Für alle von Louise Otto-Peters

Für alle! hören wir die Worte tönen,
Da wird das Herz uns plötzlich groß und weit!
Sie künden uns wie mit Drommetendröhnen
Den Siegsgesang der echten Menschlichkeit.
Denn anders ist kein heilig’ Werk zu krönen
Und anders nie zu enden Kampf und Streit,
Als wenn ein Heil, das in die Welt gekommen
Der Sonne gleich für alle ist entglommen.
 
„Für alle!“ sangen einst der Engel Scharen
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In jener gottgeweihten heil’gen Nacht,
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„Für alle will der Herr sich offenbaren
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In seiner ewigtreuen Liebesmacht;
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Für alle hat er Noth und Tod befahren
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Und der Erlösung großes Werk vollbracht,
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Das gleich den Gliedern eines Leibes einte
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Mit festem Band die gläubige Gemeinde.“
 
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„Für alle –“ klang es im Hussitenheere –
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„Ist auch der Gnade Kelch mit Christi Blut,
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Denn allen ward verkündet seine Lehre,
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Die in der Gleichheit aller Menschen ruht,
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Und Erd’ und Himmel hat nicht höhre Ehre,
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Als nun uns wird mit dem geweihten Gut!“
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Im Märtyr’tum, in grauser Todeshalle
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Ertönt es noch: „Der Kelch des Heils für alle!“
 
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So wußten sie die Losung recht zu fassen,
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Erteilten sie an Mann und Weib zugleich.
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Sie wollten nicht das hohe Erbteil lassen,
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Das Bürgertum im neuen Liebesreich.
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Da gab es keinen Neid mehr und kein Hassen,
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Kein Sklaventum, kein Herschen stark und feig,
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Die Seelen galt’s, die freien, zu erretten
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Aus düsterm Bann, aus schwerer Knechtschaft Ketten.
 
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Wo wieder aber ward der Ruf vernommen:
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„Für alle Freiheit!“ klang es fast wie Hohn,
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Denn für die Männer nur war er gekommen
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Im Wettersturm der Revolution.
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Denn schien auch Joch auf Joch hinweggenommen,
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Und stürzte auch in Trümmer Thron um Thron:
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Dem Männerrecht nur galt das neue Ringen,
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Das Frauenrecht blieb in den alten Schlingen.
 
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Wohl grüßten freie Männer sich als Brüder,
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Nur Bürger gab es, nicht mehr Herr und Knecht;
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Wohl sangen sie der Liebe Bundeslieder
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Und fühlten sich als ein erneut’ Geschlecht.
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Doch auf die Schwestern blickten stolz sie nieder,
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Der Menschheit Hälfte blieb noch ohne Recht,
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Blieb von dem Ruf: „für alle!“ ausgenommen –
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Ihr muß erst noch der Tag des Rechtes kommen.
 
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Der Frauen Schar, die in den Staub getreten,
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Ward nur erhoben an des Glaubens Hand.
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Die Besten lernten fromm zum Himmel beten,
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Weil ja die Erdenwelt sie nicht verstand;
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Die andern aber ließen sich bereden
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Sie seien nur bestimmt zu Spiel und Tand,
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Es sei ihr höchstes Ziel im süßen Minnen,
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Des ganzen Lebens Inhalt zu gewinnen.
 
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Doch wiederum wird einst der Ruf erklingen:
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So wie vor Gott sind wir auf Erden gleich!
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Die ganze Menschheit wird empor sich ringen
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Zu gründen ein erneutes Liebesreich,
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Dem Weibe wie dem Mann sein Recht zu bringen
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Zu wahren mit des Friedens Palmenzweig.
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In laut’rer Wahrheit stolzem Siegesschalle
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Tönt’s noch einmal: „Erlösung kam für alle!“
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (29.6 KB)

Details zum Gedicht „Für alle“

Anzahl Strophen
8
Anzahl Verse
64
Anzahl Wörter
456
Entstehungsjahr
1860-1870
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Für alle“ ist von Louise Otto-Peters, einer deutschen Schriftstellerin und Frauenrechtlerin, die im 19. Jahrhundert lebte. Entstanden ist das Werk vermutlich im Kontext der ersten Welle der Frauenbewegung in Deutschland, welche insbesondere von Louise Otto-Peters mitgeprägt wurde.

Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht wie ein Aufruf zur Gleichberechtigung und Solidarität, insbesondere hinsichtlich der Stellung der Frau in der Gesellschaft.

Inhaltlich möchte das lyrische Ich offenbar auf die Ungerechtigkeit und die ungleiche Behandlung von Frauen und Männern hinweisen und fordert eine Veränderung. Das Gedicht beginnt mit allgemeinen Aussagen zur Menschlichkeit und Gleichheit, gleitet über zu historischen Ereignissen und endet mit der Feststellung, dass das Frauenrecht wesentlich weniger Aufmerksamkeit erhält als das Männerrecht. Daraus resultiert der Appell für Gleichberechtigung und Respekt für beide Geschlechter.

Formal besteht das Gedicht aus acht Strophen, die jeweils acht Verse umfassen. Die Sprache ist zwar altmodisch, ihre Aussagekraft jedoch ist klar und deutlich. Metaphorische und symbolische Sprachelemente wie „Herz“, „Siegsgesang“ oder „Kampf und Streit“ werden verwendet, um die Situation zu verdeutlichen und Emotionen zu wecken. Auffällig ist das wiederholte Motiv „Für alle“, welches sowohl die Forderung nach Gerechtigkeit und Gleichheit symbolisiert, als auch auf die Exklusion der Frauen von vielen Rechten hinweist. Hier zeigt sich deutlich, dass Louise Otto-Peters Gedicht ein Appell an die Gesellschaft ist, alle Menschen – unabhängig von ihrem Geschlecht – als gleich anzusehen und zu behandeln.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Otto-Peters mit „Für alle“ ein Gedicht zur Förderung der Frauenrechte geschrieben hat, das die Diskriminierung der Frauen in verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten scharf kritisiert und dabei immer wieder die Vision einer gerechten und solidarischen Welt in den Vordergrund stellt.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Für alle“ der Autorin Louise Otto-Peters. 1819 wurde Otto-Peters in Meißen geboren. Im Jahr 1870 ist das Gedicht entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Leipzig. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten der Autorin her lässt sich das Gedicht der Epoche Realismus zuordnen. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Basis geschehen. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben bei Verwendung. Das vorliegende Gedicht umfasst 456 Wörter. Es baut sich aus 8 Strophen auf und besteht aus 64 Versen. Die Dichterin Louise Otto-Peters ist auch die Autorin für Gedichte wie „An Byron“, „An Georg Herwegh“ und „An Ludwig Börne“. Zur Autorin des Gedichtes „Für alle“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 106 Gedichte vor.

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