Frühling von Sophie Friederike Mereau

Düfte wallen – Tausend frohe Stimmen
Jauchzen in den Lüften um mich her,
Die verjüngten trunknen Wesen schwimmen
Aufgelöst in einem Wonnemeer.
 
Welche Klarheit, welches Licht entfließet
Lebensvoll der glühenden Natur!
Festlich glänzt der Aether, und umschließet,
Wie die Braut der Bräutigam, die Flur.
 
Leben rauscht von allen Blüthenzweigen,
10 
Regt sich einsam unter Sumpf und Moor,
11 
Quillt, so hoch die öden Gipfel steigen,
12 
Emsig zwischen Fels und Sand hervor.
 
13 
Welch ein zarter, wunderbarer Schimmer
14 
Ueberstrahlt den jungen Blüthenhain!
15 
Und auf Bergen um verfallne Trümmer
16 
Buhlt und lächelt milder Sonnenschein.
 
17 
Dort auf schlanken, silberweißen Füßen
18 
Weht und wogt der Birken zartes Grün,
19 
Und die leichten, hellen Zweige fließen
20 
Freudig durch den lauen Luftstrom hin.
 
21 
In ein Meer von süßer Lust versenket,
22 
Wallt die Seele staunend auf und ab,
23 
Stürzt von frohen Ahndungen getränket,
24 
Sich im Taumel des Gefühls hinab.
 
25 
Liebe hat die Wesen neu gestaltet,
26 
Ihre Gottheit überstrahlt auch mich,
27 
Und ein neuer üpp’ger Lenz entfaltet
28 
Ahndungsvoll in meiner Seele sich.
 
29 
Laß an deine Mutterbrust mich sinken,
30 
Heil’ge Erde, meine Schöpferin!
31 
Deines Lebens Fülle laß mich trinken,
32 
Jauchzen, daß ich dein Erzeugtes bin!
 
33 
Was sich regt auf diesem großen Balle,
34 
Diese Bäume, dieser Schmuck der Flur,
35 
Einer Mutter Kinder sind wir alle,
36 
Kinder einer ewigen Natur.
 
37 
Sind wir nicht aus Einem Stoff gewoben?
38 
Hat der Geist, der mächtig sie durchdrang,
39 
Nicht auch mir das Herz empor gehoben,
40 
Tönt er nicht in meiner Leier Klang?
 
41 
Was mich so an ihre Freuden bindet,
42 
Daß mit wundervoller Harmonie,
43 
Meine Brust ihr Leben mitempfindet,
44 
Ist, ich fühl’ es, heil’ge Sympathie!
 
45 
Schwelge, schwelge, eh ein kalt Besinnen
46 
Diesen schönen Einklang unterbricht,
47 
Ganz in Lust und Liebe zu zerrinnen,
48 
Trunknes Herz, und widerstrebe nicht.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.4 KB)

Details zum Gedicht „Frühling“

Anzahl Strophen
12
Anzahl Verse
48
Anzahl Wörter
279
Entstehungsjahr
1796
Epoche
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Frühling“ wurde von Sophie Friederike Mereau, einer deutschen Schriftstellerin und Übersetzerin der Weimarer Klassik und Romantik, geschrieben. Sie lebte von 1770 bis 1806, daher lässt sich das Gedicht rhronologisch in die Epoche der Weimarer Klassik und beginnenden Romantik einordnen.

Auf den ersten Blick fällt auf, dass das Gedicht stark naturbezogen ist. Der Titel „Frühling“ vermittelt eine Atmosphäre der Erneuerung, Frische und Vitalität. Der Inhalt des Gedichts konzentriert sich auf die Wiedergeburt der Natur im Frühling und die damit verbundene Freude und Lebensenergie, die diese Jahreszeit mit sich bringt.

Das lyrische Ich feiert den Zauber der Natur, seine Ehrfurcht und freudige Teilhabe an den wiederbelebte Prozessen der Natur. Es wird eine tiefe Einheit und Verbundenheit mit der Natur ausgedrückt, die im letzten Vers durch den Begriff der „heil'gen Sympathie“ zum Ausdruck gebracht wird.

Formal gesehen besteht das Gedicht aus zwölf Strophen, jede davon mit vier Versen. Die Sprache und das Vokabular sind reich und sinnlich, beziehen sich direkt auf Natur und die physischen Empfindungen, die sie hervorruft. Im Gedicht finden wir Metaphern („Die verjüngten trunknen Wesen schwimmen / aufgelöst in einem Wonnemeer“), Personifikationen (die Erde wird als „Mutter“ bezeichnet) und lebendige, konkrete Beschreibungen („Düfte wallen“, „Welche Klarheit, welches Licht entfließet“ etc.).

Die formalen und inhaltlichen Aspekte des Gedichts dienen dazu, einen starken Eindruck von Lebensfreude zu vermitteln. Sie unterstreichen die Idee, dass der Frühling - und in einem größeren Sinn die Natur - eine erneuernde, heilende und inspirierende Kraft ist. Insgesamt knüpft Mereaus „Frühling“ dabei an die Tradition der Naturlyrik an und entwickelt sie in einer Weise weiter, die den Standpunkt des lyrischen Ich hervorhebt und den Zusammenhang zwischen Individuum und Natur betont. Es stellt einen beeindruckenden Beitrag zur deutschen Lyrik des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts dar und spiegelt die zeitgenössische Faszination für die Natur und ihre Einflüsse auf das menschliche Bewusstsein und Empfinden wider.

Weitere Informationen

Sophie Friederike Mereau ist die Autorin des Gedichtes „Frühling“. Im Jahr 1770 wurde Mereau in Altenburg geboren. Im Jahr 1796 ist das Gedicht entstanden. Erschienen ist der Text in Neustrelitz. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten der Autorin kann der Text der Epoche Klassik zugeordnet werden. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das Gedicht besteht aus 48 Versen mit insgesamt 12 Strophen und umfasst dabei 279 Worte. Die Dichterin Sophie Friederike Mereau ist auch die Autorin für Gedichte wie „Vergangenheit“, „Der Knabe“ und „Der Beständige“. Auf abi-pur.de liegen zur Autorin des Gedichtes „Frühling“ weitere 31 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Weitere Gedichte des Autors Sophie Friederike Mereau (Infos zum Autor)

Zum Autor Sophie Friederike Mereau sind auf abi-pur.de 31 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.