Fritz Katzfuß von Theodor Fontane

Fritz Katzfuß war ein siebzehnjähr’ger Junge,
Rothaarig, sommersprossig, etwas faul
Und stand in Lehre bei der Wittwe Marzahn,
Die geizig war und einen Laden hatte,
Drin Hering, Schlagwurst,Datteln, Schweizerkäse,
Sammt Pumpernickel, Lachs und Apfelsinen
Ein friedlich Dasein mit einander führten.
Und auf der hohen, etwas schmalen Leiter,
Mit ihren halb schon weggetret’nen Sprossen,
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Sprang unser Katzfuß, wenn die Mädchen kamen,
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Und Soda, Waschblau, Gries, Korinthen wollten,
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Geschäftig hin und her.
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Ja, sprang er wirklich?
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Die Wahrheit zu gestehn, das war die Frage.
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Die Mädchen, deren Schatz oft draußen paßte,
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Vermeinten ganz im Gegentheil, „er nöle,“
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Sei wie verbiestert und durchaus kein „Katzfuß“.
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Im Laden, wenn Frau Marzahn auf ihn passe,
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Da ging’ es noch, wenn auch nicht grad’ aufs Beste,
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Das Schlimme käm’ erst, wenn er wegen Selter-
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Und Sodawasser in den Keller müsse,
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Das sei dann manchmal gradzu zum Verzweifeln,
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Und wär’ er nicht solch herzensguter Junge,
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Der nie was sage, nie zu wenig gebe,
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Ja, meistens, daß die Wagschal’ überklappe,
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So wär’s nicht zu beleben.
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Und nicht besser
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Klang, was die Herrin selber von ihm sagte,
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Die Wittwe Marzahn. „Wo der dumme Junge
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Nur immer steckt? Hier vorne muß er flink sein,
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Doch soll er über’n Hof und auf den Boden,
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So dauert’s ewig, und ist gar Geburtstag
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Von Kaiser Wilhelm oder Sedanfeier
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Und soll der Stock ’raus mit der preuß’schen Fahne
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(Mein selger Marzahn war nicht für die deutsche),
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Fritz darf nicht ’rauf, – denn bis Dreiviertelstunden
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Ist ihm das Mind’ste.“
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So sprach Wittwe Marzahn
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Und kurz und gut, Fritz Katzfuß war ein Räthsel,
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Und nur das Eine war noch räthselvoller,
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Daß, wie’s auch drohn und donnerwettern mochte,
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Ja, selbst wenn Blitz und Schlag zusammenfielen,
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Daß Fritz nie maulte, greinte, wüthend wurde;
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Nein, unverändert blieb sein stilles Lächeln
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Und schien zu sagen: „Arme Kreaturen,
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Ihr glaubt mich dumm, ich bin der Ueberlegne.
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Kramladenlehrling! Eure Welt ist Kram,
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Und wenn ihr Waschblau fordert oder Stärke,
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Blaut zu, so viel ihr wollt. Mein Blau der Himmel.“
 
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So ging die Zeit und Fritz war wohl schon siebzehn;
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Ein Oxhoft Apfelwein war angekommen
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Und lag im Hof. Von da sollt’s in den Keller.
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Fritz schlang ein Tau herum und weil die Hitze
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Groß war und drückend, was er wenig liebte,
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So warf er seinen Shirting-Rock bei Seite,
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Nicht recht geschickt, so daß der Kragenhängsel
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Nach unten hing. Und aus der Vordertasche
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Glitt was heraus und fiel zur Erde. Lautlos.
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Fritz merkt’ es nicht. Die Wittwe Marzahn aber
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Schlich sich heran und nahm ein Buch (das war es)
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Vom Boden auf und sah hinein: „Gedichte.
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Gedichte, 1. Theil, von Wolfgang Goethe.“
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Zerlesen war’s und schlecht und abgestoßen
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Und Zeichen eingelegt: ein Endchen Strippe.
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Briefmarkenränder, und als dritt’ und letztes
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(Zu glauben kaum), ein Streifen Schlagwurstpelle,
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Die Seiten links und rechts befleckt, befettet,
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Und oben stand, nun was? stand „Mignonlieder“,
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Und Wittwe Marzahn las: „Dahin, dahin
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Möcht’ ich mit Dir, o mein Geliebter, ziehn.“
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Nun war es klar. Um so ’was träg und langsam,
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Um Goethe, Verse, Mignon.
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Armer Lehrling,
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Ich weiß Dein Schicksal nicht, nur eines weiß ich:
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Wie Dir die Lehrzeit hinging bei Frau Marzahn,
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Ging mir das Leben hin. Ein Band von Goethe
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Blieb mir bis heut mein bestes Wehr und Waffen,
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Und wenn die Wittwe Marzahns mich gepeinigt,
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Und dumme Dinger, die nach Waschblau kamen,
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Mich langsam fanden, kicherten und lachten,
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Ich lächelte, grad so wie Du gelächelt,
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Fritz Katzfuß, Du mein Ideal, mein Vorbild.
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Der Band von Goethe gab mir Kraft und Leben,
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Vielleicht auch Dünkel … All genau dasselbe,
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Nur andres Haar und – keine Sommersprossen.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (32.2 KB)

Details zum Gedicht „Fritz Katzfuß“

Anzahl Strophen
2
Anzahl Verse
85
Anzahl Wörter
596
Entstehungsjahr
1895
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht mit dem Titel „Fritz Katzfuß“ stammt vom deutschen Schriftsteller Theodor Fontane, der in der Zeit des Realismus (19. Jahrhundert) wirkte.

Der erste Eindruck des Gedichts ist ein Gemisch aus Gesellschaftskritik und feierlicher Huldigung für das Individuum, symbolisiert durch das lyrische Ich und Fritz Katzfuß.

Das Gedicht erzählt die Geschichte von Fritz Katzfuß, einem heranwachsenden Lehrjungen in der Lebensmittelwarenhandlung der geizigen Wittwe Marzahn. Fritz wird als faul und nachlässig in seiner Arbeit beschrieben, jedoch mit einer bemerkenswerten Ruhe und Gelassenheit, die ihn trotz aller Kritik unberührt zu lassen scheint. Eines Tages fällt aus Fritzs Tasche ein abgenutztes Buch mit Gedichten von Goethe. Die Witwe und die Kundschaft erkennen nun den Grund für Fritzs vermeintliche Trägheit: Er war die ganze Zeit vertieft in die Gedankenwelt von Goethe und geht deshalb seiner gewöhnlichen Arbeit mit weniger Eifer nach.

Fontane benutzt den Charakter von Fritz Katzfuß, um die Unterscheidung zwischen der banalen, materiellen Welt (symbolisiert durch die Tätigkeiten im Laden) und der Welt der Literatur und Poesie zu verdeutlichen. Das lyrische Ich identifiziert sich selbst mit Fritz und drückt dieser Identifikation durch den Satz „Fritz Katzfuß, Du mein Ideal, mein Vorbild“ am Ende des Gedichts Ausdruck.

Zur Form und Sprache des Gedichts: Fontane bedient sich einer sehr beschreibenden, prosanahen Sprache, ohne festes Metrum oder Reimschema. Gelegentliche Reime und Rhythmen tragen dazu bei, die sprachliche Flüssigkeit und die Erzählung zu unterstreichen. Die einfache Sprache und der Einsatz von Alltagsterminologie machen das Gedicht zugänglich und bieten eine realistische Darstellung des Lebens des jungen Fritz Katzfuß.

Die Botschaft des Gedichts scheint zu sein: Das Streben nach Bildung und der Fluch der Poesie sollte über alltäglichen Aufgaben und Pflichten stehen. Es feiert den freien Geist und die Sehnsucht nach geistiger Erfüllung, die durch das Lesen von Gedichten erreicht werden kann. Hierbei kritisiert Fontane indirekt eine Gesellschaft, die Individuen dazu zwingt, ihren Lebensunterhalt in monotonen und geistlosen Tätigkeiten zu verdienen, anstatt ihr wahres Potenzial zu entfalten.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Fritz Katzfuß“ ist Theodor Fontane. Der Autor Theodor Fontane wurde 1819 in Neuruppin geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1895. Erschienen ist der Text in Stuttgart und Berlin. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Realismus zu. Fontane ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 596 Wörter. Es baut sich aus 2 Strophen auf und besteht aus 85 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Theodor Fontane sind „Auf der Treppe von Sanssouci“, „Ausgang“ und „Barbara Allen“. Zum Autor des Gedichtes „Fritz Katzfuß“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 214 Gedichte vor.

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