Freigeisterei der Leidenschaft. von Friedrich Schiller

Als Laura vermählt war im Jahr 1782.

Nein – länger länger werd ich diesen Kampf nicht kämpfen,
den Riesenkampf der Pflicht.
Kannst du des Herzens Flammentrieb nicht dämpfen,
so fodre, Tugend, dieses Opfer nicht.
 
Geschworen hab ichs, ja, ich habs geschworen,
mich selbst zu bändigen.
Hier ist dein Kranz. Er sey auf ewig mir verloren,
nimm ihn zurük, und laß mich sündigen.
 
Sieh, Göttin, mich zu deines Trones Stuffen,
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wo ich noch jüngst, ein frecher Beter, lag,
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Mein übereilter Eid sey widerrufen,
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vernichtet sey der schrekliche Vertrag,
 
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Den du im süßen Taumel einer warmen Stunde
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vom Träumenden erzwangst,
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Mit meinem heißen Blut in unerlaubtem Bunde,
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betrügerisch aus meinem Busen rangst.
 
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Wo sind die Feuer, die elektrisch mich durchwallten,
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und wo der starke kühne Talisman?
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In jenem Wahnwiz will ich meinen Schwur dir halten,
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worinn ich unbesonnen ihn gethan.
 
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Zerrissen sey, was du und ich bedungen haben,
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Sie liebt mich – deine Krone sey verscherzt.
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Glükselig, wer in Wonnetrunkenheit begraben,
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so leicht wie ich, den tiefen Fall verschmerzt.
 
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Sie sieht den Wurm an meiner Jugend Blume nagen,
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und meinen Lenz entflohn,
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Bewundert still mein heldenmütiges Entsagen
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und großmuthsvoll beschließt sie meinen Lohn.
 
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Mistraue, schöne Seele, dieser Engelgüte!
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Dein Mitleid waffnet zum Verbrecher mich,
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Gibts in des Lebens unermeßlichem Gebiete,
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gibts einen andern schönern Lohn – als Dich?
 
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Als das Verbrechen, das ich ewig fliehen wolte?
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Entsezliches Geschik!
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Der einzge Lohn der meine Tugend krönen sollte,
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ist meiner Tugend lezter Augenblik.
 
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Des wollustreichen Giftes voll – vergessen,
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vor wem ich zittern muß,
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Wag ich es stumm, an meinen Busen sie zu pressen,
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auf ihren Lippen brennt mein erster Kuß,
 
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Wie schnell auf sein allmächtig glüendes Berühren,
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wie schnell o Laura floß
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Das dünne Siegel ab von übereilten Schwüren,
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sprang deiner Pflicht Tirannenkette los,
 
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Jezt schlug sie laut die heißerflehte Schäferstunde,
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jezt dämmerte mein Glük –
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Erhörung zitterte auf deinem brennenden Munde,
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Erhörung schwamm in deinem feuchten Blick,
 
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Mir schauerte vor dem so nahen Glüke,
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und ich errang es nicht.
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Vor deiner Gottheit taumelte mein Muth zurüke,
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ich Rasender! und ich errang es nicht!
 
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Woher diß Zittern, diß unnennbare Entsezen,
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wenn mich dein liebevoller Arm umschlang? –
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Weil dich ein Eid, den auch schon Wallungen verlezen,
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in fremde Fesseln zwang?
 
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Weil ein Gebrauch, den die Geseze heilig prägen,
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des Zufalls schwere Missethat geweiht?
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Nein – unerschroken troz’ ich einem Bund entgegen,
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den die erröthende Natur bereut.
 
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O zittre nicht – du hast als Sünderin geschworen,
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ein Meineid ist der Reue fromme Pflicht.
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Das Herz war mein, das du vor dem Altar verloren,
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Mit Menschenfreuden spielt der Himmel nicht.
 
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Zum Kampf auf die Vernichtung sey er vorgeladen,
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an den der feierliche Spruch dich band.
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Die Vorsicht kann den überflüßgen Geist entrathen,
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für den sie keine Seligkeit erfand.
 
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Getrennt von Dir – warum bin ich geworden?
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Weil du bist, schuf mich Gott!
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Er widerrufe, oder lerne Geister morden,
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und flüchte mich vor seines Wurmes Spott.
 
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Sanftmütigster der fühlenden Dämonen,
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zum Wüterich verzerrt dich Menschenwahn?
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Dich solten meine Quaalen nur belonen,
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und diesen Nero beten Geister an?
 
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Dich hätten sie als den Allguten mir gepriesen,
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als Vater mir gemahlt?
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So wucherst du mit deinen Paradiesen?
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Mit meinen Tränen machst du dich bezahlt?
 
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Besticht man dich mit blutendem Entsagen?
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Durch eine Hölle nur
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Kannst du zu deinem Himmel eine Brüke schlagen?
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Nur auf der Folter merkt dich die Natur?
 
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O diesem Gott laßt unsre Tempel uns verschließen,
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kein Loblied feire ihn,
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Und keine Freudenträne soll ihm weiter fließen,
88 
er hat auf immer seinen Lohn dahin!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (32.8 KB)

Details zum Gedicht „Freigeisterei der Leidenschaft.“

Anzahl Strophen
22
Anzahl Verse
88
Anzahl Wörter
562
Entstehungsjahr
1786
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Freigeisterei der Leidenschaft“ wurde von Friedrich Schiller geschrieben, einem der bekanntesten und bedeutendsten deutschen Dichter. Er lebte von 1759 bis 1805, somit kann das Gedicht in die Epoche der Klassik eingeordnet werden, eine literarische Strömung, die sich durch strenges Formbewusstsein und hohe Gedankenflüge auszeichnet.

Schon bei dem ersten Lesen sticht der innere Konflikt des lyrischen Ichs hervor, der sich zwischen Pflicht und Leidenschaft zerrissen fühlt. Die Sprache ist pathetisch und kraftvoll, die Stimmung wechselt zwischen Wut, Verzweiflung und Hoffnung.

Das Gedicht handelt von einem inneren Kampf des lyrischen Ichs, das sich zwischen seiner Pflicht und seiner Leidenschaft gefangen fühlt. Es hat einen Eid geschworen, seine Leidenschaft zu zügeln und der Tugend zu folgen, fühlt sich jedoch von seiner Leidenschaft überwältigt und nicht mehr in der Lage, den Eid einzuhalten. Der Kampf wird als Qual und Leiden dargestellt, das lyrische Ich entscheidet sich dagegen, weiterhin der Pflicht zu folgen und opfert damit seinen guten Ruf.

Die Form des Gedichts ist regelmäßig und streng, was den inneren Konflikt und die Zerrissenheit des lyrischen Ichs kontrastiert. Jede Strophe besteht aus vier Versen, was eine klare Struktur bietet und eine gewisse Sicherheit inmitten des emotionalen Chaos suggeriert. Die Sprache ist geprägt von starken Emotionen und großen Worten, die den inneren Kampf des lyrischen Ichs verdeutlichen.

Mit dem brechen des Eids und der Abwendung von der Tugend stellt das lyrische Ich die gesellschaftlichen Normen und Werte in Frage. Schiller kritisiert damit die starren Moralvorstellungen seiner Zeit und plädiert für eine freiere Auslebung der Gefühle und Leidenschaften. Er hinterfragt die Vorstellung von Gott und dem Himmel, kritisiert das Bild des strafenden Gottes und plädiert für ein individuelles und freieres Verständnis von Moral und Sünde.

Insgesamt ist das Gedicht ein stark emotionales und kritisches Werk, welches die persönlichen Kämpfe und Zerrissenheiten des lyrischen Ichs aufzeigt und dabei gesellschaftskritisch Position bezieht.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Freigeisterei der Leidenschaft.“ des Autors Friedrich Schiller. Im Jahr 1759 wurde Schiller in Marbach am Neckar, Württemberg geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1786 entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Leipzig. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zugeordnet werden. Bei dem Schriftsteller Schiller handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Der Sturm und Drang (häufig auch Geniezeit oder Genieperiode genannt) ist eine literarische Epoche, welche zwischen 1765 und 1790 existierte und an die Empfindsamkeit anknüpfte. Später ging sie in die Klassik über. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dominierte der Geist der Aufklärung das literarische und philosophische Denken im deutschen Sprachraum. Der Sturm und Drang „stürmte“ und „drängte“ als Jugend- und Protestbewegung gegen die aufklärerischen Ideale. Ein wesentliches Merkmal des Sturm und Drang ist somit ein Rebellieren gegen die Epoche der Aufklärung. Die Autoren der Epoche des Sturm und Drangs waren häufig unter 30 Jahre alt. In den Dichtungen wurde darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden, um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Es wurde eine eigene Jugendsprache und Jugendkultur mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Halbsätzen und Wiederholungen geschaffen. Die alten Werke vorangegangener Epochen wurden dennoch geschätzt und dienten weiterhin als Inspiration. Mit seinen beiden wichtigen Vertretern Schiller und Goethe entwickelte sich der Sturm und Drang weiter und ging in die Weimarer Klassik über.

Prägend für die Literatur der Weimarer Klassik war die Französische Revolution. Menschen setzten sich dafür ein, dass für alle die gleichen Rechte gelten sollten. Der Beginn der Weimarer Klassik ist im Jahr 1786 auszumachen. Die Literaturepoche endete im Jahr 1832 mit dem Tod Johann Wolfgang von Goethes. Sowohl Klassik als auch Weimarer Klassik sind oftmals verwendete Bezeichnungen für die Literaturepoche. Statt auf Konfrontation und Widerspruch wie noch in der Aufklärung oder im Sturm und Drang strebte die Klassik nach Harmonie. Die wichtigsten Werte sind Menschlichkeit und Toleranz. Die Klassik orientierte sich an klassischen Vorbildern aus der Antike. Ziel der Literaturepoche der Klassik war es die ästhetische Erziehung des Menschen zu einer „charakterschönen“ Persönlichkeit zu forcieren. In der Weimarer Klassik wird eine geordnete, einheitliche Sprache verwendet. Kurze, allgemeingültige Aussagen (Sentenzen) sind häufig in Werken der Weimarer Klassik zu finden. Da man die Menschen früher mit der Kunst und somit auch mit der Literatur erziehen wollte, setzte man großen Wert auf formale Ordnung und Stabilität. Metrische Ausnahmen befinden sich immer wieder an Stellen, die hervorgehoben werden sollen. Die Hauptvertreter der Klassik sind Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Christoph Martin Wieland und Johann Gottfried Herder. Einen künstlerischen Austausch im Sinne einer gemeinsamen Arbeit gab es jedoch nur zwischen Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller.

Das vorliegende Gedicht umfasst 562 Wörter. Es baut sich aus 22 Strophen auf und besteht aus 88 Versen. Die Gedichte „An die Gesetzgeber“, „An die Parzen“ und „An die Sonne“ sind weitere Werke des Autors Friedrich Schiller. Zum Autor des Gedichtes „Freigeisterei der Leidenschaft.“ haben wir auf abi-pur.de weitere 220 Gedichte veröffentlicht.

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