An M. S. von Heinrich Julius Ludwig von Rohr

Ja, sie ist es! Diese schönen Züge,
Dieser hohen Unschuld sprechend Bild,
Wie der Gottheit Fülle sanft und mild;
Dieser Flammenaugen hehrer Blick,
Zöge Todte selbst ans Licht zurück!
 
Diese stille nie getrübte Milde,
Dieser reine treue Engelsinn,
Schmücken dich, der Schönheit Königinn.
Nimmer wird von Myriaden Zungen,
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Je dein hohes Lob genug gesungen.
 
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Aechte, treue, ungeschminkte Wahrheit
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Thronet hoch auf deinem Angesicht,
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Spiegelt sich in deiner Augen Licht:
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Näher sah ich an der Gottheit Glänzen
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Nie des Weibes höchste Schönheit gränzen.
 
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Dieser milde Anflug zarter Röthe,
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Junger Pfirsich-Blüthenknospe gleich,
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O, an jeder Anmuth endlos reich –
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Mischt sich mit der Schwanenweiße Pracht,
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Die auf deiner Wange lieblich lacht.
 
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Allverlohren steh’ ich oft, und staune:
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Ob du sterblich seyst? – ob, Göttinn, du
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Eilend flohest des Olympus Ruh,
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Um ins Herz der Sterblichen hienieden
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Auszuströmen deinen stolzen Frieden.
 
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Göttinn! deines Zwecks hast du verfehlet.
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Dieser Glanz, der allumstralt dein Haupt,
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Hat den Sterblichen die Ruh geraubt;
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Nimmer, nimmer wird sie friedlich kehren,
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Wenn du uns enteilst in höhre Sphären.
 
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Dir, du Himmlische, dir tönen Lieder
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Aus dem Munde höh’rer Wesen stets.
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O! verachte drum nicht des Gebets
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Heiße Flamme, die dir feurig lodert,
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Endlos deinen holden Anblick fodert.
 
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Nimmer kann man dich doch höher ehren,
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Als dich deines Sängers Herz verehrt.
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Gäbe Absicht kleiner Gabe Werth
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Würdest du wohl milde auf ihn blicken,
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Durch dein holdes Lächeln ihn entzücken.
 
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Daß sich höher schwingen seine Lieder,
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Daß er über Sternen dich besingt;
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Dir der Ehrfurcht reinstes Opfer bringt,
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Daß fortan mit nie gefühltem Feuer,
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Hohes Lied entströmte seiner Leyer! –
 
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Sieht die Gottheit doch mit Huld in Blicken
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Auch der Staubessöhne Flehen an,
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Streuet Rosen aus auf ihre Bahn;
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Möchtest doch auch du mit Rosenkränzen
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Himmlische! des Dichters Stirne kränzen! –
 
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Dann verachtet er des Lorbeers Kränze,
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Neidet nicht der späten Nachwelt Ruhm;
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Ja, dein Beifall läßt Elysium,
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Rund um deinen Dichter her entstehen,
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Mild und kühlig Edens Palm’ ihm wehen.
 
56 
v. R.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.9 KB)

Details zum Gedicht „An M. S.“

Anzahl Strophen
12
Anzahl Verse
56
Anzahl Wörter
319
Entstehungsjahr
1791
Epoche
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „An M. S.“ stammt von Heinrich Julius Ludwig von Rohr (* 24. Oktober 1767, † 27. November 1810). Er war ein deutscher Autor und somit kann man das Gedicht in die Epoche der Romantik einordnen.

Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht wie eine ernste Ode oder Huldigung an eine Frau, die vom lyrischen Ich sehr verehrt wird.

Inhaltlich preist das lyrische Ich in dem Gedicht die Schönheit und Tugenden einer Frau, die er als „M. S.“ bezeichnet. Dabei verwendet er sehr starke und übertriebene sprachliche Bilder und Metaphern, um ihr Aussehen und ihr Wesen zu beschreiben. Er betrachtet sie als eine Göttin und stellt sie mit diesem Vergleich auf ein übermenschliches Podest, fast als ob er sie anbeten würde.

Anhand der Form und der Sprache des Gedichts lässt sich feststellen, dass das Werk in Verbindung zur Romantikepoche steht. Das Gedicht ist in zwölf Strophen unterteilt, wobei jede Strophe aus fünf Versen besteht – es handelt sich also um einen klassischen Fünfheber. Die Sprache ist an vielen Stellen stark überzeichnet und pathetisch, was typisch für die Romantik ist.

Das lyrische Ich verliert sich in den vielen positiven Attributen, die er der Frau zuschreibt. Diese Verehrung geht so weit, dass er meint, dass selbst Tote durch ihre Schönheit wieder zum Leben erweckt würden. In weiteren Versen wird diese Verehrung in religiöse und göttliche Sphären gehoben – sie wird als Gottheit, als Göttin adressiert, die die sterblichen Menschen mit ihrem Dasein verwirrt.

Die Überhöhung der Geliebten und die unerfüllbare Sehnsucht nach ihr sind typische Merkmale der romantischen Literatur. Dabei ist die Frau, wie in vielen Gedichten dieser Epoche, kein realer Mensch, sondern ein Idealbild, eine Projektionsfläche für Sehnsüchte, Fantasien und Wünsche des lyrischen Ichs.

Das Gedicht „An M. S.“ ist daher ein typisches Werk dieser Zeit und zeigt deutlich die romantische Auffassung von Liebe und Idealisierung. In seiner Sprache und Bildlichkeit ist es allerdings sehr überzogen und könnte heutzutage fast komisch wirken, da das Bild der Frau doch sehr unrealistisch und abstrahiert ist.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „An M. S.“ des Autors Heinrich Julius Ludwig von Rohr. Geboren wurde Rohr im Jahr 1767 in Holzhausen (heute Stadtteil von Kyritz). Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1791. Erschienen ist der Text in Leipzig. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Klassik zu. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Basis geschehen. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben bei Verwendung. Das 319 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 56 Versen mit insgesamt 12 Strophen. Heinrich Julius Ludwig von Rohr ist auch der Autor für Gedichte wie „Epistel“. Zum Autor des Gedichtes „An M. S.“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de keine weiteren Gedichte vor.

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