Furcht von Karl Kraus
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Vor Tönen, Formen, halb erwachten Träumen |
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wird mir im innern Herzen bang. |
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Ich lebe in dem Untergang |
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und wohne in bedrohten Räumen. |
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Nicht fürcht’ ich mich vor irdischen Gewittern |
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und bin für jeden Donner taub. |
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Doch zittert wo ein Espenlaub, |
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so werde ich mit ihm erzittern. |
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Ich wahre vor Gefahren nicht mein Leben |
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und spotte ihrer Gegenwart. |
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Doch wenn es an den Wänden knarrt, |
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so kann ich wie ein Kind erbeben. |
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Ich fliehe nicht vor Räubern oder Recken |
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und spreche den Gewalten Hohn. |
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Doch kann vor einem Menschenton |
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ich wie am jüngsten Tag erschrecken. |
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Mich faßt so bald kein ängstevolles Zaudern |
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und hab’ der Feinde nie zu viel. |
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Jedoch vor einem Mienenspiel |
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wird’s mich wie vor der Hölle schaudern. |
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Und solche Furcht erregt in mir den Dichter |
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und ich erfülle die Figur |
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und brauche etwas Asche nur |
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für die lebendigsten Gesichter. |
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Und so erwachse ich im Widerstreiten, |
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und seit ich so den Mut verlor, |
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gewannen Auge mir und Ohr |
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die Herrschaft in zerfallnen Zeiten. |
Details zum Gedicht „Furcht“
Karl Kraus
7
28
165
1920
Moderne,
Expressionismus,
Avantgarde / Dadaismus
Gedicht-Analyse
Der Autor des Gedichts „Furcht“ ist Karl Kraus, ein österreichischer Schriftsteller, der von 1874 bis 1936 lebte. Das Gedicht wurde daher in der Zeitspanne zwischen dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert verfasst, einer Ära großer wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Veränderungen in Europa.
Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht nachdenklich und introspektiv, da es die inneren Ängste und Gefühle des Sprechers zum Thema hat. Es wird eine deutliche Trennung zwischen physischen und psychologischen Ängsten gemacht. Tatsächlich beschreibt das lyrische Ich zu Beginn des Gedichts eine tiefe innere Furcht vor unspezifischen, abstrakten Dingen wie „Tönen, Formen, halb erwachten Träumen“, die sich in seinem „innern Herzen“ ausbreiten. Allerdings werden physische Bedrohungen wie Gewitter, Räuber oder feindliche Mienen seinerseits nicht gefürchtet. Diese paradox erscheinende Furcht wird im Laufe des Gedichts weiter ausdifferenziert und bildet schließlich die Quelle seiner Kreativität und seines Dichtertums.
Das Gedicht ist sorgfältig strukturiert, es besteht aus sieben Strophen mit jeweils vier Versen, die einem strengen Muster folgen. Jede Strophe beginnt mit einer Aussage über eine konkrete, physische Bedrohung, die das lyrische Ich nicht fürchtet, und endet mit einer abstrakteren, emotionaleren Furcht, die es tief bewegt. Die Aussage jedes Verses ist klar und deutlich, mit einem erkennbaren rhythmischen Muster und einem präzisen, messerscharfen Fokus auf das Thema Angst.
Die Sprache des Gedichts ist gleichzeitig einfach und ausdrucksstark, was eine tiefe emotionale Resonanz erzeugt. Der Dichter verwendet lebendige Bilder und Vergleiche, um seine Gefühle zu verdeutlichen, etwa wenn er sagt, dass er „wie ein Kind“ erbeben kann, wenn die Wände knarren, oder dass er „wie am jüngsten Tag“ vor einem menschlichen Ton erschrecken kann. Diese bildlichen Ausdrücke dienen dazu, die Intensität seiner Gefühle zu unterstreichen und dem Leser einen tieferen Einblick in seine Innenwelt zu geben.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Gedicht „Furcht“ von Karl Kraus eine meisterhafte Untersuchung der inneren Ängste und Emotionen des Menschen ist. Der Dichter verwendet eine strenge formale Struktur und ausdrucksstarke, bildhafte Sprache, um eine tiefe, komplexe und häufig paradox anmutende Darstellung der Furcht zu vermitteln. Das lyrische Ich ist dabei nicht nur ein passives Opfer seiner Ängste, sondern schöpft aus ihnen seine kreative Inspiration und seinen trotzigen Mut.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Furcht“ des Autors Karl Kraus. 1874 wurde Kraus in Jičín (WP), Böhmen geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1920 zurück. Der Erscheinungsort ist München. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Moderne, Expressionismus, Avantgarde / Dadaismus oder Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit zugeordnet werden. Die Richtigkeit der Epochen sollte vor Verwendung geprüft werden. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da es keine starren zeitlichen Grenzen bei der Epochenbestimmung gibt, können hierbei Fehler entstehen. Das vorliegende Gedicht umfasst 165 Wörter. Es baut sich aus 7 Strophen auf und besteht aus 28 Versen. Die Gedichte „Alle Vögel sind schon da“, „Als Bobby starb“ und „An den Schnittlauch“ sind weitere Werke des Autors Karl Kraus. Zum Autor des Gedichtes „Furcht“ haben wir auf abi-pur.de weitere 61 Gedichte veröffentlicht.
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Weitere Gedichte des Autors Karl Kraus (Infos zum Autor)
- Abenteuer der Arbeit
- Absage
- Abschied und Wiederkehr
- Alle Vögel sind schon da
- Als Bobby starb
- An den Schnittlauch
- An eine Falte
- An einen alten Lehrer
- Auferstehung
- Aus jungen Tagen
Zum Autor Karl Kraus sind auf abi-pur.de 61 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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