Gebet von Rainer Maria Rilke

Nacht, stille Nacht, in die verwoben sind
ganz weiße Dinge, rothe, bunte Dinge,
verstreute Farben, die erhoben sind
zu Einem Dunkel Einer Stille, – bringe
doch mich auch in Beziehung zu dem Vielen,
das du erwirbst und überredest. Spielen
denn meine Sinne noch zu sehr mit Licht?
Würde sich denn mein Angesicht
noch immer störend von den Gegenständen
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abheben? Urtheile nach meinen Händen:
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Liegen sie nicht wie Werkzeug da und Ding?
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Ist nicht der Ring selbst schlicht
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an meiner Hand, und liegt das Licht
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nicht ganz so, voll Vertrauen, über ihnen, –
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als ob sie Wege wären, die beschienen
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nicht anders sich verzweigen als im Dunkel? …
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.1 KB)

Details zum Gedicht „Gebet“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
16
Anzahl Wörter
104
Entstehungsjahr
1906
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Gebet“ stammt von dem Prager Dichter Rainer Maria Rilke, der von 1875 bis 1926 lebte. Rilke zählt zu bedeutenden Vertretern der literarischen Epoche des Symbolismus und der literarischen Moderne. Bei der ersten Lektüre des Gedichts fällt der lyrische und zugleich philosophische Ton auf, der Rilkes Werke oft kennzeichnet.

Inhaltlich thematisiert das lyrische Ich im Gedicht die Nacht und seine Beziehung zu ihr. Die Nacht wird dabei als verbunden mit Farben und Dingen beschrieben, die aber in ihrer Dunkelheit und Stille eins werden. Das lyrische Ich bittet, ein Teil dieses Einen zu werden, und bezeichnet seine eigene Verbindung zum Licht und zu den Dingen und Farben, die in der Nacht verschmelzen, als störend. Die Hände und der Ring spielen ebenfalls eine zentrale Rolle, da sie neben der Nacht als weitere Symbole für die Auseinandersetzung mit den natürlichen Phänomenen Licht und Dunkelheit fungieren.

Die angestrebte Verschmelzung von Ich und Umwelt weist auf die existentialistischen und mystischen Tendenzen Rilkes Werk hin. Es zeigt das Verlangen, sich vom Bewussten zu lösen und mit dem „Einen“ des Universums zu verschmelzen. Dieser Wunsch bringt die zentrale Aussage des Gedichts zum Ausdruck: Die menschliche Existenz basiert auf einer Spannung zwischen dem Wunsch nach Individualität und dem Drang, sich mit dem Ganzen zu vereinen.

Formal besteht das Gedicht aus einer Strophe mit 16 Versen, die jedoch nicht streng nach Reimschema oder Metrum geordnet sind. Die freie metrische Gestaltung ist charakteristisch für Rilke und gibt dem Gedicht einen fließenden, meditativen Charakter. Der Sprachstil ist hochgestochen, jedoch vermeidet Rilke eine allzu komplexe Syntax und schwere Begriffe, was den Ausdruck der tiefgründigen Gedanken nicht behindert. Der genaue und sensible Einsatz von sprachlichen Bildern intensiviert die empfindsame Stimmung, die das Gedicht durchzieht.

Zusammengefasst ist dieses Gedicht ein Beispiel für Rilkes feinsinnige Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen und seiner Fähigkeit, diese in präzise und dennoch emotional ansprechende sprachliche Bilder zu fassen.

Weitere Informationen

Rainer Maria Rilke ist der Autor des Gedichtes „Gebet“. Geboren wurde Rilke im Jahr 1875 in Prag. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1906 zurück. Erschienen ist der Text in Berlin / Leipzig, Stuttgart. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Moderne zugeordnet werden. Bei dem Schriftsteller Rilke handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 16 Versen mit nur einer Strophe und umfasst dabei 104 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Rainer Maria Rilke sind „Adam“, „Advent“ und „Allerseelen“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Gebet“ weitere 338 Gedichte vor.

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