Freunde, die wir nie erlebten von Joachim Ringelnatz

Ihr, die nie ich sah,
Nimmer menschlich sehe,
Seid mir nun so nah,
Wenn ich einsam gehe.
 
Was ich weiß, nicht wußte
Über euch, hab’ ich’s versäumt?
Ich’s verfehlt? –
Oder mußte
Fern vergehn, was ich erträumt? –
 
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Schenkte Gott die Kunst, das Wort
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Ferner, Toter nachzulesen.
 
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Ach wie heiß mich das beschlich:
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Dann und dann und da und dort
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Ist ein Herz wie meins gewesen,
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Still für sich.
 
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Tröstliches Gefühl: Es dächte
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Später wer so über mich. –
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Keine aller Erdenmächte,
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Wär sie noch so übermütig,
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Kann uns trennen,
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Die wir Gleiche sind zu nennen.
 
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Denn wir waren nie gesellt,
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Weil der Gott uns weise, gütig
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Fern vonander aufgestellt,
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Wissend um die Welt.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.8 KB)

Details zum Gedicht „Freunde, die wir nie erlebten“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
25
Anzahl Wörter
113
Entstehungsjahr
1933
Epoche
Moderne,
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Freunde, die wir nie erlebten“ stammt von dem deutschen Schriftsteller und Kabarettisten Joachim Ringelnatz, der von 1883 bis 1934 lebte. Es ist daher im Kontext der Literatur des frühen 20. Jahrhunderts zu betrachten.

Schon bei einem ersten Lesen fällt auf, dass das Gedicht eine Art elegische Melancholie ausstrahlt, die durch seine intensive Beschäftigung mit dem Thema der Vergänglichkeit und Entfremdung hervorgerufen wird. Es geht man davon aus, dass Ringelnatz hier die Verbindung von Menschen thematisiert, die sich nie begegnet sind, sich aber durch gemeinsames Berufserleben oder Seelenverwandtschaft nahe fühlen.

Das lyrische Ich spricht von „Freunden“, die es nie persönlich getroffen hat („Ihr, die nie ich sah, / Nimmer menschlich sehe“), aber dennoch empfindet es eine tiefe Verbundenheit zu ihnen („Seid mir nun so nah, / Wenn ich einsam gehe“). Es scheint, als würde das lyrische Ich diese unsichtbaren Bindungen als Trost in Zeiten der Einsamkeit sehen.

Formal betrachtet handelt es sich um ein freies Gedicht ohne festes Metrum und Reimschema. Die Verse sind unregelmäßig und die Strophen unterschiedlich lang. Damit bricht Ringelnatz bewusst mit klassischen Formvorgaben und schafft eine eher freie, fließende Form, die die Entfremdung und Vermischung von Zeit und Raum widerspiegelt.

Die Sprache des Gedichts ist klar und verständlich gehalten, gleichzeitig aber auch bildhaft und emotional. Besonders hervorzuheben ist hier der häufige Einsatz von Rhetorik fragen („Was ich weiß, nicht wußte / Über euch, hab’ ich’s versäumt?“), die die innere Suche und Reflexion des lyrischen Ichs verdeutlichen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Joachim Ringelnatz in diesem Gedicht auf sehr persönliche Weise das Thema der Verbundenheit aufgreift. Trotz der physischen Distanz und der Trennung durch Zeit und Raum findet das lyrische Ich Trost und Hoffnung in der Vorstellung, dass es Seelenverwandte gibt, die ähnliche Gedanken und Gefühle haben. Dieses Gedicht kann als ein Aufruf an den Leser verstanden werden, sich seiner eigenen Vergänglichkeit bewusst zu sein, aber auch auf die Gemeinsamkeiten zu blicken, die uns als Menschen miteinander verbinden.

Weitere Informationen

Joachim Ringelnatz ist der Autor des Gedichtes „Freunde, die wir nie erlebten“. Im Jahr 1883 wurde Ringelnatz in Wurzen geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1933 entstanden. In Berlin ist der Text erschienen. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Moderne oder Expressionismus zugeordnet werden. Bei Ringelnatz handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen. Das Gedicht besteht aus 25 Versen mit insgesamt 6 Strophen und umfasst dabei 113 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Joachim Ringelnatz sind „7. August 1929“, „Abendgebet einer erkälteten Negerin“ und „Abermals in Zwickau“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Freunde, die wir nie erlebten“ weitere 560 Gedichte vor.

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