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Denn zur Feier des Siegs am Himmel ein Wunder war
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und die Sonne blieb stehn, die Sonne zu Gibeon,
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und auch der Mond im Thal stand stille zu Ajalon.
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Denn es geschah für Israel.
 
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Mitten am Himmel stand, wie es geboten war,
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beinah sie den ganzen Tag, nicht eilte sie unterzugehn,
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bis das Volk sich gerächt an seinen Feinden. Dies
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im Buch des Frommen geschrieben steht.
 
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Und der eifrige Gott, welcher am siebenten Tag
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der Zerstörung nicht ruht, hieß sie vollenden, bis
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sie der besiegten Welt den Fuß auf den Nacken gesetzt
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und ein Geschrei erheben gedurft.
 
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Denn es ward ihnen gesagt, nicht zu erheben so lang
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Geschrei, bis ihnen gesagt, daß sie erheben Geschrei,
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dieses hielten sie ein, dann aber gingen sie hin,
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Geschrei zu erheben wie ihnen gesagt.
 
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Wie das Geschrei nun erscholl, da fiel die Mauer ein,
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und wie das Volk es sah, daß da die Mauer fiel
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auf das Geschrei, das Volk ein großes Geschrei erhob,
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herzufallen über die Stadt sogleich.
 
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Völker, die es gehört, wurden hörig dem Volk;
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alle schrieen wie es, alles ward Israel.
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Alle Sprachen durchdrang einzig die Melodie,
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deren Schalmei das Geld anlockt.
 
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Und sein Wechsel verlangt anderen Wechsel auch —
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Schwarz von Tinte der Tag, rot vom Blute die Nacht!
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Aber welche es sei: Fluth, die im Wechsel wuchs:
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Israel ging trocken durch.
 
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Ist die Erde ein Meer, so braucht die Erde mehr,
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mischt das Blut mit dem Meer, immer noch mehr und mehr —
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Rache, der Raubfisch, steigt, Drache, hoch in die Luft,
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daß sie Freistatt des Mordes sei!
 
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Näher, mein Gott, zu dir! Näher der Sonne zu!
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Sonne, dir angethan bleibt es in Ewigkeit!
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Leuchtest wieder und lachst? Hingang und Wiederkehr
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bleibt die Uhr dieses Menschentags?
 
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Wirft diese Erdenschmach keinen Schatten auf dich?
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Sonne, quält es dich nicht, wenn du im Mittag stehst,
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daß der Strahl deines Augs fällt auf das Leichenfeld,
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wo die Hyäne Mahlzeit hält?
 
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Lasse stehen die Zeit! Sonne, vollende du!
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Mache das Ende groß! Künde die Ewigkeit!
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Recke dich drohend auf, Donner dröhne dein Licht,
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daß unser schallender Tod verstummt!
 
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Goldene Glocke du, schmilz in eigener Gluth,
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werde Kanone du gegen den kosmischen Feind!
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Schieß ihm den Brand ins Gesicht! Wäre mir Josuas Macht,
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wisse, wieder wär’ Gibeon!
 
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Richte dich auf zum Gericht! Eile nicht unterzugehn,
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bis sich das Licht gerächt an dem dunkeln Geschlecht,
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und deine blutige Pracht trockne sein elendes Blut
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gottverschworener Rache gemäß!
 
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Keiner von ihnen soll vor dir bestehn, und du
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auf ihre Höhen tritt, zum dunkeln Untergang
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brenne, leuchte herab, lache Sonne, daß du
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es nun doch an den Tag gebracht!
 
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Aber ein Wunder hier thu auch an Pflanze und Thier.
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Flamme des Menschentods sei ihnen Wärme nur.
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Rufe Frühling zurück allem, was unterthan
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rauchgeborenem Leben war.
 
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Allem Erschöpften gib Farbe und Lust zurück.
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Laß den Menschen jedoch, Henker an allem was
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mit der Natur verwandt, laß die Maschingeburt
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sterbend sehn, wie das Gras gedeiht!
 
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Und das Thier, das er trieb, seine Ware zu ziehn
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und in den Kampf zu ziehn um seiner Ware Heil —
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labe es, wenn du statt Strahlen doch Blitze hast,
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zu vertilgen den Seelenfeind.
 
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Wenn du ein Ende gemacht hochmüthiger Niedertracht
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und du dem Blutgeschäft unendlichen Sieg entreißt —
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von deiner Glorie schweigt irdischer Lobgesang,
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weil sie den Schmeichler hinweggerafft.
 
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Aber es rauschen dir erwachende Sphären. Dank
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tönet im Äther, wo Harfen der Liebe sind.
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Welch einen Wandel führst du den Sternen herauf!
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Staunend erkennt die Schönheit sich.
 
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Es wird ein Sonntag sein. Götter kommen zum Fest.
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Ursprungs eilen herbei Geister, ledig der Zeit.
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Ohne den Menschen ist Freude. Am neuen Tag
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sonnt sich, der dich geschaffen hat.
 
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Und die Liebe um dich höret nun nimmer auf,
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und die Musik im All schallt deiner Herrlichkeit,
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und dein erhabener Glanz ist ohnegleichen heut,
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weil ihm das Menschenauge brach!

Details zum Gedicht „Gebet an die Sonne von Gibeon“

Autor
Karl Kraus
Anzahl Strophen
40
Anzahl Verse
160
Anzahl Wörter
1198
Entstehungsjahr
1920
Epoche
Moderne,
Expressionismus,
Avantgarde / Dadaismus

Gedicht-Analyse

Dieses Gedicht stammt von Karl Kraus, einem österreichischen Schriftsteller und Herausgeber der Zeitschrift „Die Fackel“. Er lebte von 1874 bis 1936, was seine Werke in die Epoche des fin de siècle, der Wiener Moderne und der Zwischenkriegszeit einordnet.

Auf den ersten Blick fällt die Länge des Gedichts auf, es besteht aus vielen Strophen, die scheinbar von verschiedenen Themen handeln. Der Titel „Gebet an die Sonne von Gibeon“ deutet eine religiöse Dimension an und bezieht sich auf eine Geschichte aus dem Alten Testament, in welcher die Sonne auf Geheiß von Josua stillsteht, um den Israeliten mehr Zeit für einen siegreichen Kampf zu geben.

Karl Kraus verwendet die Sonne als zentrales Symbol und rückt ihre Beziehung zur Erde und zu den Menschen in den Vordergrund. Sie steht symbolisch für die allumfassende und unaufhörliche Kraft, die das Leben auf der Erde ermöglicht und dabei gleichzeitig über das menschliche Treiben erhaben ist. Es wird deutlich, dass das lyrische Ich den Menschen kritisiert, die in Egoismus und Hochmut ihre eigenen Bedürfnisse über das Wohl der Erde und der Nichtmenschlichen Lebewesen stellen.

Das Gedicht ist in Versen verfasst und weist einen eher komplexen Satzbau mit vielen Inversionen auf. Die Sprache ist durchgehend gehoben, teilweise archaisierend mit religiösen und mythologischen Anspielungen.

Die Form des Gedichts ist durchwegs konsistent - jede Strophe besteht aus vier Versen und folgt somit der Form des Quartetts. Es gibt keine festen Reimschemata, was dem Gedicht einen flüssigen Rhythmus verleiht. Anhand der Länge des Gedichts und der Anzahl der Strophen könnte man vermuten, dass es sich hier um einen epischen Text handelt.

Abschließend lässt sich sagen, dass Kraus in seinem Gedicht vor allem die menschliche Hybris, die Ausbeutung der Natur, die lieblose Behandlung der Erde und deren Konsequenzen thematisiert. Es wirkt wie eine Anklageschrift gegen die Arroganz der Menschheit und plädiert für ein respektvolleres Verhältnis zur Erde und deren Lebewesen. Der Schluss lässt eine Art Apokalypse und eine Befreiung der Natur ohne den Menschen vorhersehen.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Gebet an die Sonne von Gibeon“ des Autors Karl Kraus. 1874 wurde Kraus in Jičín (WP), Böhmen geboren. 1920 ist das Gedicht entstanden. München ist der Erscheinungsort des Textes. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Moderne, Expressionismus, Avantgarde / Dadaismus oder Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit zu. Prüfe bitte vor Verwendung die Angaben zur Epoche auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich Literaturepochen zeitlich überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung häufig mit Fehlern behaftet. Das vorliegende Gedicht umfasst 1198 Wörter. Es baut sich aus 40 Strophen auf und besteht aus 160 Versen. Weitere Werke des Dichters Karl Kraus sind „Auferstehung“, „Aus jungen Tagen“ und „Bange Stunde“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Gebet an die Sonne von Gibeon“ weitere 61 Gedichte vor.

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