Freund und Freund versäumen sich von Joachim Ringelnatz

Wollen wir uns vergessen?
Weil man an Fremden Geld gewinnt.
Indessen
die kränkelnde Zeit verrinnt.
 
Müde und hohler
Wird Gleichtagsglück.
Denk ich an unsere Hochflut zurück,
Dann wird mir wohler.
 
Noch haben wir's, uns zu beschenken,
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Zu eifern, wie jedes das andre erfreut.
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Wollen wir uns so lange bedenken,
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Bis Lebendes hinter Verstorbnem bereut?
 
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Ist doch noch nichts zerstört. —
 
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Denke dir: Gestern sang
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Ein Nachtkehlchen immerzu.
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Hab jahrelang keins gehört. —
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Wie lange singt es? — Wie lang
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Ist das Leben? Und wo bist du?
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.4 KB)

Details zum Gedicht „Freund und Freund versäumen sich“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
18
Anzahl Wörter
83
Entstehungsjahr
1932
Epoche
Moderne,
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht stammt vom deutschen Autor Joachim Ringelnatz, der von 1883 bis 1934 lebte. Damit gehört es zeitlich in die Epoche der Moderne, die von den tiefgreifenden politischen, sozialen und kulturellen Umwälzungen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts geprägt war.

Beim ersten Lesen fällt auf, dass es sich um ein sehr persönliches und gefühlvolles Gedicht handelt, das vom „lyrischen Ich“ an einen nicht näher bezeichneten „Freund“ gerichtet ist. Die Grundstimmung ist melancholisch und nachdenklich, es scheint um einen Abschied, eine Trennung oder zumindest eine Distanzierung zweier Menschen zu gehen.

Inhaltlich geht es im Gedicht um die Frage, ob sich das lyrische Ich und der Freund vergessen sollen, weil sie in der Zeit des Zusammenseins nicht materiell profitiert haben. Das lyrische Ich bedauert offenbar die hohe Bedeutung, die Geld und materielle Belange in der gegenwärtigen Welt haben, und sieht dies als Grund für den Drang nach Trennung und Vergessen. Gleichzeitig erinnert es sich gerne an die gemeinsame Zeit, an die glücklichen Momente und die Hochflut der Gefühle. Das lyrische Ich bedauert, dass die Zeit verrinnt und dass sie sogar dann weiter verrinnt, wenn man sich Gedanken macht und zögert, ob man sich trennen soll. Das lyrische Ich möchte diese wertvollen Gelegenheiten nutzen und das Leben feiern, solange noch nichts zerstört ist. Das Gedicht endet mit der Aufforderung, an das Gesang eines Nachtkehlchens zu denken, das symbolisch für Schönheit, Freude und Lebendigkeit steht.

In formaler Hinsicht besteht das Gedicht aus fünf Strophen mit unterschiedlicher Verseanzahl im freien Rhythmus. Die Sprache ist einfach und unkompliziert, aber nicht ohne poetische Tiefe, wie etwa der Vergleich des Glücks mit einer Hochflut oder die metaphorische Bezugnahme auf das Leben als Gesang eines Nachtvogels zeigt. Ein wiederkehrendes Motiv ist die Zeit, die unaufhaltsam verrinnt und die gleichzeitig kostbar ist.

Zusammenfassend kann man sagen, dass dieses Gedicht eine Art melancholischer Liebesbrief an das Leben und an die Freundschaft ist, eine Aufforderung, den Moment zu nutzen, die Schönheit der Welt zu genießen und nicht zu zögern, sondern aktiv zu sein und zu lieben, bevor es zu spät ist.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Freund und Freund versäumen sich“ des Autors Joachim Ringelnatz. 1883 wurde Ringelnatz in Wurzen geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1932 zurück. Erscheinungsort des Textes ist Berlin. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Moderne oder Expressionismus kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei Ringelnatz handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen. Das 83 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 18 Versen mit insgesamt 5 Strophen. Die Gedichte „Abermals in Zwickau“, „Abgesehen von der Profitlüge“ und „Abglanz“ sind weitere Werke des Autors Joachim Ringelnatz. Zum Autor des Gedichtes „Freund und Freund versäumen sich“ haben wir auf abi-pur.de weitere 560 Gedichte veröffentlicht.

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