Gebet von Christian Morgenstern
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Gib mir den Anblick deines Seins, o Welt… |
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Den Sinnenschein laß langsam mich durchdringen… |
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So wie ein Haus sich nach und nach erhellt, |
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bis es des Tages Strahlen ganz durchschwingen – |
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und so wie wenn dies Haus dem Himmelsglanz |
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noch Dach und Wand zum Opfer könnte bringen – |
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daß es zuletzt, von goldner Fülle ganz |
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durchströmt, als wie ein Geisterbauwerk stände, |
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gleich einer geistdurchleuchteten Monstranz: |
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So möchte auch die Starrheit meiner Wände |
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sich lösen, daß dein volles Sein in mein, |
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mein volles Sein in dein Sein Einlaß fände – |
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und so sich rein vereinte Sein mit Sein. |
Details zum Gedicht „Gebet“
Christian Morgenstern
3
13
94
1914
Moderne
Gedicht-Analyse
Das vorliegende Gedicht stammt von dem Dichter Christian Morgenstern, der zwischen 1871 und 1914 lebte. Morgenstern ist besonders für seinen humorvollen und scharfsinnigen Sprachwitz bekannt, schrieb allerdings auch ernstere Texte wie das hier analysierte „Gebet“. Bei seiner Einordnung in die Literaturgeschichte wird er oft der Epoche des Symbolismus zugerechnet.
Im ersten Durchlesen erweckt das Gedicht einen introspektiven, fast mystischen Eindruck. Es legt eine starke Betonung auf innere Verwandlung und spirituelle Vereinigung von Innen und Außen, Ich und Nicht-Ich.
Das lyrische Ich wünscht sich in diesem Gedicht, die Welt, das Außen, vollkommen wahrnehmen und durchdringen zu können. Es vergleicht sich dabei mit einem Haus, das sich nach und nach mit Licht füllt, bis es vollkommen von diesem durchdrungen und ihm sozusagen „geopfert“ ist. Dieses Bild verstärkt die Vorstellung von einem Einswerden der inneren und äußeren Welt, eine traditionelle Idee vieler spiritueller Praktiken. Die letzte Strophe führt diese Idee weiter aus und beschreibt, wie das lyrische Ich sich wünscht, dass die scheinbare Starrheit und Trennung zwischen Innen und Außen, Individuum und Welt, sich auflöst und zu einer Einheit wird.
Formal besteht das Gedicht aus drei Strophen von unterschiedlicher Länge, mit insgesamt 13 Versen. Die Sprache ist dabei lyrisch und das Bild vom mit Licht gefüllten Haus zentral, welches sowohl zur Verdeutlichung der progressiven Durchdringung durch das äußere Sein dient, als auch zur Symbolisierung der Transzendenz der physischen Begrenzungen des menschlichen Daseins. Das Gedicht nutzt somit Sprache, um eine tiefe, fast metaphysische Erfahrung zu beschreiben und einzufangen. Es zeigt somit Morgensterns Fähigkeit, tiefgründige und komplexe Emotionen und Erfahrungen in einfachen, aber kraftvollen Bildern auszudrücken.
Weitere Informationen
Christian Morgenstern ist der Autor des Gedichtes „Gebet“. Im Jahr 1871 wurde Morgenstern in München geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1914 entstanden. Erscheinungsort des Textes ist München. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Moderne zuordnen. Bei dem Schriftsteller Morgenstern handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 94 Wörter. Es baut sich aus 3 Strophen auf und besteht aus 13 Versen. Der Dichter Christian Morgenstern ist auch der Autor für Gedichte wie „Brüder!“, „Bundeslied der Galgenbrüder“ und „Da nimm. Das laß ich dir zurück, o Welt“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Gebet“ weitere 189 Gedichte vor.
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