Fluidum von Joachim Ringelnatz
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Von Auge zu Auge wogen |
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Moleküle Gefühle, |
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Ehe das Auge sieht, |
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Ehe sich das Gesicht |
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Zur Miene verzieht, |
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Ehe der Mund verlogen |
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Oder verlegen spricht. |
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Wenn sie genauer erkennend sich |
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Verachten oder hassen – – – |
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Müßten zwei Höfliche eigentlich |
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Wortlos einander verlassen. |
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Aber wenn jene zarten Fluiden |
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Kampfredlich oder in Frieden |
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Im Begegnen |
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Einander segnen – – – |
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Ist es denn irgendwie schlimm, |
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Wenn zwei Menschen, die sich leiden |
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Können, ohne Wort, ohne Nimm |
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Und ohne Gib |
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Bald wieder vonander scheiden? |
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„Den oder die habe ich lieb.“ |
Details zum Gedicht „Fluidum“
Joachim Ringelnatz
5
21
82
1929
Moderne,
Expressionismus
Gedicht-Analyse
Das vorliegende Gedicht „Fluidum“ stammt von dem deutschen Schriftsteller und Dichter Joachim Ringelnatz, der von 1883 bis 1934 lebte. Formal und inhaltlich lässt sich das Gedicht in die Phase des Expressionismus einordnen, in welcher Ringelnatz' künstlerisches Schaffen angesiedelt ist.
Auf den ersten Blick fällt die introspektive und gefühlvolle Tonlage des Gedichts auf. Es thematisiert die Wahrnehmung und Bewertung von anderen Menschen durch das lyrische Ich und den oft ungesagten, untergründigen Dialog zwischen zwei Individuen.
In der ersten Strophe wird eine bestimmte Art von Kommunikation beschrieben, die noch vor der verbalierten und mimischen Interaktion stattfindet – auf molekularer, quasi energetischer Ebene. Das wird im weiteren Gedichtverlauf als „Fluiden“ bezeichnet, was soviel wie fließende, schwer greifbare Energien oder Ausstrahlungen bedeutet.
Die zweite und dritte Strophe thematisieren die negativen Aspekte dieser „Unterhaltung“. Würden zwei Personen einander wirklich durchschauen, und dabei entdecken, dass sie einander verachten oder hassen, so wäre der höflichste Weg, sofort den Kontakt abzubrechen.
Die vierte und fünfte Strophe behandeln das gegenteilige Szenario: Wenn die „Fluiden“ im Einklang sind und sich segnen, also eine positive Verbindung herstellen, ist es kein Problem, wenn zwei Menschen, die sich mögen, schnell wieder auseinander gehen. Sie wissen, dass sie einander mögen, ganz ohne Worte.
Die Sprache des Gedichts ist bezeichnend für Ringelnatz' lyrische Arbeit: Sie ist bildreich und wirkt durch die Verwendung von Begriffen aus der Physik („Moleküle“, „Fluiden“) und abstrakten emotionalen Zuständen („verlogen“, „verlegen“, „verachten“, „hassen“, „lieben“) zugleich wissenschaftlich und emotional.
Die formale Struktur des Gedichts besteht aus fünf Strophen mit unterschiedlicher Versanzahl. Diese Unregelmäßigkeit kann als Abbild der thematisierten kommunikativen Prozesse gesehen werden: Die „Fluiden“ fließen unregelmäßig, die Emotionen sind nicht immer gleich stark oder gleich lang anhaltend. In der Unregelmäßigkeit findet sich also der Gehalt des Gedichts wieder.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Fluidum“ des Autors Joachim Ringelnatz. Geboren wurde Ringelnatz im Jahr 1883 in Wurzen. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1929. Der Erscheinungsort ist Berlin. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Moderne oder Expressionismus zuordnen. Bei dem Schriftsteller Ringelnatz handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen. Das 82 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 21 Versen mit insgesamt 5 Strophen. Der Dichter Joachim Ringelnatz ist auch der Autor für Gedichte wie „Abermals in Zwickau“, „Abgesehen von der Profitlüge“ und „Abglanz“. Zum Autor des Gedichtes „Fluidum“ haben wir auf abi-pur.de weitere 560 Gedichte veröffentlicht.
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