Für Rußland von Rudolf Lavant

Wild um sich schlägt in seinem Todeskampf,
Den Schaum der Wut auf den erblichnen Lippen,
Das fluchbeladne russische Zarat.
Die Salven rollen dröhnend durch die Gassen,
Und über Sterbende und Tote fegt
Wie eine Windsbraut ein Kosakenschwarm,
In der erhobnen Rechten die Nagaika,
Zum Stoß gesenkt die mörderische Lanze,
Und Weiber, Kinder, schreckgebannte Greise
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Wirft untern Hufschlag seiner Steppenpferde
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Der wilde blut- und schnapsberauschte Schwarm.
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Wer in der Tür sich und am Fenster zeigt,
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Den nimmt zum Ziel sich die Kosakenkugel;
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Schlüpfrig von Herzblut sind des Pflasters Steine,
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In allen Gossen rinnt es wie ein Bach;
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Und die der Kriegssturm vor sich hergejagt
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Wie lose Spreu, die rohe Soldateska
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Rächt an den eignen Landeskindern sich
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Und feiert mordend billige Triumphe.
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Wie Räuber brechen sie mit Kolbenstößen
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In jedes Haus, das Beute hoffen läßt;
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Sie schleppen fort, was ihre Gier gereizt,
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Und als Finale züngelt durch die Sparren
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Des Daches fauchend die gefräß’ge Flamme.
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Ein rotdurchglühtes Rauchgewölk verdunkelt
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Den Horizont, und dichte Trauerschleier
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Bedecken schonend eine Trümmerstatt.
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So tobt in Rußland sich die Wut der Angst
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In grauenvollen Henkerszenen aus,
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Und des Zarates letzte Todeszuckung
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Ist widerlich, wie es die Blüte war.
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Der Völker Blicke hängen wie gebannt
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An diesem Schauspiel, wie es fürchterlicher
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Sich nie geboten, seit die Erde steht;
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Und instinktiv empfinden alle Völker,
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Daß man da drüben ihre Schlachten schlägt,
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Daß jedes Opfer, das der Huf zerstampft,
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Gefallen ist für ihre eigne Sache.
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Und riesengroß aus riesengroßem Elend
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Erwächst den Völkern nun die Ehrenpflicht,
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Nach besten Kräften helfend abzutragen
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Die Schuld des Dankes, die sie sonst erdrückt.
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Was eigne Armut nur entbehren kann –
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Hier soll sie willig es und freudig geben.
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Ein gar beredter Mahner ist das Mitleid,
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Wenn aus dem Herzen es zum Kopfe drängt
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Und unwillkürlich uns die Augen feuchtet,
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Die sich an blut’gem Elend blind gesehn,
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Der strengste Mahner aber ist die Pflicht!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.4 KB)

Details zum Gedicht „Für Rußland“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
49
Anzahl Wörter
310
Entstehungsjahr
nach 1860
Epoche
Realismus,
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Für Rußland“ wurde geschrieben von Rudolf Lavant, einem deutschen Dichter, der zwischen 1844 und 1915 lebte. Eine genauere zeitliche Einordnung ist schwierig, doch könnte das Gedicht im Kontext der turbulenten Jahre um die Wende zum 20. Jahrhundert entstanden sein.

Schon beim ersten Lesen hinterlässt das Gedicht einen starken, düsteren Eindruck. Es schildert Szenen von Gewalt, Leiden und Zerstörung. Offensichtlich geht es um Ereignisse in Russland, die dem Autor zutiefst missfallen.

Lavant beschreibt ein russisches Zarenregime, das sich mit roher Gewalt gegen die eigene Bevölkerung richtet. In seiner Darstellung ist das zaristische Russland ein Ort des Terrors und der Brutalität, wo der Krieg hart und gnadenlos geführt wird. Unschuldige wie Frauen, Kinder, alte Leute werden unterdrückt und malträtiert, Häuser geplündert und niedergebrannt.

Angesichts dieser Grauen klagt der Dichter das Abscheuliche des Unrechts an und appelliert an die Pflicht des Mitgefühls und der Solidarität, die andere Völker gegenüber dem leidenden Russland zu empfinden und zu zeigen haben. Die Sache der russischen Bevölkerung wird zur Sache aller Menschen erklärt. Ihr Elend und ihr Kampf erzeugen eine Verpflichtung zur Unterstützung.

Dabei macht Lavant auch eine bemerkenswerte Stilfigur des Gedichts deutlich: Dieses ist eine einzige große Strophe von 49 Versen. Lavant benutzt lebendige, bildhafte und teils drastische Ausdrücke, um die Gewalt und das Chaos zu beschreiben, die in Russland herrschen. Die ausführliche Schilderung macht die Situation sehr greifbar.

Die Sprache spielt mit Kontrasten und Übertreibungen, um die Dringlichkeit der Situation zu betonen. Sie ist von Verben der Bewegung, des Kampfes und Härte geprägt. Und durch den Erzählstil des Gedichts fühlt sich der Leser angesichts der beschriebenen Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten unweigerlich aufgerufen, zu agieren und Hilfe zu leisten.

Zusammenfassend ist „Für Rußland“ ein eindringliches, sich auf öffentliche Angelegenheiten beziehendes Gedicht, das nicht nur die Gewalt und das Elend in Russland schildert, sondern zugleich ein leidenschaftlicher Appell an alle ist, Mitgefühl und Solidarität zu zeigen. In Form und Sprache verdeutlicht es die Intensität und die Dringlichkeit der Situation.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Für Rußland“ ist Rudolf Lavant. Lavant wurde im Jahr 1844 in Leipzig geboren. Im Zeitraum zwischen 1860 und 1915 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Berlin. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Realismus, Naturalismus, Moderne, Expressionismus oder Avantgarde / Dadaismus zugeordnet werden. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das Gedicht besteht aus 49 Versen mit nur einer Strophe und umfasst dabei 310 Worte. Der Dichter Rudolf Lavant ist auch der Autor für Gedichte wie „An die alte Raketenkiste“, „An unsere Feinde“ und „An unsere Gegner“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Für Rußland“ weitere 96 Gedichte vor.

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