Frohe Erwartung von Kurt Tucholsky

Vater Wrangel, jener alte gute
General von Anno Dazumal,
zog beim Klange einer Aufstands-Tute
aus Berlin, weil man es so befahl.
Und sie drohten ihm sein Haus zu sengen,
seine Frau Gemahlin zu erhängen,
bis er dann zu großem Gram
der Rebellen wiederkam.
Heftig blasend ritt man durch die Linden,
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voller Sehnsucht, seine Frau zu finden.
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Weich und lind entfuhrs dem alten Knaben:
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„Ob sie ihr wohl uffjehangen haben?“
 
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Nimmer will mich dieses Wort verlassen,
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Heut noch lebt die alte Reaktion.
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Heute noch ist sie so schwer zu fassen –
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Brennglas, der versuchte es ja schon.
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So viel Jahre steck ich schon im Kriege,
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denke an die Panke meiner Wiege,
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an mein Preußen, an Berlin
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und die Junker von Malchin.
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Nie vergeß ich in dem fremden Lande
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Mutter Reaktion und ihre Schande.
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Voller Hoffnung sinn ich oft im Graben:
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„Ob sie ihr wohl uffjehangen haben?“
 
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Da zu Haus, bei Vatern auf dem Boden,
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liegt ein großes buntes Fahnentuch,
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mitten im Gerümpel der Kommoden,
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in dem Schummer voller Staubgeruch …
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Und beim Urlaub sagte mir der Alte,
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oben hängt er durch die Bodenspalte
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seine Fahne in den Wind,
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wenn wir erst zu Hause sind.
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Das war Fünfzehn. Und bei jedem frischen
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Wechsel an den deutschen grünen Tischen
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bitt ich um die schönste aller Gaben:
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„Ob sie ihr wohl uffjehangen haben?“
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.3 KB)

Details zum Gedicht „Frohe Erwartung“

Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
36
Anzahl Wörter
217
Entstehungsjahr
1919
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Frohe Erwartung“ wurde von Kurt Tucholsky verfasst, einem bedeutenden deutschen Schriftsteller und Journalisten der Weimarer Republik. Das Werk entstand wahrscheinlich zwischen 1919 und 1935, also in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und vor dem Start des Zweiten.

Auf den ersten Blick befassen sich die drei Strophen des Gedichts allgemein mit den Themen Krieg, Reaktion und Erwartung. Tucholsky schildert die Erfahrungen und Sorgen eines lyrischen Ichs, das durchgängig präsent ist.

Im ersten Abschnitt des Gedichts wird das lyrische Ich eingeführt. Es erzählt von einer Liebe zur alten Preußen, die stark genug war, um Krieg und Zerstörung zu überleben. Dabei setzt der Autor auf das literarische Motiv des Heimwehs nach einer verlorenen Heimat.

In der zweiten Strophe wird das lyrische Ich deutlicher als Soldat wahrgenommen, der in einem Graben über die alte traditionelle Reaktion und ihre Schande nachdenkt. Die Frage „Ob sie ihr wohl uffjehangen haben?“ erzeugt ein Gefühl der Spannung und Erwartung.

Im dritten Abschnitt setzt der Autor die Erzählung fort, indem er einen Einblick in die Hoffnungen und Ängste des lyrischen Ichs im Hinblick auf die heimischen Traditionen und Symbole gibt.

Das Gedicht ist durchgehend in Jambus verfasst, ein klassisches Metrum der deutschen Literatur. Jeder Vers hat vier Hebungen und ist daher ein Daktylus. Die gereimten Verse verleihen dem Gedicht einen Liedcharakter, der gut zum Thema Heimweh und der Nostalgie des lyrischen Ichs passt.

Sprachlich besticht Tucholsky durch den Gebrauch von Metaphern und das Spiel mit historischen Anspielungen. Darüber hinaus ist auffällig, wie er den Berliner Dialekt in die sprachliche Gestaltung einbezieht.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Gedicht „Frohe Erwartung“ von Kurt Tucholsky eine tiefe Reflexion über Krieg, Heimweh und die Erinnerung an eine verlorene Heimat ist. Der Autor unternimmt eine versteckte Kritik an der politischen Situation seiner Zeit, indem er den Lesern durch die Worte des lyrischen Ichs einen Einblick in die Geschichten und Hoffnungen der Menschen gibt, die durch politische und militärische Manöver beeinträchtigt wurden. Die Frage „Ob sie ihr wohl uffjehangen haben?“ bleibt dabei als zentrales Motif im Gedicht und in den Gedanken der Leser zurück.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Frohe Erwartung“ des Autors Kurt Tucholsky. Geboren wurde Tucholsky im Jahr 1890 in Berlin. Im Jahr 1919 ist das Gedicht entstanden. Charlottenburg ist der Erscheinungsort des Textes. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zu. Bei Tucholsky handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Der Erste Weltkrieg von 1914 bis 1918 und die daraufhin folgende Entstehung und der Fall der Republik hatten erheblichen Einfluss auf die Literatur der Weimarer Republik. Das bedeutendste Merkmal der Literatur in der Weimarer Republik ist die Neue Sachlichkeit, die so heißt, da sie schlicht, klar, sachlich und hoch politisch ist. Die Literatur dieser Zeit war nüchtern und realistisch. Ebenso stellt sie die moderne Gesellschaft kühl distanziert, beobachtend, dokumentarisch und exakt dar. Die Autoren der Literaturepoche wollten so viele Menschen wie möglich mit ihren Texten erreichen, deshalb wurde eine einfache und nüchterne Alltagssprache verwendet. Viele Schriftsteller litten unter der Zensur in der Weimarer Republik. Im Jahr 1922 wurde nach einem Attentat auf den Reichsaußenminister das Republikschutzgesetz erlassen, das die zunächst verfassungsmäßig garantierte Freiheit von Wort und Schrift in der Weimarer Republik deutlich einschränkte. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die teils in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das im Jahr 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz verstärkte die Grenzen der Zensur nochmals. Später als die Pressenotverordnung im Jahr 1931 in Kraft trat, war sogar die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate möglich.

Als Exilliteratur wird die Literatur von Schriftstellern bezeichnet, die unfreiwillig Zuflucht im Ausland suchen müssen, weil ihre Person oder ihr Werk in ihrer Heimat bedroht sind. Für die Flucht ins Exil geben meist politische oder religiöse Gründe den Ausschlag. Die deutsche Exilliteratur entstand in den Jahren von 1933 bis 1945 als Literatur der Gegner des Nationalsozialismus. Dabei spielten insbesondere die Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 und der deutsche Überfall auf die Nachbarstaaten 1938/39 eine ausschlaggebende Rolle. Die Exilliteratur der Literaturgeschichte Deutschlands bildet eine eigene Literaturepoche und folgt auf die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik. Themen wie Verlust der eigenen Kultur, existenzielle Probleme, Sehnsucht nach der Heimat oder Widerstand gegen das nationalsozialistische Deutschland sind typisch für diese Literaturepoche. Anders als andere Literaturepochen, die zum Beispiel bei der formalen Gestaltung (also in Sachen Metrum, Reimschema oder dem Gebrauch bestimmter rhetorischer Mittel) ganz charakteristische Merkmale aufweisen, ist die Exilliteratur nicht durch bestimmte formale Merkmale gekennzeichnet. Allerdings gab es einige neue Gattungen, die in dieser Epoche geboren wurden. Das epische Theater von Brecht oder auch die historischen Romane waren neue literarische Textsorten. Aber auch Flugblätter und Radioreden der Widerstandsbewegung sind hierbei als neue Textsorten zu erwähnen. Oftmals wurden die Texte auch getarnt, so dass sie trotz Zensur nach Deutschland gebracht werden konnten. Dies waren dann die sogenannten Tarnschriften.

Das vorliegende Gedicht umfasst 217 Wörter. Es baut sich aus 3 Strophen auf und besteht aus 36 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Kurt Tucholsky sind „An einen garnisondienstfähigen Dichter“, „An ihren Papa“ und „Apage, Josephine, apage–!“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Frohe Erwartung“ weitere 136 Gedichte vor.

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